Die Armen müssen nicht die Reichen retten

Werbung
Werbung
Werbung

Der Friedensnobelpreisträger und Chef des Weltklimarats, Rajendra Pachauri, betont die Vorbildrolle der Industriestaaten, um den Klimawandel zu stoppen. Und die Welt sollte Obama folgen.

Rajendra K. Pachauri, 68, ist einer der weltweit renommiertesten Klimawissenschafter. Der Inder nahm 2007 stellvertretend für den von ihm geleiteten Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) den Friedensnobelpreis entgegen. Damit wurde der IPCC zusammen mit dem früheren US-Vizepräsidenten Al Gore für seine Erkenntnisse zum Klimawandel ausgezeichnet.

DIE FURCHE: Herr Pachauri, kann der Klimawandel begrenzt werden werden, wenn Länder wie China und Indien sich nicht auf konkrete Reduktionsziele verpflichten?

Rajendra K. Pachauri: Wir müssen die Weltöffentlichkeit darüber aufklären, dass Indien und China in einer anderen Liga spielen als die Industrieländer. In Indien betragen die Emissionen nur etwa eine Tonne pro Person. In den USA sind es über 20 Tonnen. In Indien haben mehr als 400 Millionen Menschen keinen elektrischen Strom. Sollen wir denen etwa sagen, dass sie niemals Strom bekommen dürfen?

DIE FURCHE: Ihre Antwort lautet vermutlich „Nein“.

Pachauri: Wenn in Indien Elektrizität produziert wird, kommt die aus Kohle. Die Industrieländer haben sehr lange Kohle benutzt. Wir sagen ja nicht, dass wir sie genauso lange benutzen wollen. Aber wenigstens für die Zeit, in der wir die Armut beseitigen können. Wenn das nicht möglich ist, wie sollen wir uns denn jemals erneuerbare Energien leisten können, deren Kosten zurzeit noch so hoch sind? Die Menschen in den Industrieländern müssen diese Realität verstehen. Man kann doch von den Ärmsten der Armen nicht verlangen, dass sie das Gleiche machen wie die Reichen. Das ist auch eine Frage der Ethik. Vor allem die Armen werden vom Klimawandel betroffen sein, und deshalb muss ihnen geholfen werden.

DIE FURCHE: Wird Indiens Mittelschicht nicht selbst bald vom Motorrad auf den Nano, einen neuen Kleinwagen zum Preis von 2000 Euro, umsteigen und damit das Klimaproblem verschärfen?

Pachauri: Ja, deshalb sollten wir in Indien stärker in öffentliche Nahverkehrssysteme investieren. Der Nano zeigt, dass die Werbeindustrie überall den Menschen einredet, sie bräuchten ein Auto, dass dies Glück schlechthin bedeutet.

DIE FURCHE: Was dagegen tun?

Pachauri: Die ganze Philosophie dahinter muss sich ändern. Unsere Träume werden von dem genährt, was wir in den Industrieländern sehen. Jeder hier möchte ein Auto und eine Klimaanlage, weil das in den reichen Ländern als gutes Leben gilt. Und jeder hier, dessen Einkommen steigt, will sich genau das zulegen. Einen Wandel wird es aber nur geben können, wenn eingesehen wird, dass dieses Modell nicht mehr funktionieren kann. Das ist ein weiterer Grund, warum der Wandel in den Industrieländern beginnen muss. Denn wenn ihr nicht umsteuert, werden wir weiter eurem Weg folgen, weil der als Fortschritt gilt.

DIE FURCHE: Indien leidet bereits unter der Gletscherschmelze im Himalaja. Müsste Indien nicht auch aus eigenem Interesse das Klima stärker schützen?

Pachauri: Sicher, aber wir in Indien tragen nun einmal nur vier Prozent zum weltweiten Ausstoß der Treibhausgase bei. Selbst wenn wir das halbieren, welchen Unterschied macht das? Die Hauptlast liegt bei den Industrieländern. Es ist ein globales Problem, das eine globale Antwort erfordert. Stößt ein Land 20 oder 25 Prozent aller Klimagase aus, müssen wir dort beginnen.

