Die bedrohte Lebensquelle für Millionen Menschen

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Der Rückgang der Waldflächen in den 90er Jahren konnte gestoppt werden. Doch während Wiederaufforstungsprojekte gelingen, verursachen Eingriffe in Urwälder große Schäden.

Waldmenschen sind selten geworden in Europa, seit Menschen nicht mehr im Wald leben müssen, um zu überleben. Siggi Zecherle ist einer der letzten. Zecherle ist Rückkehrer. Vor fast zwei Jahrzehnten kaufte er sich ein Stück Wald in Aichach. Dann zog er aus München aus und im Wald ein. Vor seiner Blockhütte kocht er am offenen Feuer, schläft im Winter hinter dem Ofen und im Sommer in einer kühlen Schlafkammer. Hauptberuflich sägt Zecherle an Statuen und Skulpturen, mit der Motorsäge. Der Zeit in ihrer Form als Korsett des zivilisierten Alltagslebens bedarf er nun nicht mehr. "Wenn ich müde bin, schlafe ich. Es gibt also keine großartige Zeit für mich.“

Was Zecherle sich zurückerobert hat, ist für Millionen Menschen weltweit seit Generationen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt: der Wald. Alleine die Forstwirtschaft beschäftigt weltweit mehr als 1,3 Millionen Menschen, von den angeschlossenen Industrien der Holz- und Papierverarbeitung ganz zu schweigen. 143 Milliarden Dollar an zusätzlichen Werten generiert die Ressource Wald pro Jahr. 2006 wurden über 1,5 Milliarden Kubikmeter verwendet. Holz ist ein vermehrt nachgefragter Rohstoff. Vietnam verzeichnet im letzten Waldbericht der FAO ein Wachstum von 32 Prozent.

In diese volkswirtschaftliche Rechnung ist noch nicht einmal einbezogen, wie viel der Wald weltweit zum Klimagleichgewicht beiträgt.

Der Wald, der in seinen verschiedensten Ausprägungsformen - vom Regenwald bis zum alpinen Nadelwald - 35 Prozent des Globus bedeckt, ist ein enormer Kohlenstoffspeicher: Insgesamt 283 Gigatonnen in der Biomasse, 38 Gigatonnen in Totholz und 317 Gigatonnen in den ersten 30 Zentimetern des Bodens. Nimmt man allein die Waldfläche der Russischen Föderation, so absorbiert er eine halbe Milliarde Tonnen CO2.

Klimaschutz und Abholzungsstop

Als eines der wenigen positiven Ergebnisse der Weltklimagipfeltreffen der vergangenen Jahre schlägt ein Waldschutzprogramm zu Buche, das unter dem Titel "Reducing Emissions from Deforestation and Degradation in Developing Countries“ (REDD) Entwicklungsländern beim Schutz ihrer Wald- und Urwaldgebiete helfen soll. REDD umfasst ein strenges Monitoringsystem und finanzielle Anreize zum Schutz besonders wichtiger Waldökosysteme vor industrieller und landwirtschaftlicher Nutzung. Auch Wiederaufforstungsprogramme und eine finanzielle Abgeltung für die Nichtnutzung von Wald wurden diskutiert, wenn darüber auch kein Beschluss auf der Klimakonferenz in Cancun zustande kam. Zu den REDD-Partnerländen zählen neuerdings neben Staaten Zentralafrikas (Sudan, Kongo, Uganda) nun auch ganz Indonesien sowie Bolivien und Paraguay.

Einen ersten Erfolg konnten Umweltschützer zuletzt Mitte März verbuchen, als sich einer der weltgrößten Palmölproduzenten "Golden Agri Ressources Limited“ dazu verpflichtet, besonders artenreiche Zonen des indonesischen Urwaldes von Einschlägerungen zu verschonen. Zuvor war der Konzern Nestlé, einer der Hauptkunden der indonesischen Palmölpflanzer, wegen der Umweltschäden stark unter öffentlichen Druck geraten.

Die Gefährdung der Artenvielfalt

Doch nicht nur landwirtschaftliche Nutzung, auch der Klimawandel selbst scheint zur Bedrohung zu werden. Der Waldgürtel in Äquatorialafrika und hier vor allem im Kongobecken schrumpft nach wie vor drastisch, ebenso der Wald auf Borneo und im östlichen Himalaya. Die Schlagzeilen von einer "Austrockung“ selbst des Amazonas-Regenwaldes sind zwar übertrieben, doch die Schäden nehmen eindeutig zu: In den vergangenen 50 Jahren wurde etwa ein Fünftel des Regenwaldes durch menschliche und klimatische Einflüsse dauerhaft geschädigt oder vernichtet. Bezeichnenderweise ist die Amazonasnation Brasilien auch nicht Teil des REDD-Programmes. Brasilien machte zuletzt durch das Belo-Monte-Megastaudammprojekt, das vom österreichischen Bischof Erwin Kräutler massiv bekämpft wird, Schlagzeilen. Der Rückgang des Waldes und die Gefährdung der darin lebenden Tier- und Pflanzenarten (87 Prozent der Arten leben in der Biosphäre der tropischen Regenwälder) finden ihr negatives Äquivalent im Fleischhunger der Menschheit: In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der im Amazonasbecken lebenden Rinder auf 57 Millionen Tiere verdoppelt.

Abseits von solchen Problemzonen verzeichnet der neueste Waldbericht der Vereinten Nationen global gesehen allerdings auch Aufwärtstrends. Während in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Waldfläche um jährlich 700.000 Hektar schrumpfte, stieg sie im vergangenen Jahrzehnt um 1,5 Millionen Hektar an. Führend in der Wiederaufforstung ist Nordamerika, hier vor allem der Osten des der Vereinigten Staaten. Das hat wohl auch den Grund im Reichtum der dort lebenden Völker, denn statt Holz wird in den Vereinigten Staaten vor allem mit Öl und Gas Wärme und Energie erzeugt, wodurch andere schädliche Folgewirkungen gezeitigt werden.

Mehr Waldschutz wäre vor allem in jenen Ländern wünschenswert, deren Bewohner in weit größerem Maße vom Wald abhängig sind. Menschen in Zentralafrika oder den Urwäldern Südamerikas verwandeln nur einen kleinen Teil ihres natürlichen Erwerbsprodukts in tausch- oder verkaufbare Waren. Vier Fünftel aber dessen, was an natürlichen Rohstoffen täglich erworben wird, kommen niemals auf den Markt. Für diese Bewohner ist der Wald zu 80 Prozent Lebensgrundlage.

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