Die Beständigkeit einer INSTITUTION

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Das Amt des Bischofs von Rom ist historisch wie global einzigartig. Volker Reinhardts "Pontifex. Die Geschichte der Päpste" zeichnet dies nach.

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Das Amt des Bischofs von Rom ist historisch wie global einzigartig. Volker Reinhardts "Pontifex. Die Geschichte der Päpste" zeichnet dies nach.

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Brückenbauer, so lautet die Übersetzung des Amtstitels "Pontifex", mit dem sich auch die Päpste seit jeher schmücken. Seit jeher? Für einen Historiker wie Volker Reinhardt, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg, stellt sich diese Frage anders dar als für den katholischen Christen, für den das Papstamt weit mehr als eine historische Dimension aufweist. Und auch ein protestantischer Theologe wird in seiner Beurteilung der Päpste andere Kriterien als die reiner Geschichtswissenschaft anlegen.

Somit sind die Voraussetzungen, unter denen Volker Reinhardts Opus Magnum "Pontifex. Die Geschichte der Päpste. Von Petrus bis Franziskus" sein Thema betrachtet, vorgelegt. Der mehr als 900 Seiten umfassende Band stellt die Pontifikate jedes einzelnen der -nach vatikanischer Zählung - 276 Päpste und dazu noch von 33 Gegenpäpsten dar. Eine schier unerschöpfliche Fundgrube an historischen Fakten hat Reinhardt zusammengestellt - und wer sich von dieser Überfülle nicht abschrecken lässt, erfährt viel von den Bögen und Linien einer zweitausendjährigen Geschichte.

Eine überzeugende Gesamtschau

Das ist dem Buch anzurechnen: Einzelne Episoden aus der Papstgeschichte wie der Investiturstreit, die Laster wie Kunstsinnigkeit der Renaissancepäpste oder der verzweifelte Kampf der Päpste der pianischen Epoche (zwischen Pius IX. und Pius XII.) gegen die Moderne sind ja bekannt. In der Gesamtschau des Buches erschließen sich auch die einzelnen Informationen neu und in ihren Entwicklungen.

"Päpste" gibt es, so Reinhardt, eigentlich erst seit dem 5. Jahrhundert. Seit damals ist der Begriff für den Bischof von Rom bekannt. Und aus Sicht des Historikers erweist sich die Datierung des Anfangs der Papstgeschichte zurück zum Apostel Petrus als erstem "Bischof von Rom" in den Fakten nicht fassbar -sie ist historisch als Projektion späterer Jahrhunderte zu verstehen: Nach dem Jahr 48 verschwindet Petrus aus den zeitgenössischen Quellen, die -wie die Evangelien oder die Apostelgeschichte -natürlich auch keine "historischen" Texte sind.

Volker Reinhardt hält sich denn an die vatikanischen Papstlisten von Petrus an, weil er den "früh wuchernden Legendenbildungen um die ersten Päpste kritisch die dürren Fakten gegenüberstellen" will. Dazu kommt, dass für den Autor von "Pontifex" das Papsttum eine einzigartige Institution darstellt, eine "Ausnahmeerscheinung, die sich aus den Tiefen der Vergangenheit in die Gegenwart verirrt zu haben scheint". Reinhardt nennt da etwa die Multifunktionalität: Der Papst ist Bischof von Rom und Stellvertreter Christi auf Erden -er allein leitet nach Auffassung seiner Kirche dieselbe bis zum Jüngsten Gericht. Neben diesem Primat über die Kirche kam bald der Anspruch auf eine "Aufsichts-und Kontrollfunktion über die Mächtigen der Christenheit", manche Wortführer der päpstlichen Gewaltfülle hätten, so Reinhardt, "diese Hoheit sogar auf die 'Ungläubigen'" ausgedehnt.

Von daher postuliere das Amt einen doppelten Herrschaftsanspruch, der die "Unabhängigkeit von weltlichen Herrschern durch die Verfügungsgewalt über ein eigenen Territorium" verlange. Und diese Konstellation interessiert den Historiker Reinhardt - man darf ihm konzedieren, dass er seinem Vorsatz, diesen Anspruch sine ira et studio darzustellen, durchaus nahekommt.

