Die Ästhetik des Koran

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Gewöhnlich fragt man, wenn es um heilige Schriften geht, nach deren Interpretation und ihrem heutigen Verständnis. Auch was den Koran betrifft, ergeben sich in der Regel viele Fragen nach dem Umgang mit einer Schrift, die vor 1400 Jahren verkündet wurde und dies zudem in einem Kontext, der sich stark von dem heutigen unterscheidet. Bei diesen Überlegungen gerät jedoch eine Dimension in den Hintergrund: die Emotionale. Der Koran selbst betont, dass sich nur diejenigen Herzen von ihm berühren lassen, die demütig sind, wenn diese den Koran hören, bewegt er ihre Emotionen, sie weinen "und vermehrt wird ihre Demut"(Koran, 17:109). Sie weinen, weil Gott ihre Herzen berührt hat. Sie weinen, weil das Herz überwältigt ist von der Begegnung mit der unendlichen göttlichen Liebe. Es ist die Begegnung mit dem Barmherzigen. Der Koran spricht nicht nur die Vernunft an. Er spricht auch die Sprache des Herzens. Denn das Herz hat eine eigene Sprache, die Sprache der Schönheit, der Liebe, der Barmherzigkeit, die Sprache der Ästhetik. Religiöse Erziehung ist eine Erziehung des Herzens in und zu dieser Sprache. Der Koran kombiniert den Glauben mit dieser ästhetischen Dimension und bezeichnet die Gläubigen als diejenigen, die Sinn für Ästhetik haben, die den Koran nicht als trockenes Wissensbuch lesen, sondern ihn schön und herzergreifend rezitieren: "Die, denen Wir die Schrift gegeben, und die sie rezitieren, wie man sie zu rezitieren hat, sie sind es, die glauben."(2:121)

Der Koran bildet einen Bestandteil des islamischen Ritus. In jedem Gebet rezitieren Muslime den Koran und lassen sich dadurch von ihm ergreifen. Dies setzt aber voraus, dass das demütige Herz den Koran mitliest und sich für das Ergriffen-Sein von Gottes Liebe öffnet. Den Koran als juristisches Buch zu begreifen und in ihm lediglich nach juristischen Urteilen zu suchen, bringt seine emotionale Seite zum Verstummen.

Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster

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