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Weder die machtgierige Kirche (wie Verschwörungstheoretiker behaupten) noch aufgeklärte Christen (so suggerieren Fundamentalisten) haben die Bibel verfälscht.

In kirchenkritischen Debatten kann man immer wieder die Behauptung hören, die Kirche habe die Bibel verfälscht; irgendwelche Päpste hätten einfach irgendwelche Wahrheiten, die ihnen nicht in den Kram passten, unterdrückt und bestimmte Stellen aus der Bibel gestrichen oder im Wortlaut verändert.

Wer in meiner Gegenwart so argumentiert, muss damit rechnen, dass ich ihn mit einer simplen Frage irritiere. "Wie können Sie einen solchen Unsinn glauben?" pflege ich zu sagen: "Obwohl Sie es als intelligenter Mensch eigentlich besser wissen müssten!"

Mein Appell an die Intelligenz verfehlt fast nie seine Wirkung - außer natürlich in jenen Fällen, gegen die sogar die Götter vergeblich kämpfen. Im Allgemeinen gibt es einem Menschen durchaus zu denken, wenn ich ihm vor Augen führe, dass ihm eigentlich schon der gesunde Menschenverstand sagen müsste, dass der Vorwurf, die Kirche habe die Bibel gefälscht, nicht stimmen kann.

Wurde die Bibel gefälscht?

Mag schon sein, dass machtgierige kirchliche Amtsträger nicht die geringsten Hemmungen gehabt hätten, der Bibel das Wort im Mund umzudrehen. Aber sie hatten es gar nicht in der Hand, eine Fälschung des Bibeltextes durchzuführen! Wie hätten sie vorgehen sollen? Die vielen Bibelausgaben, die Handschriften, die den authentischen Bibeltext bezeugen, lassen sich nicht auf Knopfdruck ändern. Schon im Altertum gab es Tausende von Abschriften des Textes.

Selbst wenn den römischen Finsterlingen eine Armee von "bereitwilligen Helfern" zur Verfügung gestanden wäre, um auf dem ganzen Erdkreis sämtliche Bibelausgaben mit dem authentischen Text zu säubern oder eine Bücherverbrennung größten Ausmaßes zu starten - wie hätte man aller Codices und Papyri, die sich ja nur zum Teil im Besitz der katholischen Kirche befanden, habhaft werden können? Man hätte sie den Eigentümern erst gewaltsam entreißen beziehungsweise deren Verstecke aufspüren müssen. Ganz abgesehen davon waren manche Bibeltexte so gut versteckt, dass man gar nicht wusste, dass es sie überhaupt gab.

In den Höhlen von Qumran am Nordwestufer des Toten Meeres wurden erst im 20. Jahrhundert Schriftrollen mit Bibeltexten entdeckt, die über zweitausend Jahre alt sind. Diese Funde belegen, wie getreu der Bibeltext über die Jahrhunderte hinweg überliefert worden ist und dass er eben nicht verfälscht wurde.

Kein Text der Welt wurde mit solchen Argusaugen gelesen wie die Worte der Bibel. Jedes Jota und jedes Häkchen wurde immer von neuem überprüft - schon allein deswegen, weil es pausenlos irgendwelche Meinungsverschiedenheiten gab und man mit Hilfe der Bibel den eigenen Standpunkt beweisen beziehungsweise den des Gegners widerlegen wollte.

Mit anderen Worten: Der Bibeltext als solcher ist durchaus verlässlich und unverfälscht, aber wie er zu interpretieren ist, das ist die Frage. Die Probleme fangen erst an, wenn es darum geht, wie die Bibel zu verstehen ist, was die Texte bedeuten, und welche Konsequenzen aus ihrer Botschaft zu ziehen sind.

