Die Angst vor dem Verstummen der Bienen

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Nach dem "Waldsterben" greift das "Bienensterben" als Bedrohungsszenario um sich. Als Ursachen werden heute vor allem Pestizide wie Neonicotinoide genannt. Bei exakter Forschung aber bleibt ihr schädlicher Einfluss unklar. Ein paar Einwände gegen die Apokalypse.

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Nach dem "Waldsterben" greift das "Bienensterben" als Bedrohungsszenario um sich. Als Ursachen werden heute vor allem Pestizide wie Neonicotinoide genannt. Bei exakter Forschung aber bleibt ihr schädlicher Einfluss unklar. Ein paar Einwände gegen die Apokalypse.

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Kleine Felder, Wiesen, Wälder und Weingärten breiten sich über sanfte Hügel aus. Wenn der Begriff der ursprünglichen Kulturlandschaft eine Berechtigung hat, die "steirische Toskana" verdiente ihn. Imker bieten an vielen Orten ihren Honig an. Harmonie pur. Ginge nicht ein Gespenst um: das "Bienensterben". Im Englischen macht der Begriff "Bienen-Apokalypse" die Runde. Für manche österreichische Medien sterben 2015 die Honigbienen "wie die Fliegen", es sei ein "massenhaftes Bienensterben" im Gange.

Jeder hiesige Imker - ob hauptberuflich oder als "Hobbyimker" tätig - hat sein Bild von der mysteriösen Plage. Es gibt einen Pluralismus der hitzigen Meinungen über die Ursachen, die Gefährlichkeit und die Gegenmaßnahmen. Im Hintergrund steht die wahrgenommene Bedrohung der Imkerei, die seit langer Zeit schier apokalyptisch gedeutet wird. Das Ende ist nah! Oder auch: Kassandra lebt!

Einstein und die Bienen

Das "Bienensterben" folgte zeitnah dem auslaufenden "Waldsterben". Medien und Wissenschaftler malten Anfang der 1980er-Jahre das Menetekel einer terminalen ökologischen und sozialen Krise des Waldes an die Wand: "Stirbt der Wald, stirbt der Mensch". Das behauptete "Waldsterben" stellte sich bald als eine journalistische Konstruktion der "Wirklichkeit" heraus, die für die Medien und manche Forscher (man denke an die österreichische "Waldsterbensinitiative") äußerst profitabel war.

Bereits Albert Einstein hatte vor langer Zeit seine Sicht der Bienenapokalypse formuliert: "Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch noch vier Jahre zu leben. Keine Bienen mehr, keine Bestäubung. Keine Pflanzen mehr, keine Tiere mehr, keine Menschen mehr." Nach der Biene endet die Menschheitsgeschichte!

Für viele fachkundige Sprecher der Imker ist das "Bienensterben" ein viel gebrauchter Begriff. Um 1986, als sich die parasitäre Milbe Varroa destructor in Bienenstöcken eingenistet hatte, wähnten sie die Imkerei am Weg in den Untergang. Man sprach von "Zeiten größter Not" durch episodische "Massenzusammenbrüche" der Bienenvölker, die "ganze Landstriche" zu "bienenleeren" Gebieten mache. In grüner Diktion skizzierten sie damals (vor 30 Jahren!) die Auswirkungen des intensivierten Ackerbaues auf die Bienen. Das Umpflügen von ehemals blühenden Wiesen und der zunehmende Einsatz von Pestiziden bringe die Bienen auf den neuen Äckern mit "subletalen Giftdosen" in Berührung. Die "Invasion" der Varroamilbe sei lediglich das "Schlusslicht" der vielen Stressoren, denen die Bienen ausgesetzt werden.

Neonicotinoide statt Milben

Anfang 1988 malten österreichische Parlamentarier in Anlehnung an das epochale Buch von Rachel Carson mit dem Titel "Der stumme Frühling" ihrerseits den "leisen Frühling" an die Wand: "Hunderttausend österreichische Bienenvölker werden nicht mehr summen." Ein gutes Viertel der damals behaupteten 450.000 heimischen Bienenvölker sei durch die Milbe "ausgerottet", ja 2,5 Milliarden Bienen seien der Milbenkrankheit Varroatose zum Opfer gefallen. Das beträfe "in manchen Gegenden Österreichs, etwa in der Wachau oder der Oststeiermark, bis zu 90 Prozent des Gesamtbestandes." Die ökologisch und wirtschaftlich wichtige Bestäubungsfunktion der Bienen werde hinfällig: "Ohne Biene gibt es keine Landwirtschaft, ohne Landwirtschaft haben wir alle miteinander nichts zu essen." (!)

Aus heutiger Sicht des "Bienensterbens" geht man von einer breiteren Liste an Stress-Faktoren aus: Bienen, die fortgesetzt mit Pestiziden in Kontakt kommen und an Nahrungsstress mangels Blütenvielfalt leiden, werden für Parasiten anfälliger. Stressoren wie Intensivierung der Landwirtschaft oder artenarme Monokulturen erweiterten wenig überraschend das stark aufkommende Superphänomen des Klimawandels.

