Deutschland, die Großmacht Wider willen

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Die USA träumten vom vereinten Deutschland als Gestalter der Weltpolitik. Dieser Rolle kommt es bis heute nicht nach.

Der 31. Mai 1989 ist eines der meistunterschätzten Daten deutscher Geschichte.US-Präsident George Bush senior spricht an diesem Tag vor 2000 Gästen in der vollbesetzten Rheingoldhalle in Mainz. Was Bush dabei sagt, ist nichts weniger als eine Kehrtwende in der US-Sicherheitspolitik: #Glasnost mag ja ein russisches Wort sein#, ruft er in den Saal, #Offenheit jedoch ist ein westliches Konzept. West-Berlin hat immer die Offenheit einer freien Stadt besessen. Bringt also Glasnost nach Ost-Berlin. Die Mauer muss fallen.# Und Bush bietet der Bundesrepublik an, künftig gemeinsam mit den USA ein globaler #partner in leadership# zu werden. Nach der Rede gibt es statt Jubel höflichen Applaus des offiziellen Deutschlands, manche blicken erstaunt auf Kanzler Helmut Kohl, der unbewegt in der ersten Reihe sitzt. Man geht auseinander, als wäre nichts geschehen. Bushs nationaler Sicherheitsberater Brent Scowcroft notiert enttäuscht: #Die Rede wurde gefällig aufgenommen.# 18 Monate später wurde unter maßgeblichem Einfluss der USA auch international klar, dass Bush es ernst gemeint hatte, damals in Mainz.

Innensicht - Binnensicht

Am 3. Oktober 1990 wurde die Wiedervereinigung Deutschlands besiegelt. Russland bekam für sein Einlenken viele Milliarden deutsche Mark, die Franzosen eine maßgebliche Vertiefung des europäischen Einigungsprozesses, die USA einen vermeintlich potenziellen Partner bei der Wahrung ihrer globalen Interessen.

Berlin, 20 Jahre später: Rückblicke aller Orten # oder besser Binnensichten. Zeitzeugen berichten von der Mauer, Dokumentarserien zeigen die DDR #wie sie wirklich war# (ARD), Erfahrungsberichte ehemaliger #Tramps# und Hippies in der DDR lösen bei Teenagern Nostalgiewellen aus. Kanzlerin Angela Merkel gibt Interviews über DDR-Kochrezepte in der #Super-Illu#. Das neue, große, das internationale Deutschland jedoch, das George Bush vor 20 Jahren angesprochen hat, findet keinerlei Erwähnung. Wo bleibt nun also die #gewachsenen Verantwortung# in der Welt?

Nicht nur der ehemalige Berater der deutschen Regierung, Christoph Bertram, (Interview rechts) sieht dieses Versprechen kaum eingelöst. Auch an den aktuellen globalen und europäischen Konfliktlinien lässt sich ablesen, dass das größere Deutschland in seiner neuen Rolle, der #Zentralmacht Europas#, eines #unter Europaflagge segelnden Staatsschiffes# (Hans Peter Schwarz) niemals angekommen ist.

Jochen Thies, der ehemalige Chefredakteur des Deutschlandradios nennt als Ursache für diese Nichtentwicklung den #beseitigten Optimismus# nach dem Mauerfall, beginnend mit dem Jugoslawienkrieg 1991 und danach bis zu den Folgekriegen nach den Anschlägen von 9/11 führend.

Dabei hatte gerade die Regierung Kohl die europäische Staatengemeinschaft mit dem EU-Verträgen von Maastricht und Amsterdam und der Währungsunion gemeinsam mit Frankreichs Präsident François Mitterand noch mutig vorangetrieben. Ein Prozess, den die Berliner Politikwissenschafterin Helga Haftendorn als #Periode der Normalisierung# bezeichnet, die Ende der 90er-Jahre durch den Kosovokonflikt und einem #aufgeklärten Eigeninteresse# unter Gerhard Schröder abgelöst worden sei. Aus Bündnispartner Frankreich wurde ein Konkurrent in der Diskussion um die Finalität Europas, abgerundet mit der halb empörten Frage, warum Deutschland in Europa dauerhaft den #Zahlmeister# geben solle. Gerhard Schröder benutzte dies als Wahlkampfargument für Europaskeptiker # ein Vorbehalt, der nach der Erweiterung der EU neue, bis heute dauernde Belebung erfuhr. Haftendorn: #Die Innenpolitik war damit in die Außenpolitik zurückgekehrt.#

Diese Tendenz zur Innensicht sollte sich für die Jahre seither als prägend erweisen. Der Afghanistan-Krieg, bei dem 4500 deutsche Soldaten im Einsatz sind, wird mit mangelnder Ausrüstung und kaum vorhandener politischer Unterstützung geführt. Die von den USA geforderte Aufstockung der Truppen zur Bekämpfung der erstarkenden Taliban schmetterte Angela Merkel ab, entfachte damit aber gleichzeitig eine noch immer währende Diskussion über die Verlässlichkeit Deutschlands als NATO-Bündnispartner. Selbst die Benennung der Realität am Hindukusch geriet zu einem jahrelangen Versuch die Realität mit allerlei Verschleierungsworthülsen zu umweben: Stabilisierungseinsatz, Engagement, robustes Mandat und schließlich angesichts erdrückender Meldungslage: Krieg.

Insgesamt sei Deutschlands internationale Rolle so Politikwissenschafterin Haftendorn #stark einschränkt#. Eine Einschätzung, die von anderen Politikexperten geteilt wird, nicht aber vom ehemaligen deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher: #Die Politik der Zurückhaltung der Bundesrepublik war kein Verzicht auf Souveränität, sondern eine kluge Lehre aus der deutschen Geschichte.# Doch auch die innereuropäische Dynamik Deutschlands scheint zugunsten innenpolitischer Interessen merklich nachgelassen zu haben.

Wahlkampf statt Krisenhilfe

Zuletzt zeigte sich das massiv in der Finanzkrise, als Angela Merkel die Hilfe an das beinahe bankrotte Griechenland unbedingt bis nach den Landeswahlen in Nordrheinwestfalen hinauszögern wollte und dabei Ende April beinahe einen neuerlichen Einbruch der Weltwirtschaft riskierte. Nur durch massive Interventionen aus Washington und Paris konnte #Madame Non# umgestimmt werden. Die Griechenlandkrise hatte aber da bereits Ausmaße angenommen, die aus projektierten 8,4 Milliarden Euro Finanzhilfe 148 Milliarden werden ließen.

Apropos Innensicht: Am 3. Oktober feiert Deutschland seine Wiedervereinigung. Die Regierung wollte aus diesem Anlass zu einem Festakt laden. Und zwar in Bremen. Begründung: Bremen habe den Vorsitz in der Länderkammer Deutschlands. Der etwas provinzielle Plan wurde erst nach scharfen Protesten geändert. Das Volk, wie es heißt, darf nun doch auch in der Hauptstadt feiern, die Regierung bleibt in Bremen.

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