Die Angst, „Pastoralmanager“ zu werden

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Unter den vielen Studenten, die ein Theologiestudium aufgenommen haben, gibt es viele, die sich zum Priester berufen fühlen – wenn, ja wenn … Anmerkungen eines langjährigen Bischofs zum „Jahr der Priester“, das Papst Benedikt XVI. für 2009/2010 ausgerufen hat.

Anlässlich des 150. Todestages des heiligen Johannes Maria Vianney, dem Pfarrer von Ars, rief Papst Benedikt XVI. am 19. Juni 2009 offiziell ein „Jahr der Priester aus“. Dieses Jahr soll zur inneren Erneuerung der Priester beitragen. Freilich stand dahinter auch die Sorge um den dramatisch steigenden Priestermangel in der ganzen Welt.

Wir stehen derzeit in der Hälfte dieses Jahres. In vielen einschlägigen Publikationen las ich bisher Betrachtungen über die Theologie des Weihesakramentes, die besondere Christusnachfolge eines Priesters, der ja der Gemeinde gegenüber „Christus repräsentiert“ und über Sinn und Zeichenhaftigkeit des Zölibats. Mir fehlt aber bisher die Frage, warum heute so viele Theologie studieren, sich aber nur so wenige weihen lassen. Dabei gäbe es dazu eine überaus interessante Befragung, die der Pastoraltheologe Paul M. Zulehner zu Beginn des Wintersemesters 2005/06 in Wien auf meine Anregung hin gemacht hat. Die Untersuchung ist im Internet zu finden ( www.zulehner.org) und im November 2006 hat er auf einer Fachtagung in der Bayrischen Akademie in München darüber referiert.

An der Katholisch-Theologischen Fakultät in Wien studierten damals (die Zahl ist heute ziemlich gleich) über 1000 Theologie. Die Hälfte waren Frauen, die also nicht geweiht werden können. Von den Männern würden sich 25 Prozent weihen lassen, wenn, ja wenn …

Was abhält, Priester zu werden

Die Gründe, die sie abhalten, sind überaus interessant. Viele beunruhigt die Unsicherheit, wie sich die Kirche in Zukunft weiterentwickeln wird. Ganz vorn steht auch die Befürchtung, man müsse als Priester unlebbare Moralvorstellungen vertreten. Hinter allem aber steht die Frage der Ehelosigkeit, die nach dem Eindruck der Theologiestudenten in der Gesellschaft nicht mehr positiv bewertet wird. Zudem fürchten sie, Pastoralmanager statt Seelsorger zu werden. In einer solchen Kirche sei es für sie schwer, ein „glaubwürdiger“ Priester zu sein. Diese Ängste müssten uns Verantwortliche eigentlich sehr nachdenklich machen. Die Theologen stellen sich die Frage, ob sich die katholische Kirche im Sinne des II. Vatikanischen Konzils weiterentwickeln wird oder sich eher rückwärts wendet. Für Letzteres gibt es bedauerliche Anzeichen.

Vieles, was das Konzil angedacht hat, wurde theologisch offiziell nicht weiterentfaltet und hat daher auch praktisch wenig Konsequenzen gebracht. Statt einer vom Konzil gewollten größeren Selbständigkeit der Ortskirchen (Diözesen) wächst der Zentralismus. Für die Mitverantwortung der Bischöfe für die Weltkirche wurden noch keine tauglichen Instrumente gefunden. (Will man in Rom überhaupt sehr selbständige Bischöfe, die sich in das Geschehen der Weltkirche einmischen?) Die wachsende Großzügigkeit gegenüber dem vorkonziliaren Messritus von 1962 stellt den Sinn der Liturgieerneuerung in Frage. Junge Theologen erleben, dass in der Kirche über die Auslegung des Konzils auch unter Bischöfen beachtliche Uneinigkeit herrscht.

Diesen Ängsten gibt der großzügige Umgang mit der Pius-Bruderschaft neue Nahrung. Sie lehnt das Konzil insgesamt ab. Wie weit wird man zu Kompromissen bereit sein? Kardinal Schönborn hat herausgestellt, was alles nicht „verhandelbar“ ist. Er erwähnt die Haltung zum Judentum, zu den anderen nicht-christlichen Religionen, zu den christlichen Kirchen und vor allem zur Frage der Religionsfreiheit, die ein grundlegendes Menschenrecht ist. Ist diese Aufzählung exemplarisch oder taxativ? Ebenso wenig verhandelbar ist das Kirchenbild, das das Konzil im Rückgriff auf die Communio-Ekklesiologie mit vielerlei Konsequenzen verkündet hat. Auch die Liturgie sollte gerade nach diesem Kirchenbild erneuert werden. Papst Johannes Paul II. sagte einmal, dass die Liturgieerneuerung untrennbar mit der Erneuerung der Kirche zusammenhinge. Die neue Sicht von Ehe und Sexualität muss weitergedacht werden. Und Johannes XXIII. wollte einen offenen Dialog mit der Welt, der heute aus einer allzu großen Angst vor einem möglichen Relativismus bisweilen einseitig geführt wird.

Ehelosigkeit und Ehemoral

Den Studenten geht es dabei vor allem um Fragen der Ehemoral. Bleibt die „verantwortete Elternschaft“ auch weiterhin offiziell nur auf die sogenannte natürliche Methode beschränkt? Leben alle, die auch gewissenhaft andere Wege suchen, immer in schwerer Sünde? Muss ich Geschiedenen, die wieder geheiratet haben, die Kommunion verweigern, wenn sie nicht enthaltsam leben, wie es das päpstliche Schreiben Familiaris Consortio von 1981 zur Bedingung macht? Wie soll ich als Priester den Betroffenen die Kirche als barmherzige Mutter erlebbar machen, wie es eben dieses Schreiben rät? Wie begleite ich seelsorglich jene Paare, die sich in Treue verbunden fühlen, aber aus sehr unterschiedlichen Gründen noch nicht heiraten?

Im Jahr der Priester gibt es viele Betrachtungen über die Ehelosigkeit des Priesters. Sie wird begründet aus der besonderen Nachfolge Jesu, der ehelos lebte. Sie sei ein Zeichen ungeteilter Hingabe an Gott. Sie mache frei für einen Ganzeinsatz für die Menschen und die Gemeinde. Sie sei ein eschatologisches Zeichen, „denn nach der Auferstehung werden die Menschen nicht mehr heiraten, sondern sein wie die Engel im Himmel“ (Mt 22, 30). Verstehen die Menschen dieses Zeichen, wenn um seinen Preis der Priestermangel noch größer wird und Gemeinden am Sonntag auf Eucharistie und Kranke auf Krankensalbung und Beichte verzichten müssen?

Ehelosigkeit kann das Leben sehr sinnvoll machen und eine große Hilfe für den Priester sein. Ich habe das in meinem Leben dankbar erfahren. Aber ist sie eine unabdingbare Voraussetzung für die Priesterweihe? Offenbar nicht. Denn im orientalischen Zweig der römisch-katholischen Kirche gibt es verheiratete Priester. Und es überrascht, dass gerade im Jahr der Priester der Papst für die übertrittswilligen anglikanischen Priester bereit ist, eigene Personalordinariate zu errichten. Das heißt, dass es künftig noch mehr verheiratete Priester unter römischer Jurisdiktion geben wird.

Noch mehr verheiratete Priester

Ein pragmatischer Grund für die Theologen, sich nicht weihen zu lassen, ist die Angst, „Pastoralmanagern“ werden zu müssen. Sie erleben, wie heute Priester drei und fünf Pfarren zu betreuen haben und künftig vielleicht noch mehr. Und wo Pfarren gemeinsam mit einem Laienteam kooperativ geleitet werden, fällt ihnen dann fast ausschließlich der sakramentale Dienst zu. Seelsorge aber ist für sie mehr. Gemeinsamkeit mit den Gläubigen, das Teilen von Freud und Leid, vor allem aber auch der gegenseitige Austausch der Erfahrung mit Gott. Wer kann heute absehen, wie die Kirchenleitung diese Probleme morgen lösen wird?

Das Jahr der Priester darf nicht zu Ende gehen, bevor nicht das Gespräch mit den vielen Theologiestudenten aufgenommen wird, unter denen es durchaus Priesterberufene gäbe, wenn, ja wenn … Und wir sollten darum beten, dass uns Gott erkennen lässt, wo er auch heute Priester beruft, vielleicht mit anderen Zulassungskriterien als bisher.

* Der Autor ist emeritierter Weihbischof in Wien

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