Deutsche Landschaften, deutsche Gesichter

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Zwei exemplarische Publikationen über August Sander, den großen fotografischen Dokumentaristen des 20. Jahrhunderts.

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Zwei exemplarische Publikationen über August Sander, den großen fotografischen Dokumentaristen des 20. Jahrhunderts.

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August Sander war dem Typischen auf der Spur. Dem Typischen des Menschen, dem Typischen der Landschaft. Beide Projekte verfolgte er mit geradezu obsessiver Konsequenz und Ausdauer. Zwei Bücher machen sein Werk neu zugänglich. Das eine, "Landschaften", dokumentiert umfassend, auf 147 wunderschön gedruckten Tafeln, das Lebenswerk des Landschaftsfotografen August Sander. Der Verlag Schirmer/Mosel feiert damit seinen 25. Geburtstag. Das erste Verlagswerk, "Rheinlandschaften" von August Sander, war damals durchaus programmatisch zu verstehen.

Das zweite Buch kommt aus dem Verlag Benedikt Taschen und bietet einen großen Querschnitt durch Sanders Lebenswerk, von den Porträts bis zu den Landschaften, den Sardinien-Bildern und der Dokumentation des zerstörten Köln. Dies bei ausgezeichneter editorischer und drucktechnischer Qualität zum taschen-notorisch niedrigen Preis, mit mehrsprachigem Text.

"Antlitz der Zeit - Sechzig Aufnahmen deutscher Menschen des 20. Jahrhunderts" hieß die Porträtreihe, August Sanders Hauptwerk. Es zeigt hauptsächlich Typen der zwanziger und dreißiger Jahre, wurde aber bereits um 1910 begonnen und fortgesetzt bis hinein in die vierziger Jahre. Die Bilder heißen lapidar: "Jungbauern, Westerwald, 1914". Herausfordernd blicken drei junge Männer aus ihren Sonntagsanzügen in die Kamera, einem hängt die Zigarette im Mundwinkel: Was kostet die Welt? Oder: "Fahnenjunker, ca. 1944". Der Blick des sommersprossigen jungen Mannes ist schwer entschlüsselbar. Die Frage, was die Welt kostet, ist längst beantwortet: das Leben.

Dazwischen: Eine längst zum Klassiker der Fotografie gewordene Serie exemplarischer Porträts. Typen der Epoche. Oder genauer: Einer Zeit, in der sich die Epochen überschneiden. Bäuchig und selbstbewußt steht der "Konditor, 1928" mit dem Schneebesen am Rührkessel. Ein Bürger wie von vor 1914, was er ja auch ist. Eine Verkörperung wilhelminisch-deutscher Behäbigkeit und Sicherheit. Viele der von Sander Porträtierten blicken frontal in die Kamera. Der "Corpsstudent" mit den Schmissen, die "Werkstudenten", "Der Kunstgelehrte", oder, mit der Reitgerte und den Handschuhen in der Hand, der "Oberst, Belgien, ca. 1916".

Sander fotografiert den Arzt, den Staatsanwalt, den Junglehrer, den Gerichtsdiener, die Nonne, den Abgeordneten ("Demokrat"), und dazwischen, im Sinne eines als Querschnitt durch die deutsche Gesellschaft konzipierten Lebensprojekts, die anderen, die unten, den Maurergesellen, den Berliner Kohlenträger, die Grobschmiede, den Arbeitslosen, die Arbeitermutter mit Kind. Später fügt der in die innere Emigration abgetauchte Fotograf seinem deutschen Album neue Typen hinzu: "Verfolgter, ca. 1938" und "Verfolgte, ca. 1938". "Student" und "Hausfrau" hätte er einige Jahre früher diese Bilder wohl genannt. Nach dem Krieg schreibt er unter die Fotografie eines Schutthaufens mit ein paar Mauerresten: "Dürener Straße 201, Atelier August Sander, Köln, 1946".

Der umfassenden Dokumentation von Sanders Landschaften bei Schirmer/Mosel und dem Sander-Gesamtüberblick des Taschen-Verlages soll demnächst bei Schirmer/Mosel eine neue wissenschaftliche Publikation der "Menschen des 20. Jahrhunderts" folgen. Daß die Landschaft für Sander nicht nur Zufluchtsort in der inneren Emigration war, wie tief die Zusammenhänge zwischen dem Porträt-Lebensprojekt und dem Landschafts-Lebensprojekt reichen, und wie bei Sander das künstlerische Engagement mit der Notwendigkeit des Gelderwerbs Hand in Hand ging, erläutert Olivier Lugon in "August Sander - Landschaften". Die beiden Bildbände ergänzen einander mehr als sie sich überdecken.

August Sander - Landschaften Herausgeber: Stiftung Kultur, Köln, Verlag Schirmer/Mosel, München 1999 240 Seiten, 147 Duotone-Tafeln, Ln., öS 569, August Sander 1876 - 1964 Text: Susanne Lange, Alfred Döblin, Benedikt Taschen Verlag, Köln 1999, 252 Seiten, 168 Bilder, öS 399,

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