Besseres Wissen und Besserwisserei

Heutzutage meinen nur noch Sektierer und Fundamentalisten, dass es wortwörtlich gemeint ist, wenn die Bibel zum Beispiel sagt, dass die Welt in sechs Tagen erschaffen wurde, dass ein Mann wie Josua imstande war, die Sonne in ihrem Lauf um die Erde stillstehen zu lassen, oder dass alles, was in den fünf Büchern Mose steht, von Mose höchstpersönlich geschrieben wurde - sogar der Bericht über seinen eigenen Tod.

Katholiken, die auf der Höhe der vom Zweiten Vatikanischen Konzil verabschiedeten Dogmatischen Konstitution über die Göttliche Offenbarung sind, wissen es besser.

Wer zu den älteren Semestern zählt, die noch vor dem Zweiten Vatikanum Theologie studiert haben, hat freilich noch mit der größten Selbstverständlichkeit gelernt, dass der Prophet Jona - Titelheld einer gleichnamigen biblischen Lehrnovelle - tatsächlich gelebt hat und von einem real existierenden Walfisch verschlungen und drei Tage später wieder ausgespuckt wurde. Und er hat zum Beispiel nie etwas davon gehört, dass im Buch Jesaja die Texte dreier verschiedener Propheten versammelt sind, die zu unterschiedlichen Zeiten gelebt und in unterschiedlichen Situationen gepredigt haben.

Evangelische Theologen wussten es besser. Ihnen waren die heute auch von katholischen Exegeten mit dem Segen der Päpstlichen Bibelkommission angewandten Methoden historisch-kritischer Schriftauslegung bereits bekannt und vertraut, als die katholische Kirche hierin noch gefährlichen Modernismus witterte.

Albert Schweitzer, der nicht nur als Urwalddoktor in die Geschichte einging, sondern auch als Verfasser der "Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" hervorgetreten ist, stellte schon als ABC-Schütze die keineswegs naive Frage, wieso Jesus eigentlich in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen ist, obwohl ihm doch die Weisen aus dem Morgenland Gold und reiche Schätze zu Füßen gelegt hatten.

Schlussfolgerungen über die an mangelnder Omnipotenz scheiternden Bestrebungen, in wirksamer Weise die Bibel zu fälschen, kann vielleicht nicht gerade jedes Schulkind, aber doch jeder ziehen, der gelernt hat, logisch zu denken. Für das immer bessere Wissen über die Bibel reichte allerdings der gesunde Hausverstand eines einzelnen Menschen nicht aus.

Darum war es ein gemeinsames, sich gegenseitig korrigierendes und voneinander lernendes Bemühen der besten und gescheitesten theologischen Köpfe, die in einem Zeitraum von mehr als eineinhalb Jahrhunderten den Mut hatten, sich auch in Sachen Bibel ihres eigenen Verstandes zu bedienen und aus selbstverschuldeter Unmündigkeit zu treten.

Wo es Menschen gibt, die etwas besser wissen als andere, sind die Besserwisser nicht weit. So ist es kein Wunder, dass neben den seriösen Bibelkritikern auch Scharlatane wie Pilze aus dem Boden schossen und die Öffentlichkeit mit phantasievollen Theorien über den Mann aus Nazareth beglückten. Jesus sei gar nicht am Kreuz gestorben, sondern liege in Indien begraben. Der Sohn Davids sei kein Jude gewesen, sondern ein "Arier" beziehungsweise bei Bedarf auch ein Vegetarier oder Planetarier, ein Raumschiffe sendender Retter aus atomaren Nöten und Gefahren und überhaupt ein mit allen esoterischen Wassern gewaschener Guru. Überdies habe er keineswegs zölibatär gelebt, sondern sei Ehemann und Familienvater gewesen - geschieden und wieder verheiratet noch dazu

Wurde der Buchmarkt früher nur in periodischen Abständen von sogenannten Jesuswellen heimgesucht, so herrscht seit der ominösen "Verschlusssache Jesus", jener 1991 von Michael Baigent und Michael Leigh verbreiteten Verschwörungstheorie, das der wahre Inhalt der Qumranrollen der Öffentlichkeit verschwiegen werde, permanenter Belagerungszustand. Man möchte meinen, das Repertoire dieser - sozusagen nach dem Motto "Hose runter!" statt "Hosianna!" agierenden - Jesusfälscher sei längst ausgeschöpft, handelt es sich doch bei den meisten dieser vermeintlich sensationellen neuesten Erkenntnisse über Jesus in Wirklichkeit nur um das geschickte Recycling alter und ältester Hüte.

