Dichtend in den Tod

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Die mit nur 32 Jahren verstorbene Halina Poswiatowska wurde zur Lyrik-Klassikerin.

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Die mit nur 32 Jahren verstorbene Halina Poswiatowska wurde zur Lyrik-Klassikerin.

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Eine junge Frau lebt, liebt und schreibt Gedichte. Sie existiert in einer Ausnahmesituation. Sie ist seit ihrer Kindheit schwer herzkrank und ihre Gedichte sind von höchster literarischer Qualität. Hunderte davon hat Halina Poswiatowska, sie starb 1967 mit nur 32 Jahren, der Nachwelt hinterlassen. Sie werden in Polen, das seit jeher die Lyrik besonders liebt, bis heute in großen Auflagen gedruckt und viel gelesen. In ihrem autobiografischen Roman "Erzählung für einen Freund" rekapitulierte die Dichterin ihr entbehrungsreiches Leben, das von der verzehrenden Sehnsucht nach Gesundheit und Normalität, von Operationen und monatelangen Krankenhausaufenthalten gezeichnet war.

Halina Poswiatowskas Lebensgeschichte spiegelt aber auch sehr lebendig die bewegte Geschichte Polens in diesem Jahrhundert. Die erste Erinnerung des Kindes ist die Flucht vor den Deutschen 1939. Die grüne Wolljacke der Mutter und die Angst vor den deutschen Geschossen bleiben in Erinnerung. Die Kinder spielen Krieg in Tschenstochau. Keiner will die Deutschen spielen und "die Polen" sollen möglichst gewinnen. 1945 sind es die echten Kämpfe zwischen Russen und Deutschen, die alle Bewohner in die Keller zwingen. Halina erkrankt in der Folge an einer schweren Gelenksentzündung, die trotz Behandlung und monatelangem Liegen zu einer Endokarditis führt.

An einen Schulbesuch ist nicht zu denken und so baut sich das Mädchen seine eigene Phantasiewelt auf. Von der Mutter unterrichtet und gehegt, beginnt sie dem schwachen Herzen Wochen und Monate abzutrotzen, in denen Spazierengehen (und wenn die Mutter nicht dabei ist, Spazierenrennen), Spiele mit Freunden und sogar kurze Schulbesuche möglich sind. Immer gefolgt von monatelangen Krankenhausaufenthalten und totalen Schwächeperioden.

Das Aufbegehren gegen Krankenhaus und schmerzhafte Therapien wird durch das Sterben auf den Herzstationen, das sie mit ansieht, noch verstärkt. Welchen Sinn macht die Disziplin oder die Hoffnung auf eine Operation, wenn danach doch nur das langsame Sterben folgt? In Krakau gibt es bereits erste Versuche, am offenen Herzen zu operieren, die nicht von großen Erfolgen gekrönt sind. Dem behandelnden Professor erscheint das Risiko zu groß, Halina selbst zu operieren, doch weiß er, dass sie nicht mehr lange warten kann. Während eines Kuraufenthaltes lernt sie einen Studenten der Filmakademie kennen, der, herzkrank wie sie, seinem Körper das Studium abtrotzt. Die Liebe stärkt die beiden so, dass sie entgegen dem Rat der Ärzte heiraten. Das Glück dauert zwei Jahre. Es wird von der Nachricht, dass er plötzlich tot zusammengebrochen ist, beendet.

Die Bemühungen ihrer Mutter und des behandelnden Arztes reißen Halina aus der darauf folgenden einjährigen tiefen Depression. Sie starten eine große Spendenaktion. Mit der Unterstützung in den USA lebender Polen gelingt es der Familie, Halina in Amerika erfolgreich operieren zu lassen. Sie schließt einen Studienaufenthalt an und startet damit einen neuen Versuch, die Laufbahn einer ganz normalen Studentin einzuschlagen. Ausgehungert nach Bildung und anspruchsvoller Lektüre, büffelt sie so intensiv, dass es wieder zu einem Zusammenbruch kommt, gefolgt von Heimweh. Schließlich kehrt sie - in Polen schon als Lyrikerin bekannt - nach Krakau zurück, wo sie das Philosophiestudium abschließt und literarisch publiziert. Einen zweiten Eingriff am offenen Herzen überlebt sie nicht.

Was die Erinnerungen von Halina Poswiatowska so lesenswert macht, ist ihr klarer Blick auf die besonders beschränkten Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten. Und die Energie, mit der sie "trotz allem" daran festhält, zu leben, zu lieben und zu schreiben. Sobald ihr wieder einmal ein normales Atmen möglich ist, sind die Schmerzen immer schnell vergessen und sofort werden wieder Pläne geschmiedet. Sehr viel Kraft gibt ihr die Liebe.

Die organische Verletzlichkeit macht sie dabei zur sensiblen Beobachterin seelischer Vorgänge, zur Chronistin ihrer Gefühle und Stimmungen. Sie beschreibt eindrucksvoll ihr Angewiesensein auf andere Menschen, ihre Dankbarkeit für jede Hilfe und ihren Willen, innerlich autark zu bleiben. Sie registriert ihre Sehnsucht nach Natur, nach Luft, nach Freiheit, wenn die Wände des Krankenhaussaales bedrohlich näher rücken, immer im Zentrum das ängstliche Lauschen auf das Herz.

Auch die bewusste Entscheidung für die Rückkehr in die Heimat, die Beschränkung auf das Schreiben von Gedichten und das Studium in Polen, der Verzicht auf den Ehrgeiz, eine erfolgreiche amerikanische Universitätsabsolventin zu werden, beeindrucken. Sie weiß, dass ihre Kräfte für mehr nicht reichen.

Vielleicht ist es vor allem der Blick wie mit der Lupe auf das menschliche Leben, das auch für Gesunde allenfalls scheinbar ohne Beschränkungen und Eingrenzungen abläuft, was die Erinnerungen von Halina Poswiatowska so berührend macht. In ihrem Akzeptieren der inneren und äußeren Grenzen liegen Ernst und Weisheit, welche die junge, schöne Frau auch in ihren glücklichsten Momenten mit einem Schleier von Traurigkeit umgeben. Gleichzeitig schafft das Bewusstsein des möglicherweise sehr nahen Endes ihrem Leben eine Intensität, die sie nicht missen möchte und auch selbst als Folge ihrer Krankheit begreift.

Zweimal schafft sie es "über den Ozean", einmal aus Sehnsucht nach Gesundheit, einmal aus Sehnsucht nach ihrer Heimat, ihrer Muttersprache und der Familie. Sie notiert, dass "die Sehnsucht die schlimmste aller Arten von Hunger ist und dass sie all denen, die nicht genährt werden, unweigerlich den Tod bringt."

Erzählung für einen Freund Roman von Halina Poswiatowska, Übersetzung: Monika Cagliesi-Zenkteler. Piper Verlag, München 2000, 240 Seiten, geb., öS 263,-/e 19,11

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