Die Bäche und Flüsse verlebendigen

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Österreich ist reich an Bächen und Flüssen. Wenig davon blieb unberührt, fast alles wird irgendwie genutzt. Jetzt soll das noch Unberührte geschützt und einige Gewässer revitalisiert werden.

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Österreich ist reich an Bächen und Flüssen. Wenig davon blieb unberührt, fast alles wird irgendwie genutzt. Jetzt soll das noch Unberührte geschützt und einige Gewässer revitalisiert werden.

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Rund zweieinhalbmal um die Erde würden Österreichs Flüsse und Bäche reichen, wenn man sie zu einem langen Band zusammenfassen würde. Etwa 100.000 Kilometer beträgt das Adernetz, welches die Landschaft und Umwelt Österreichs bestimmt und gestaltet. Es sind große Flüsse, wie die Donau und kleine Bäche wie der Reißbach im Waldviertel.

Es sind ruhige Flüsse wie die March oder wilde Gebirgsbäche wie der Lech in Tirol. Österreich besitzt ein außergewöhnliches Spektrum an verschiedenen Flußtypen und den damit verbundenen spezifischen Lebensräumen.

Doch dieses Adernetz ist in einer bedenklichen Verfassung. Gemeinsam ist allen Fließgewässern, daß nur noch ein geringer Anteil in naturnahem Zustand belassen wurde. So sind von den 5.000 Kilometern der größeren Flüsse (ohne Donau) nur mehr noch 4 Prozent als weitgehend unberührt und noch völlig intakt zu bezeichnen.

Die Folgen sind weitreichend: Monotonisierung der Landschaft, Absenkung des Grundwasserspiegels, Beschleunigung von Hochwasserwellen, gebietsweise Erhöhung der Hochwassergefahr und last not least eine dramatische Artenverarmung. Fast 900 Arten aus Flora und Fauna, die an und in unseren Flüssen und Auen leben, stehen auf der Roten Liste. Intakte Auwälder gehören heute bereits zu Raritäten des Landes.

Der hohe Nutzungsdruck aus Landwirtschaft, Siedlungsbau, Schotterentnahme, Straßenbau, Industrieerschließung, Freizeitnutzung, etc. führte dazu, daß viele tausend Flußkilometer reguliert und eingedämmt wurden. Hinzu kommt die energiewirtschaftliche Nutzung: Mehr als 50 Prozent der größeren Fließgewässer sind durch Wasserkraftwerke beeinträchtigt, entweder durch Einstau Ausleitung oder Schwall. Seit Hainburg ist in den Jahren 1984 bis 1996 die achtfache Leistung des damals projektierten Kraftwerks (2.000 GW) gebaut worden. Aber nicht nur "Monsterprojekte", sondern auch unzählige Kleinwasserkraftwerke, bisher als die ökologische Lösung gefördert, haben massiv zum Substanzverlust der Natur beigetragen. Allein im Bundesland Salzburg sind über 2.000 Anlagen in Betrieb.

Diesem "Tiefstand unserer Flüsse", wie Minister Bartenstein die Situation kürzlich bezeichnete, steuert das erste Fließgewässer Programm Österreichs, die "Lebenden Flüsse" entgegen. Ziel der gemeinsamen Initiative von Landwirtschaftsministerium, Umweltministerium und WWF ist es, ökologisch wertvolle Fließgewässer in Österreich zu bewahren bzw. wieder zurückzugewinnen, nicht nur der Flora und Fauna wegen, sondern auch als Erholungs- und Erlebnisräume für Menschen.

Lebende Flüsse Während in der Vergangenheit oftmals um einzelne Projekte gerungen werden mußte, sind heute die Bedingungen für das ehrgeizige und umsetzungsorientierte Programm günstig. Ein neues Umweltbewußtsein hat sich auch im Wasserbau durchgesetzt. Nicht Gestalten, sondern Laufenlassen ist die neue Devise. Dem Fluß soll mehr Raum gegeben werden, damit er sich frei entfalten kann. Neben dem Schutz des Menschen und seines Siedlungs- und Wirtschaftsraumes hat die moderne Gewässerbetreuung immer mehr ein dynamisches, intaktes Fluß-Ökosystem im Auge.

Ein zukunftsweisendes Beispiel ist hierbei die Obere Drau. Im Rahmen eines Gewässerbetreuungskonzeptes soll dem völlig regulierten Fluß sein ursprünglicher Charakter zurückgegeben werden. Am 18. Juni dieses Jahres fand der Spatenstich zum bereits siebten Revitalisierungsprojekt bei Sachsenburg statt. Aber die Drau ist kein Einzelfall. Am Kamp, an der March/Thaya, an der Großache und an der Raab beginnen jetzt innovative Rückbauprojekte, die sowohl schutzwasserbauliche wie auch ökologische Ziele verfolgen.

Enorme Überschüsse an Strom aus Wasserkraft sowie die kommende Stromliberalisierung machen den Bau neuer Kraftwerke zunehmend unattraktiv. Auch "ökologische" Kleinkraftwerke werden kritischer und differenzierter beurteilt. So ändert sich oft nur der Maßstab - Kleinkraftwerke können für kleine Bäche dasselbe bedeuten, wie Großkraftwerke für größere Flüsse.

Drei klare Ziele sind es, welche die Initiative "Lebenden Flüsse" bis Ende des Jahres 2000 erreichen will: * Der Erhalt national bedeutender Flußstrecken. Insgesamt etwa 1.300 Kilometer aufgeteilt auf 74 Strecken und 51 Flüsse sollen für die nächste Generation erhalten bleiben und vor jeder Verschlechterung bewahrt werden. Diese Bereiche dienen nicht nur dem Natur- und Artenschutz, sondern auch als Leitbilder für die Revitalisierung bereits regulierter Flüsse.

* Erhöhung des Freiheitsgrades. Hierbei sollen: 500 Kilometer degradierter Flußabschnitte revitalisiert, 500 Hektar neuer Überflutungsraum gewonnen, 500 Hektar neuer Auwald initiiert, 500 Hektar Uferrandstreifen gesichert sein.

* Aufklärung und Bewußtseinsbildung. Die Bevölkerung und besonders alle in die Thematik involvierten Gruppen sollen über die Funktion und den Wert ökologisch intakter Flüsse umfassend informiert werden.

Die Ausweisung von national bedeutenden Flußstrecken, die unbedingt geschützt werden müssen, ist selbstverständlich nicht unproblematisch. Allzu leicht könnte eine Positivliste als ein Freibrief für die energiewirtschaftliche Nutzung des "negativen" Rests interpretiert werden. Nur die günstige energiepolitische Situation ermöglicht diese radikale Vorgangsweise, die vor Jahren noch undenkbar gewesen wäre.

Konflikt um die Gurk Aber auch heute werden noch Kraftwerke gebaut und sogar "Fluß-Heiligtümer" bleiben nicht verschont. An der Gurk in Kärnten ist nun der erste Konfliktfall der noch jungen Initiative aufgetreten. Die Gemeinde Albeck plant den Bau eines Ausleitungskraftwerks (800 m Ausleitung, 0,4 GW) in einer national bedeutenden Flußstrecke. Im Rahmen eines alternativen Energiekonzeptes soll die Wasserkraft eine Hackschnitzelanlage und ein kleines Blockheizkraftwerk im Sommer ergänzen. Der Flußabschnitt des geplanten Kraftwerkes besticht durch seinen ökologisch intakten Zustand und landschaftliche Schönheit. Ukrainisches Bachneunauge, Wasseramsel, Gebirgsstelze, allesamt seltene, auf unberührte Flußlandschaften angewiesene Tierarten, sind hier beheimatet.

Eine breite Front, quer durch alle politische Lager, hat sich gegen den Kraftwerksbau formiert. Nicht zuletzt dadurch hat das Land Kärnten wohl erkannt, daß im Fall der Gurk die Zerstörung der letzten intakten Flußstrecken in keinem Verhältnis zur energiewirtschaftlichen Notwendigkeit steht. Der naturschutzrechtliche Bescheid fiel Ende Mai negativ aus.

Der Autor ist Mitarbeiter des World Wide Fund for Nature (WWF).

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