Auch wenn die Päpste bei der Begründung ihrer weltlichen Ansprüche vor Fälschungen (Konstantinische Schenkung, Pippin'sche Schenkung ) nicht zurückschreckten, beleuchtet dies Reinhardt keineswegs mit dem überheblichen Blick eines "aufgeklärten" Zeitgenossen, sondern ordnet die Ereignisse in die Logik der geschilderten Ansprüche ein. Das macht diese voluminöse Papstgeschichte aus: Das Urteil hat einerseits die Geschichte geschrieben (siehe etwa das Zerbröseln des Kirchenstaats im 19. Jahrhundert), andererseits überlässt es Reinhardt dem Leser, die jeweiligen Entwicklungen für sich selbst einzuordnen.

Polemiken, Hagiografien, Quellen aller Art

Wenn er etwa über Damasus I.(366-384), den er als "ersten Papst" bezeichnet, zeitgenössische Polemiken (Erbschleicherei, Habgier, parvenühafter Lebensstil, Mord und Totschlag bei der Erreichung des Amtes ) den Hagiografien sowie dessen schöngeistigen literarischen Tätigkeiten gegenüberstellt, dann wird klar, wie schillernd auch hier die Quellenlage ist.

Einen Gutteil der Darstellung des ersten nachristlichen Jahrtausends nimmt in Reinhardts Papstgeschichte die Entfremdung Roms von Byzanz ein, viele der geschilderten Entwicklungen erklären einiges, auch der nüchterne Blick auf die großen Konzilien (Nicäa, Ephesos etc.) und deren Glaubensartikel, die an den Bischöfen von Rom fast "vorbeigingen", liefern ein Kolorit, das der Autor knapp, aber virtuos darstellen kann.

In diesem Stil arbeitet sich Reinhardt (und mit ihm der Leser) durch die Jahrhunderte durch, sodass das Panorama einer zeitenübergreifenden Institution sichtbar wird. Man kann dann verstehen, was den Autor an der Darstellung dieser Institution fasziniert.

Bei aller dieser, im Detail spannenden und erkenntnisfördernden Präsentation handelt es sich aber mitnichten um einen bloßen Blick auf die Geschichte. Denn es gelingt Reinhardt auch, das Auf und Ab der Entwicklungen rund um die Päpste so zu positionieren, dass man durchaus Schlüsse in Bezug auf die päpstliche Gegenwart ziehen kann: Das Pontifikat von Franziskus scheint in Rom und anderswo einigen Aufruhr auszulösen -im Lichte der Papstgeschichte besehen ist das alles schon einmal dagewesen. Und ohne allzu platte Mutmaßungen, dass sich die Geschichte wiederholt, darf man manche der aktuellen Auseinandersetzungen in Rom getrost relativieren.

Dass auf ein restauratives Pontifikat ein reformerisches, auf einen konservativen Pontifex ein liberalerer folgt -das alles ist in der Spätantike ebenso vorgekommen wie im Mittelalter, der Renaissance oder auch in den letzten Jahrhunderten. Ein Papst Franziskus, der einem Benedikt XVI. nachfolgt, ist also keine außergewöhnliche Konstellation.

Restauration folgt auf Reform usw.

Man nehme nur die letzten 200 Jahre: Pius VII. (1800-23), der von Napoleon gedemütigte Papst, galt als weltoffenerer Amtsträger, Nachfolger Leo XII. (1823-29) war ein Reaktionär. Auf Pius IX., den Papst des Unfehlbarkeitsdogmas und Totengräber des Kirchenstaates (1846-78), folgte der beweglichere Leo XIII.(1878-1903). Dann kam Pius X. (1903-14), der alles Zeitgemäße als "Modernismus" verteufeln ließ, danach Benedikt XV. (1914-22), der das beim Vorgänger grassierende kirchliche Spitzelwesen abstellte. Mit Pius XI. (1922-39) folgte dann wieder eine restaurative Phase, die mit Pius XII. (1939-58) einen Höhepunkt erreichte. Nun aber kam Johannes XXIII. (1958-63) - und mit ihm das II. Vatikanische Konzil, dem, mehr als 50 Jahre später, auch Franziskus, der Papst "vom anderen Ende der Welt", eine neue Geltung verschaffen will.

Volker Reinhardts "Pontifex" hilft, das alles im Licht der Geschichte zu bewerten.

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