Die Botschaft Jesu steht vor der Neuentdeckung

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Eugen Bisers schöngeistigem Entwurf eines glaubwürdigen Christentums ist in vielem zuzustimmen. Die biblische Begründung der Thesen indes ist an einigen Stellen unhaltbar.

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Eugen Bisers schöngeistigem Entwurf eines glaubwürdigen Christentums ist in vielem zuzustimmen. Die biblische Begründung der Thesen indes ist an einigen Stellen unhaltbar.

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Das Christentum muss für jede Zeit neu entdeckt werden." Das ist die Grundthese des Fundamentaltheologen und ehemaligen Inhabers des Romano-Guardini-Lehrstuhls in München, Eugen Biser. Dabei geht es um eine grundsätzliche Wiederentdeckung ursprünglicher, aber durch die Kirchen in Vergessenheit geratener Einsichten. Diese sollen die gegenwärtige Lethargie aus dem ehemals christlichen Europa verbannen und auch die von einem "ozeanischen Atheismus" geprägten Länder zum Glauben an Christus führen. In seinem neuen Buch "Die Entdeckung des Christentums" versucht Biser, dieser Spur genau zu verfolgen.

Das Eigentliche des Christlichen ist nach Biser mit einer revolutionären Entdeckung Jesu gegeben: Es ist dies die Eindeutigkeit des bedingungslos liebenden Gottes für den Menschen.

In der Beziehung zu diesem Gott haben Angst und Furcht keinen Platz mehr. Er ist der uneingeschränkt liebende Vater-Gott. Der zeitliche Abstand zwischen dem historischen Jesus und unserer Zeit wird bedeutungslos, wenn der Glaubende die "mystische Selbstvergegenwärtigung und Wirksamkeit Jesu", ja geradezu den "Identitätstausch" mit ihm in seinem Inneren zulässt. Voraussetzung dafür ist der Glaube an das größte Gotteswunder, die Auferstehung Jesu.

Dem sollte eine veränderte Glaubenssprache entsprechen: Der in abstrakten Sätzen formulierte Gegenstandsglaube müsste durch den Innerlichkeitsglauben ersetzt werden, wobei es vom blinden Gehorsam zum Verstehen, vom formalen Bekenntnis zur persönlichen Erfahrung und vom Leistungsdenken zum verantworteten Glauben kommt.

Unter anderem plädiert Biser für die Rückgewinnung der ästhetischen Dimension der Theologie, die Bilder und Symbole für das Reden von Gott verwendet. Biblische Vorbilder dafür sind Jesu Gleichnisse.

Das Christentum ist ursprünglich keine Religion der Moral, der Doktrinen und Vorschriften, sondern hat vielmehr eine therapeutische Funktion. In Fortsetzung der Wunder Jesu erlebt der Mensch durch die Erfahrung der Nähe Gottes Sinn und Erfüllung. Im Hinblick auf das Kreuz Jesu kann selbst der chronisch Kranke erfüllt leben.

Selbst ein esoterischer Impuls täte der Theologie gut, wenn Esoterik nichts mit Reinkarnationsglauben, astraler Vorherbestimmung und Ähnlichem zu tun hat. Im Sinne einer Hildegard von Bingen sind Körper und Kosmos als Schöpfungen Gottes in Einklang zu bringen und auf diesem Weg innere und äußere Gesundheit zu erlangen.

Gegen die Individualisierung gilt es, die soziale Dimension des Glaubens zu realisieren. Denn nur die Gemeinschaft der Glaubenden ist vollgültiges Subjekt der Gotteserkenntnis. Es liegt nicht nur an den Christen, sondern auch an Juden und Muslimen, sich zu solidarisieren und ihre Erfahrungen mit Gott in einer neuen menschengerechten Sprache zu artikulieren.

Dem schöngeistigen Entwurf Bisers ist in vielem zuzustimmen. Unhaltbar erscheint indes an etlichen Stellen die biblische Begründung seiner Thesen. So etwa, wenn er behauptet, Jesus hätte die Bezeichnung "Arzt" als Hoheitstitel für sich in Anspruch genommen oder der Gekreuzigte hätte sich im Johannesevangelium durch die Übergabe des geliebten Jüngers an seine Mutter mit diesem identifiziert (vgl. Joh 19,26).

Doch das und anderes sind Nebensächlichkeiten verglichen mit seinem Missverständnis der neutestamentlichen Aussagen über Sühne und Versöhnung. Denn hier geht es eben nicht darum - wie Biser vorgibt -, dass der zürnende Gott das Opfer Jesu am Kreuz fordert, um dadurch versöhnt zu werden. Es ist vielmehr Gott selbst, der die Versöhnung schafft, indem er den Menschen wieder durch die Gemeinschaft mit Jesus zu Sohn und Tochter werden lässt. Nicht Gott, der Mensch muss versöhnt werden!

Biser retuschiert die Sühneaussagen des Neuen Testaments mit unhaltbaren Methoden und definiert auf dieser Grundlage undifferenziert und pauschal das Verhältnis von Christentum und Judentum: Letzteres verkünde Gott als liebenden Bundesgott und auch als unnachsichtigen Richter, ersteres jedoch ausschließlich als den bedingungslos liebenden Vater. Die wohl vorhandenen Gerichtsaussagen Jesu widersprechen jedoch nicht seinem Vater-Gott, sondern sollen uns zu einer Lebens-Entscheidung aus Liebe herausfordern.

Die Entdeckung des Christentums. Der alte Glaube und das neue Jahrtausend. Von Eugen Biser. Verlag Herder,Freiburg 2000. 430 Seiten, geb., öS 364,-/e 26,45 Minderheit und Menschenwürde. Christliche Orientierungen.

Von Alfred Klose. Mohorjeva/Hermagoras Verlag, Klagenfurt 2000.64 Seiten, brosch. öS 98,-/e 7,12

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