"Die Beziehungen zu den Juden sind entspannter"

Werbung
Werbung
Werbung

Elias Chacour, griechisch-katholischer Erzbischof von Akko und Friedensaktivist, über den Besuch Benedikts XVI. in Nazareth.

Er ist gleichzeitig Israeli, Palästinenser, Christ: Der melkitische Erzbischof Elias Chacour steht der größten christlichen Gemeinde im Heiligen Land vor.

Die Furche: Erzbischof Chacour, Sie haben den Papst in Ihrer Heimatdiözese Nazareth persönlich in seinem Papamobil zur Openair-Messe begleitet, wo ihn rund 50.000 Gläubige singend empfangen haben. Was hat Sie in dem Moment am meisten berührt?

Erzbischof Elias Chacour: Der intensive Blick des Heiligen Vaters, der alles aufgenommen und genau registriert hat. Seine Augen drückten so viel Zuneigung aus für diese von Leid geprüften Christen, die im Heiligen Land beheimatet sind. Ich spürte auch, wie sehr alle Anwesenden den Besuch des Papstes herbeigesehnt hatten! Am liebsten wären sie alle zu ihm hingestürmt. So gelöst habe ich ihn während seiner ganzen Nahostreise nicht erlebt - außer in der überfüllten griechisch-katholischen Kirche von Amman, wo die Menschen sogar übereinandergeklettert sind, um ihm die Hände zu schütteln.

Die Furche: Wird diese Euphorie nachhaltig wirken?

Chacour: Zweifelsohne! Der Papst hat allein schon durch seine physische Gegenwart klar signalisiert, wie wichtig jeder einzelne Christ für den Friedensprozess in unserem Land ist. Er hat ihnen moralisch den Rücken gestärkt, sie ermutigt, weiterhin hier auszuharren und nicht zu emigrieren! Der bisher anhaltende Exodus der Christen ist ja für uns der schmerzlichste Albtraum überhaupt …

Die Furche: Wie können Sie dem konkret entgegensteuern?

Chacour: Das hängt auch in nicht geringem Maß von Euch im Westen ab. Die Christen im Heiligen Land brauchen die Pilger. Nicht nur aus materiellen Gründen. Sie brauchen in erster Linie ihre Solidarität! Oft sind sie entmutigt, weil sie das Gefühl haben, vom Rest der Welt alleine gelassen zu werden. Daher lade ich alle Pilger und Touristen ein, auch den Kontakt zu den "lebenden Steinen" (= Christen) im Heiligen Land zu suchen. Das ist ohne Weiteres möglich, solange die politische Lage in Israel halbwegs stabil bleibt.

Die Furche: Der Papst hat sich in seinen Ansprachen mehrmals für die gleichen Rechte der israelischen Christen, wie sie die Juden genießen, eingesetzt. Besteht die Hoffnung, dass sie in Zukunft auf gleicher Augenhöhe, das heißt nicht mehr als Bürger zweiter Klasse, behandelt werden?

Chacour: Das bezweifle ich - zumindest kurzfristig gesehen. Wir können keine Wunder erwarten. Dafür müsste sich die jüdische Mentalität ändern. Vor allem sind wir Christen den rechtsgerichteten orthodoxen Juden ein Dorn im Auge. Den Heiligen Vater haben sie neulich sogar als "Satan XVI." apostrophiert. Eine Chuzpe! Gottlob gibt es nicht wenig zivilisierte Juden, die ihrerseits der katholischen Kirche auch dankbar sind für die tausenden Familien, die im Zweiten Weltkrieg hingerichtet wurden, weil sie Juden geholfen hatten.

Die Furche: Wie stehen die arabischen Muslime zu ihren christlichen Brüdern?

Chacour: Da muss man auch unterscheiden zwischen den lautstarken Fanatikern, die ähnliche Hassparolen wie die vorher genannte Teufelsbezeichnung von sich gegeben haben, und der stille Mehrheit, die schweigt, um die prekäre Situation nicht unnötig eskalieren zu lassen.

Die Furche: Glauben Sie, dass der Papstbesuch dazu beiträgt, die latenten Spannungen zwischen den drei Religionen zu entkrampfen?

Chacour: Positives kann man zweifellos jetzt schon feststellen: Unsere Beziehungen zu den Juden sind entspannter als vorher. Ministerpräsident Netanjahu hat sich bei mir sogar zweimal ausdrücklich für das gute zwischenmenschliche Klima bedankt. Jetzt müssten jedoch Taten folgen: die von uns dringend geforderte Zwei-Staatenlösung! Einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung hat Staatspräsident Schimon Peres während seines ersten Treffens am 11. Mai mit dem Papst bereits getan: Er hat die offizielle Anerkennung der ersten christlich-arabischen Hochschule ("Mar-Elias-College" in Ibillin, Anm. d. Red.) auf israelischem Boden bekannt gegeben, für die ich mich acht Jahre lang eingesetzt hatte! Den Grundstein für diese Hochschule hat der Papst nach der Messe in Nazareth gesegnet. Doch ein Grund zur Hoffnung?

* Das Gespräch führte Pia de Simony * Nazareth

BUCHTIPP: Elias Chacour - Israeli, Palästinenser, Christ

Von Pia de Simony und Marie Czernin Herder 2007, 223 Seiten, € 20,50

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung