„Die Alternative ist die Stricknadel“

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Beide behaupten, sie hätten schon lange versucht, miteinander ins Gespräch zu kommen. Die FURCHE bat ÖVP-Politikerin Stephanie Merckens, Lebensschutzbeauftragte der Erzdiözese Wien (derzeit Karenz) und den Gynäkologen Christian Fiala, Leiter des Gynmed-Ambulatoriums und Gründer des Abtreibungsmuseums in Wien, zum Streitgespräch. Das Gespräch moderierten Theresa Aigner und Michael Weiß

In Italien gehen dieser Tage wegen der Zulassung der Abtreibungspille RU 486 (Mifegyne) die Wogen hoch. Doch auch hierzulande bleiben die Fronten zum Thema Fristenregelung verhärtet.

Die Furche: Ihrer beider Arbeit erfordert ein großes Maß an Glauben an die Sache. Woran glauben Sie?

Christian Fiala: Ich muss Ihnen widersprechen. Meine Arbeit ist nicht primär durch einen Glauben motiviert, sondern von der Realität, wie es Frauen ergeht, wenn sie keinen freien Zugang zu Verhütungsmitteln und legalem Schwangerschaftsabbruch haben. Ich habe selbst in Ländern gearbeitet, in denen das der Fall war, und diese Situationen kommen für mich dem Zustand eines Kriegs gleich.

Stephanie Merckens: So schön manche Frauen die Schwangerschaft erleben, können wir nicht die Augen davor verschließen, dass es Situationen gibt, in denen eine unerwartete Schwangerschaft Panik auslöst. Für mich ist Abtreibung in dieser Situation aber keine Lösung, weil sie bedeutet, dass sich eine Frau gegen ihr Kind stellen muss. Stattdessen sollten wir uns um die Probleme kümmern, die der Frau Angst machen. Wir sollten Lösungen vermitteln und ihr Mut machen, ihr Leben mit ihrem Kind zu meistern.

Die Furche: Herr Fiala, vor ein paar Monaten wurde in den USA ein Kollege von Ihnen von einem fanatischen Abtreibungsgegner erschossen. Wie kann es dazu kommen?

Fiala: Durch die extreme Rhetorik – es wird von Kindesmord gesprochen – entsteht ein sehr gewalttätiges Klima. In den USA ist das noch schlimmer als in Österreich, hier sitzen die Schusswaffen zum Glück nicht so locker. Die Verantwortung haben hier aber nicht nur Einzeltäter, sondern auch Institutionen, wie leider auch die katholische Kirche, die ideelle oder sogar finanzielle Unterstützung leisten.

Die Furche: Haben Sie Angst?

Fiala: Diese Menschen stehen seit vier Jahren täglich vor meiner Ordination und schreiben sich auf, wann ich komme und gehe. Aber die primäre Zielscheibe sind die Frauen, die ohnehin in einer schwierigen Situation sind und medizinische Hilfe brauchen. Das ist schlimm für die Patientinnen, aber auch demokratiepolitisch bedenklich, wenn das von der Gesellschaft toleriert wird.

Merckens: Diese Art des Protests ist sicher nicht meine Methode. Es wäre schon wahnsinnig viel gewonnen, wenn wir über konstruktive Maßnahmen diskutieren könnten. Die Fanatiker auf beiden Seiten sollte man in der Diskussion außen vor lassen.

Fiala: Ich finde es unhaltbar, dass Sie die fanatischen Äußerungen auf beiden Seiten gleichstellen. Mitglieder Ihrer Kirche betreiben Psychoterror und das ist gerichtlich bestätigt. Ich würde sie gerne außer Acht lassen – aber diese Leute stehen täglich vor meiner Tür!

Merckens: Wenn diese Menschen etwas tun, womit sie gegen Gesetze verstoßen, haben Sie gesetzliche Möglichkeiten, gegen diese Leute vorzugehen. Tun sie das nicht, ist ihr Auftreten für oder gegen etwas, Bestandteil der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit.

Fiala: Fakt ist, dass Frauen, die in dieser Situation terrorisiert werden, keine Anzeige erstatten, weil ihre psychische Verfassung das nicht zulässt. Und das wird schamlos ausgenützt. Für Sie mag der Abbruch keine Lösung sein, aber sehr viele betroffene Frauen sehen das eben anders. Diese Frauen erwarten sich, dass ihre Entscheidung respektiert wird und dass sie nicht mit religiösen Überzeugungen konfrontiert werden, die nicht ihre eigenen sind.

Merckens: Ich kann mir schon vorstellen, dass viele Frauen in dem Moment meinen, die Abtreibung wäre die praktikabelste Lösung. Vor allem, wenn ihnen suggeriert wird, dass ihr Leben genauso weitergehen kann, wie es vorher war. Ich glaube nur, dass das nicht die ganze Wahrheit ist. Man muss sich für diese Frauen Zeit nehmen und klären, ob die Abtreibung wirklich ihre eigene Entscheidung ist, oder ob sie damit Probleme lösen, die andere mit ihrem Kind haben. Die Eltern, der Partner, der Arbeitgeber. Die Zeit, um längere Gespräche zu führen, ist da.

Die Furche: Herr Fiala, warum sind Sie gegen eine verpflichtende Beratung?

Fiala: Das Problem ist der Widerspruch, den dieser Begriff schon in sich trägt. Eine Beratung, die verpflichtend ist, ist keine Beratung mehr, sondern eine staatliche Unterweisung. Die Entscheidung für oder gegen einen Abbruch fällt in den meisten Fällen ohnehin schon viel früher. Die Frauen treffen diese Entscheidung dort, wo sie hingehört, nämlich in ihrem intimsten Kreis. Wenn sie zu mir kommen, wissen sie genau, was sie wollen. Das sind erwachsene Frauen, die bewusst eine Entscheidung getroffen haben, und erwarten, dass diese respektiert wird.

Merckens: Jetzt verstehe ich auch, warum Sie damit leben können, wenn Sie sich überhaupt nicht in die Lage der Frauen versetzen und sich nicht darum scheren, ob sie noch Fragen haben könnten.

Fiala: Das ist eine Unterstellung, so habe ich das nicht gesagt. Warum ich gut damit leben kann, ist eine sehr ernste Sache, und ich wehre mich dagegen, das so lächerlich zu machen. Sie belächeln das, aber ich habe erlebt, wie Frauen elendig sterben, nachdem sie selbst versucht haben, einen Abbruch durchzuführen, weil sie keine Möglichkeit hatten, ihn professionell durchführen zu lassen.

Merckens: Ich belächle die Unverschämtheit, mit der Sie mit diesem Thema umgehen. Sie argumentieren, dass das, was Sie tun, gut ist, weil Sie es professionell machen. Das bestreite ich ja nicht. Mein Punkt ist aber, dass wir noch immer nicht darüber sprechen, wo die Gründe für die Probleme der Frauen liegen. Wo sind Sie, wenn die Frauen Sie vorher brauchen? Oder wenn die Frauen sich nachher fragen, ob das die richtige Entscheidung war?

Fiala: Da müssen Sie sich keine Sorgen machen, ich bin immer da. Vor allem aber bin ich ganz am Anfang da, nämlich bevor ungewollte Schwangerschaften passieren. Die Information über Verhütung kommt in Österreich viel zu kurz. Das geht von der Aufklärung an den Schulen über die fehlende Kostenerstattung für Verhütungsmittel bei bedürftigen Frauen bis dahin, dass die „Pille danach“ immer noch rezeptpflichtig ist. Es wird Paaren richtiggehend schwer gemacht, sich zu schützen. Das ist geradezu so, als würde man alle Verkehrsschilder abbauen und sich dann wundern, wenn Unfälle passieren.

Merckens: Ich habe da eine ganz andere Erfahrung, dass sehr wohl über Verhütung gesprochen wird. Kondome werden ja jetzt schon bei jedem zweiten Jugend-Event verteilt. Und die „Pille danach“ verkaufen Sie als ganz normales Verhütungsmittel? Wann beginnt Leben für Sie?

Fiala: Ein Embryo oder ein Fruchtsack in der fünften Woche hat noch nicht mal einen Herzschlag. Da von einem Kind zu sprechen, ist entweder Unwissenheit oder bewusste Unterstellung.

Merckens: Wissenschaftlich ist völlig klar dass ab Verschmelzung von Ei- und Samenzelle ein drittes Individuum vorliegt.

Fiala: Fünfzig Prozent der befruchteten Eizellen gehen sowieso sehr früh zu Grunde.

Merckens: Und das rechtfertigt für Sie, die anderen auch noch wegzumachen? Was soll das Argument? Jede Frau, die ein Kind verloren hat, weiß, dass sie ein Kind verloren hat, nicht einen Fruchtsack. Es geht nicht um das Altersstadium, sondern um die Beziehung, egal ob Embryo, Kind, oder Erwachsener.

Fiala: Mich rechtfertigt schlicht und einfach, dass es keine real existierende Alternative zum legalen Schwangerschaftsabbruch gibt. Die Alternative ist die Stricknadel ...

Merckens: … nein, das Kind.

Fiala: Das ist in vielen Fällen keine reale Option. Es gibt keine Gesellschaft in der Geschichte der Menschheit, in der jede Frau jedes Kind austragen kann.

Merckens: Ich kenne viele Frauen, die bei einer Beratung waren, und denen diese Beratung sehr wohl eine neue Perspektive eröffnet hat.

Fiala: Ja sicher, weil diese Frauen gezielt dorthin gehen.

Merckens: Es liegt daran, dass die Frauen nicht wissen, welche Angebote, unter anderem an finanzieller Unterstützung, es gibt.

Fiala: Der Großteil der Frauen entscheidet sich aber nicht aus finanziellen Gründen für einen Abbruch. Über 50 Prozent der Frauen, die zum Schwangerschaftsabbruch kommen, haben bereits ein oder mehrere Kinder und fühlen sich von einem weiteren überfordert. Oft spielt auch Gewalt eine Rolle. Das ist übrigens etwas, worüber viel zu wenig gesprochen wird.

Merckens: Ja, und genau darin liegt ja der gesellschaftspolitische Sprengstoff. Genau deswegen fordern wir ja eine Motiverhebung. Warum wollen denn Frauen kein zweites oder drittes Kind? Ist es die Überforderung, der Bedarf nach einer größeren Wohnung? Wenn ja, dann müsste der Staat das dritte und vierte Kind viel mehr fördern.

Fiala: Sie fordern etwas, das es bereits seit über 20 Jahren gibt. Die Motive sind bekannt unter Fachkräften, die betroffene Frauen beraten. Wenn wir die Häufigkeit ungewollter Schwangerschaften reduzieren möchten, geht dies nur durch eine Verbesserung der Prävention.

Merckens: Ich glaube nicht, dass da das Problem liegt. Wir brauchen eine bessere Sexualerziehung. Für mich heißt das aber, dass wir unseren Kindern beibringen müssen, dass Sexualität nicht nur Geschlechtsverkehr ist. Sexualerziehung ist dann sinnvoll, wenn sie Kindern hilft, liebende Menschen zu werden. Man muss ihnen das Selbstbewusstsein geben, dass sie ohne Druck richtige Entscheidungen treffen. Und man darf ihnen nichts vorlügen: Sex hat immer noch etwas mit Kinderkriegen zu tun.

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