Berlin - © Foto: Imago / United Archives International

Deutsch-jüdische Geschichte: Berliner Luft, vergiftet

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Gabriele Tergits monumentaler Gesellschaftsroman „So war’s eben“ umfasst sieben Jahrzehnte deutsch-jüdischer Geschichte.

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Gabriele Tergits monumentaler Gesellschaftsroman „So war’s eben“ umfasst sieben Jahrzehnte deutsch-jüdischer Geschichte.

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Man muss sich schon sehr wundern, dass es mehr als ein halbes Jahrhundert gedauert hat, bis die große Erzählerin Gabriele Tergit wiederentdeckt wurde. Sowohl der Roman „Effingers“ wie das nun erstmals präsentierte Erzählwerk „So war’s eben“ sind breit angelegte, mit großem epischem Atem erzählte Gesellschaftspanoramen, die der deutschen bürgerlichen Generationenfolge seit der Gründerzeit Ende des 19. Jahrhunderts mit frappierendem Einfühlungsvermögen und starker politischer Detailkenntnis nachspüren.

Einen Zeitbogen über sieben Jahrzehnte deutsch-jüdischer Geschichte, von der Reichsgründung 1871 bis zur Vernichtung der jüdischen Kultur im damaligen Deutschland durch das NS-Regime, hatte bereits der Familienroman „Effingers“ gespannt. Nun wird das Panorama um die vielfältigen gesellschaftlichen Erscheinungsformen des Berliner Lebens in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts erweitert.

Hyperrealistische Alltagsszenen

Mit berührender Eindringlichkeit und einem umfangreichen Personenensemble lässt die Autorin die verschwundene Zivilisation des jüdischen Berlin von der Kaiserzeit bis in die 1950er Jahre wiedererstehen, den Glanz und das Elend jüdischen Lebens zwischen Wohlhabenheit einerseits und bitterer Not anderseits. Hyperrealistische Alltagsszenen wechseln da mit schneidend wiedergegebenen politischen Debatten, scharfe Typenzeichnungen mit melancholisch grundierten Milieuschilderungen. Das bevorzugte Stilmittel ist Lakonie. Mit beklemmender atmosphärischer Dichte wird in schnellen, wie filmisch geschnitgeschehen machen. Er erhält die Chance, ein Spielleiter ist dabei behilflich, seinem Leben eine andere Richtung zu geben. Und dieses Spiel nagt gewaltig an seinem Ich.

Diese Möglichkeit des Zugriffs in die eigene Vergangenheit – die anderen Gegebenheiten sind nicht veränderbar – zeitigt die Brüche zwischen subjektiver Erinnerung und objektiver Realität. Gregor Schulz als Spielleiter (Assistenz: Elisabeth Mackner, Martin Trippensee) hat es in der Hand, die Geschehnisse nach Kürmanns Vorstellungen zu drehen und zu wenden, Kürmann selbst, Christoph Wieschke, erleidet dabei nicht nur Kratzer an seinem Ego. Tina Eberhardt ist die Stein, an der sich Kürmann sozusagen abarbeitet. Das Was-wärewenn in allen Facetten hat Marco Dott mit dem Ensemble fein hetenen Szenen der wachsende Antisemitismus deutlich gemacht, bis in die von unvorstellbarer Brutalität erfüllten Übergriffe des entfesselten Rassismus der Nationalsozialisten.

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