"Deutsch hat mich befreit"

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Jirí Grusa über die "eigene Statur" heutiger Diplomaten und die zwei Ironien seines Lebens.

Jirí Grusa *1938

Botschafter

Die Furche: Herr Botschafter, der serbische Autor Dragan Veliki´c wurde vor kurzem als Botschafter Serbiens in Österreich angelobt - sind Schriftsteller als Diplomaten besonders geeignet?

Jirí Grusa: In Ländern mit einer kurzen rechtsstaatlichen Tradition, wie Serbien oder, in meinem Fall, Tschechien, füllen Schriftsteller eine Marktlücke - sie haben eine eigene Identität und Autorität. In Umbruchsituationen können deswegen Schriftsteller in politischen Ämtern einspringen - aber nach einiger Zeit ist das vorbei.

Die Furche: Bedauern Sie das?

Grusa: Als Literat ist man ein Fachmann in einer bestimmten Sprache, und die Diplomatie ist auch Umgang mit der Sprache - insofern gibt es zwischen diesen beiden Berufen eine starke Verbindung. Und Diplomatie betreibt keine Schwarz-Weiß-Sicht. Für einen Diplomaten ist das "Entweder-oder" selten, dazu kommt es erst bei einer Kriegserklärung, aber bis dahin sind Diplomaten dem "Sowohl-als-auch" verpflichtet - und dafür ist die Literatur eine gute Schule.

Die Furche: Sie sind Direktor der Diplomatischen Akademie - wie wünschen Sie sich die ideale Absolventin, den idealen Absolventen?

Grusa: Die Rolle der Diplomatie ändert sich. Die Welt der Ambivalenz, der Zweiweltlichkeit geht zu Ende, wenn die Welt nicht zu Ende gehen soll. Das heißt, die alten Diplomaten-Künste müssen heutige Diplomaten zwar immer noch beherrschen, aber sie brauchen noch etwas dazu, was bislang eher gedämpft wurde: Ihre eigene Statur. Die Werte, die sie vertreten, müssen auch ihre eigenen Werte sein. Das ist eine kleine, aber gute Veränderung, die bei der Auswahl der Studenten eine Rolle spielt.

Die Furche: Heutige Diplomaten müssen also mehr sein als Sprachrohre ihrer Regierungen.

Grusa: Sehr wahrscheinlich ja, natürlich, der Bote darf nicht die Botschaft verändern - wiewohl das ziemlich oft passiert. Aber die Zeit der Boten im Sinne von reinen Dienst-Boten ist vorbei, heutige Botschafter müssen auch etwas an eigener Übereinstimmung mit der Botschaft mitbringen.

Die Furche: Wie ist das gewesen, als Sie nach der Wende in der Tschechoslowakei als Dissident und Literat in die Welt der Diplomatie hineingestoßen wurden?

Grusa: Das war genauso eine kleine Revolution wie Václav Havel auf der Burg. Im Außenministerium saßen damals die Absolventen der Moskauer Schule. Die haben in der Sowjetunion das genaue Gegenteil von dem gelernt, was ich verkörpert habe. In dem Sinne habe ich es nicht einfach gehabt, aber das war schon vorher so: Die meisten Feinde habe ich immer zuhause.

Die Furche: Darum sind Sie in Wien geblieben.

Grusa: Das ist die erste Ironie meines Lebens. Die Tschechen haben mich vertrieben, weil ich tschechisch geschrieben habe und meine Bücher in der damaligen Zeit als Verleumdung galten. Sie haben mich ausgewiesen - und wenn man das einem Autor antut, ist das Mord, weil ohne seine Sprache ist ein Autor tot. Ich fing an, auf Deutsch zu schreiben und habe damit eine Art Gegenrichtung zur modernen tschechischen Geschichte eingeschlagen: Wir Tschechen haben uns befreit, indem wir nicht mehr deutsch, sondern tschechisch geschrieben haben. Ich war der erste Tscheche, der wieder deutsch geschrieben hat und als ich zurückkehrte, war ich unabhängig von meiner Sprache - eine große Befreiung.

Die Furche: Die als Direktor der Diplomatischen Akademie ihre Fortsetzung findet...

Grusa: Das ist die zweite Ironie meines Lebens: Ich habe mich zwar um dieses Amt beworben, aber das war so, wie man sich bei uns im böhmischen Pardubice ein Los für das Pferderennen kauft; dort habe ich nie etwas gewonnen, also warum sollte ich beim Rennen um die Diplomatische Akademie gewinnen - doch jetzt sitze ich da. Das sind die zwei ironischen Wendungen meines Lebens.

Die Furche: Aller guten Dinge sind drei, heißt es, da dürfen wir ja gespannt sein, was die dritte Ironie Ihres Lebens sein wird.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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