DIE FURCHE: Die EU hat sich ein Reduktionsziel für Kohlendioxid von 20 bis 30 Prozent bis 2020 formuliert. Reicht das?

Pachauri: Das ist ein guter erster Schritt, aber die Welt muss noch viel mehr unternehmen. Wenn wir den weltweiten Temperaturanstieg auf zwei Grad beschränken wollen, haben wir jetzt nur noch sechs Jahre für einen weiteren Anstieg der Emissionen. Danach müssen sie zurückgehen, das haben wir im vierten Bericht des Weltklimarats klar gesagt. 2015 ist das Wendejahr. Dafür dürften die EU-Zahlen nicht ausreichen.

DIE FURCHE: Welche Rolle kommt Europa in der Klimapolitik zu?

Pachauri: Die EU hat eine Führungsrolle, und es ist wichtig, dass sie diese Position behält. Damit ist sie ein machtvolles Beispiel für die USA. Sollte die EU zögern, wird es in den USA Kräfte geben, die das ausnutzen und versuchen werden, die Regierung dahingehend zu beeinflussen, dass sie selbst weniger unternimmt. Die EU muss Führungsstärke demonstrieren.

DIE FURCHE: Wie wirkt sich die Finanz- und Wirtschaftskrise auf die internationale Klimapolitik aus?

Pachauri: Kurz- und mittelfristig nimmt die Krise natürlich der Klimapolitik die Aufmerksamkeit. Aber der Klimawandel kann jetzt nicht ignoriert werden. Die Wirtschaftskrise hält ein, zwei oder drei Jahre an. Aber der Klimawandel ist ein viel langfristigeres Problem. Und es gibt Synergien beim Umgang mit der Wirtschaftskrise und dem Klimawandel. So kümmert sich etwa US-Präsident Barack Obama gleichzeitig um Klimaschutz und die Wiederbelebung der Wirtschaft. So einen Ansatz brauchen wir in jedem Land.

DIE FURCHE: Können angesichts der gigantischen Rettungs-Ausgaben für Banken und Industrien noch die für den Klimaschutz notwendigen Mittel aufgetrieben werden?

Pachauri: Nach meiner Schätzung werden zurzeit etwa 2,7 Billionen Dollar für diese Stabilisierungs- und Konjunkturprogramme ausgegeben. Der Klimaschutz würde nur einen Bruchteil kosten. Wir sind offenbar bereit, so viel Geld auszugeben, um die zu retten, die das Problem verursacht haben. Es gibt keinen Grund, warum wir die für den Klimaschutz benötigten Mittel nicht bereitstellen können.

DIE FURCHE: Wie könnte ein „New Green Deal“ konkret aussehen?

Pachauri: Wir müssen Energien aus Sonne, Wind und Biomasse fördern mit entsprechenden Signalen an die Privatwirtschaft, also etwa günstige Kredite, Steuernachlässe oder direkte Subventionen. Auch die Anstrengungen im Bereich Forschung müssen verstärkt werden, zugleich müssen Kohlendioxidemissionen kostenpflichtig werden – das wäre ein sehr starkes Signal zum Umsteuern.

DIE FURCHE: Wird sich die internationale Gemeinschaft im Dezember in Kopenhagen auf ein Nachfolgeabkommen für das Kioto-Protokoll einigen?

Pachauri: Ich bin optimistisch, weil es überall ein großes Bewusstsein dafür gibt, dass die Welt gegen den Klimawandel handeln muss. Es geht jetzt darum, dass jemand die Führung übernimmt. Dabei hat Präsident Obama eine sehr wichtige Rolle zu spielen. Wenn er einen Kurswechsel vollzieht, wird dies auch in anderen Ländern entsprechende Aktivitäten gegen den Klimawandel auslösen. Die Lobbyisten werden versuchen, alles zu blockieren. Und es wird auch Schmerzen bei dieser Anpassung geben. Aber wenn man jetzt die Operation nicht durchführt, dann wird alles nur noch schlimmer.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung