Die Birke weicht dem Überdruss

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Premiere von Iwan Turgenjews „Ein Monat auf dem Lande“ in einer Inszenierung von Stephanie Mohr am Theater in der Josefstadt. Während aber Turgenjew die Seelen bloßstellt, versucht Regisseurin Mohr, einen Psychothriller auf die Bühne zu bringen.

„Die fremde Seele ist ein dunkler Wald“, heißt es bei Iwan Turgenjew (1818–1883), der – typisch für die russische Dramatik – tief in verworrene Sehnsüchte und Leidenschaften blicken lässt. Es sind die feinen Nuancen, die Zwischentöne, die stillen Ambivalenzen, die seine Figuren – wie auch jene Tschechows, der am 29. Jänner seinen 150. Geburtstag gefeiert hätte – ausmachen. Aus ihren verzweifelten Versuchen, der Schläfrigkeit des Alltagslebens auf dem Land zu entkommen, entstehen jene unverhältnismäßigen Momente, die aus dem eigentlich Tragischen die Komödie machen.

Stephanie Mohr setzt in ihrer Inszenierung von Turgenjews „Ein Monat auf dem Lande“ jedoch weniger auf jene subtile Ambivalenz als auf den Ausbruch aus der Starrheit der Situation.

Ein Pool, mit Beschäftigung gefüllt

In der modernen Bühne von Miriam Busch ist der dunkle Wald beschnitten, von den viel besprochenen, symbolstarken Birken ist nicht mehr viel zu sehen. Anstelle der Bäume steht ein leerer Swimmingpool, der zwanghaft mit Beschäftigung angefüllt werden muss. Am Boden des Pools zeigt das erste Bild die Protagonistin des Stücks: Natalja Petrowna, gespielt von Maria Köstlinger, liegt bäuchlings am Boden, für einen Moment hebt sie den Kopf und es wird dunkel. Erst jetzt beginnt ihre atemlose, hektische Tour de Force, deren Ende erst das Anfangsbild auflöst: Im Dunkeln steht sie am Beckenrand, am Sprung in die tödliche Tiefe.

Köstlingers Natalja im Leoparden-Look (Kostüme: Alfred Mayerhofer) ist schrill und überspannt. Neben ihrem Ehemann Islajew (dynamisch: Peter Scholz), der sie als einziger tatsächlich echt zu lieben und schützen scheint, nutzt sie den langweiligen Hausfreund Rakitin (André Pohl) für ihre Zwecke, als sie sich Hals über Kopf in den jungen Hauslehrer Beljajew (Rasmus Borkowski) verliebt. Verfolgt von der Zuneigung Nataljas und deren Pflegetochter Verotschka (kindlich-verspielt: Hilde Dalik) verzweifelt er am Schluss und jammert mit großer Geste: „Ich bin ja so frustriert!“ Das wird unfreiwillig komisch und wäre da nicht Christian Futterknecht als vermögender, aber liebenswürdig tollpatschiger, feister Gutsbesitzer Bolschinzow, der um die hübsche Verotschka wirbt, sowie Sona MacDonald als hintergründig-jungfräuliche Gesellschafterin Lisaweta, deren stumme Blicke oft mehr verraten als das aufgeregte Spiel der Protagonisten, meinte man, es handle sich um ein Drama von Tennessee Williams und nicht Turgenjew. Freilich: Beide Autoren verbindet die genaue Beobachtung der Verhältnisse und ihrer Auswirkungen auf Beziehungen. Doch ist der Schlagabtausch bei Turgenjew ein geistiger, der weder laut noch schrill ist. Subtil stellt Turgenjew die Seelen bloß, während Regisseurin Mohr versucht, einen Psychothriller zu gestalten.

Andere Arrangements

Über all dem liegt die Atmosphäre einer explosiven Hitze: Fliegengewirr und das Surren eines heißen Tages am Land, Köstlinger mit roten Pumps „bewaffnet“ und Rakitins offensichtlich überdrüssig, sagen klar an, dass hier noch etwas passieren wird und muss!

Aber es wäre kein Russe, bliebe Natalja nicht am Ende quasi allein zurück; Rakitin und Beljajew fahren zusammen nach Moskau, Verotschka resigniert und heiratet Bolschinzow, und selbst Lisaweta arrangiert sich in einer Ehe mit dem zynisch-kupplerischen Arzt Spigelskij (Toni Slama), der nur auf ihre Mitgift aus ist. Selbst Sohn Kolja (Skye MacDonald) verschwindet ratlos mit Großmutter Islajewa (Sigrid Marquardt), die im silbernen Glitzerjäckchen ein Golden Girl verkörpert.

Im Theater in der Josefstadt weicht die Birke, das Sinnbild der stolzen russischen Seelen, dem Überdruss einer heutigen westlichen Wohlstandsgesellschaft; und mit ihr die sensible Poetik Turgenjews.

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