Weltweit steigt laut UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) die Zahl der bewirtschafteten Bienenvölker. Aktuell geht man von rund 80 Millionen Völkern aus. In Österreich verzeichnete man zwar von 1961 und 2006 einen Rückgang um rund 50 Prozent. Aber seit 2006 wächst laut österreichischem Imkerbund die Zahl der Bienenvölker, heute sind es rund 376.121 Völker (2014). Die Imkerei lebt auch deshalb in Zeiten des Bienensterbens, weil sich wieder mehr Menschen dieser Tätigkeit zuwenden: In Österreich sind 25.277 Imker - bei einer zunehmenden Dunkelziffer - dokumentiert. Über die Motive der Neo-Imker wissen wir wenig. Ist es für sie ein zeitgeistiges Hobby? Eine nachhaltige Leidenschaft für die Natur? Wollen sie die bedrohten Bienen retten? Folgen sie ökonomischen Motiven?

Die Rangliste der "üblichen Verdächtigen", die für das "Bienensterben" verantwortlich gemacht werden, hat sich verschoben. Die Varroa-Milbe hat heute den ersten Platz mit den Neonicotinoiden tauschen müssen, die als Pestizide eingesetzt werden. Bei exakter Betrachtung ist der schädliche Einfluss der Neonicotinoide auf die Bienen unklar. Viele Laborstudien legen den Zusammenhang nahe. Aber Öko-Toxikologen sind sich uneins, ob die Bienen nicht unrealistischen Dosen ausgesetzt wurden, die draußen auf den Feldern gar nicht vorkommen. Es mangele an Daten, mit welchen Dosen die Bienen tatsächlich in Kontakt kämen. Die Aussagen exakt forschender Wissenschaftler sind denn auch vorsichtig und vorläufig: Sie verwenden Begriffe wie "könnte sein", "sehr wahrscheinlich", "nicht auszuschließen", et cetera.

Dagegen nehmen Umweltgruppen den sicheren Einfluss an und fordern ihr striktes Verbot. Die englische Regierung hat im Juli den EU-Bann der Neonicotinoide für Ölsaaten-Anpflanzungen zeitweilig aufgehoben. Zur Begründung führt die Regierung wissenschaftliche Stimmen an, wonach sie für Mensch und Umwelt sicherer seien als bisher angenommen - sie reagiere also nicht auf wirtschaftliche Forderungen der Bauern. Viele der geförderten Bienenforschungsprojekte unterliegen einem politischen Drall: Es sollen Erwartungen der politischen Sponsoren bestätigt - und nicht mit gegenläufigen Ansichten problematisiert werden. Neues Wissen stößt bei den Adressaten eher auf Skepsis. Ein Imker hat so seine eigenen Vorstellungen, geleitet von wirtschaftlichen Interessen und fachlichen Ansichten. Kurzum: Eine gute Portion Skepsis über die praktische Relevanz der einschlägigen Wissenschaften von den Bienen sei angesagt!

Konflikte und Überforderung

Ökologische oder soziale Apokalypsen wie das "Bienensterben" übertreiben, dämonisieren, machen Angst, generieren Konfliktlinien und überfordern praktische Möglichkeiten. Die Rufe der Kassandra begleiten die Menschheitsgeschichte seit Jahrhunderten. Es wäre interessant, ein zweites Mal die Büchse der Pandora zu öffnen und zu sehen, welche Hoffnung für die gefährdeten Bienen entweicht. Es beginnt schon mit der Begrifflichkeit: Ein Begriff wie der "Bienenvolkkollaps" wäre neutraler als "Bienensterben", zugegeben recht sperrig. Wie wäre es also mit dem "Verschwinden von Bienen" ("Disappearing Bee Syndrom")?

Die exakte Wissenschaft ist datenhungrig, fordert verlässliche Zeitreihen über möglichst lange Perioden. Aber ehrliche Daten ergeben erfahrungsgemäß kein einheitliches Bild: Man kann methodische Details anzweifeln, sie "so oder so" interpretieren. Ein kosteneffektiver, pragmatischer Weg wären jedenfalls "Citizen-Surveys", in denen geschulte Freiwillige gemeinsam mit den praktisch tätigen Imkern die Bienen beobachten. So entstünden neue soziale Brücken. Ein öffentlicher Dialog zwischen Bürgern, Forschung und Politik sollte dann die Daten beurteilen. Und solchermaßen informiert die Ursachen und Maßnahmen bedenken, die wir für die Bienen ergreifen wollen, damit sie - vielleicht - doch nicht plötzlich verschwinden.

W. Pleschberger ist als Sozialwissenschafter an der BOKU Wien tätig; R. Wilhelm ist praktisch mit der Imkerei verbunden

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