Trotzdem gibt es auch auf diesem Gebiet noch Neues unter der Sonne. In den letzten Jahren hat sich ein neuer Trend abgezeichnet, eine restaurative Tendenz in der Jesusforschung, die nicht mit Stillschweigen hingenommen werden darf.

Frommer Selbstbetrug

Wiederum gibt es welche, die den Anspruch erheben, es besser zu wissen. Gilt es in der neutestamentlichen Wissenschaft als gesichertes Ergebnis, dass die Evangelien frühestens erst rund vier Jahrzehnte nach dem irdischen Wirken Jesu aufgeschrieben wurden, so versuchen es ein paar mit einer "Frühdatierung". Der Bibelhistoriker Carsten Peter Thiede behauptet, eines der in Qumran gefundenen Schriften - das nur 3,94 mal 2,7 cm große, mit ein paar griechischen Buchstaben beschriftete Stück "7Q5" (siehe Abbildung auf Seite 15) - enthielte einen Text aus dem Markusevangelium, also habe diese neutestamentliche Schrift bereits vor dem Jahr 68 existiert, bevor nämlich die Schriftrollen in den Höhlen von Qumran vor den herannahenden Römern versteckt wurden.

Dass diese von der Fachwelt mit guten Gründen abgelehnte Datierung nur unter Zuhilfenahme von wenig plausiblen, ja dem gesunden Menschenverstand geradezu Hohn sprechender Prämissen erfolgen kann, ficht die Besserwisser nicht an. Ziel des Unternehmens ist denn auch gar nicht eine größere wissenschaftliche Erkenntnis, sondern ein fundamentalistischer Trost, den der vom neuzeitlichen Fortschritt verunsicherte Glaube zu finden hofft.

In dem von Walter Brandmüller herausgegebenen Sammelband "Wer ist Jesus Christus?" wird behauptet, "dass die Evangelien zuverlässige Quellen der Geschichte Jesu sind; dass Jungfrauengeburt, Wunder, leeres Grab und Auferstehung als reale historische Sachverhalte erkannt und verstanden werden können", und dies alles in der tiefinnersten Überzeugung, dass "eine elementare Voraussetzung des christlichen Glaubens die Tatsächlichkeit der Ereignisse ist, von denen das Neue Testament berichtet".

Das Missverständnis dessen, was christlicher Glaube heute und im dritten nachchristlichen Jahrtausend sein sollte und ist, könnte größer nicht sein. Mit Verzicht auf kritisches Denken - mit dem guten alten sacrificium intellectus - ist der Glaube nicht zu retten. "Besserwisserei" dieser Art ist nichts weiter als frommer Selbstbetrug. Intellektuell redliche Christen von heute können nicht mehr so naiv glauben wie die Christen zu Zeiten der Vormoderne, sondern müssen die Zeichen der Zeit erkennen und sich abmühen mit den Konsequenzen der historischen Kritik.

Der Autor studierte Theologie, Literaturwissenschaft und Psychologie, er lebt als freier Schriftseller in Rotenturm an der Pinka/Bgld.

Buchtipp

Eine ausführliche Analyse der Jesusfälschungen von rechts und links erscheint demnächst: FALSCHES ZEUGNIS WIDER JESUS. Jesusfälscher auf dem Prüfstand.

Von Josef Dirnbeck. Otto Müller Verlag, Salzburg 2002. 250 S., geb., e 18,-

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