Die drückende Übermacht des Vergangenen

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Nicolas Brieger inszeniert am Wiener Burgtheater Thomas Bernhards "Der Schein trügt": Brav vom Blatt, beinahe ehrfurchtsvoll - und auf die Kunst der beiden Hauptdarsteller vertrauend.

Die provokatorischen Effekte, die die Literatur von Thomas Bernhard hierzulande zeitigten und Aufführungen seiner Stücke zu veritablen Happenings werden ließen, sind Legende, und sie gehören einer vergangenen Zeit an. Heute sind viele seiner Werke Teil des Kanons auch der österreichischen Schulliteratur. Thomas Bernhard, dessen Tod sich heuer am 12. Februar zum zwanzigsten Mal jährt, ist zum Klassiker avanciert. Vergessen ist auch, dass Bernhard testamentarisch ein Aufführungsverbot für die Republik verfügt hat.

Mit "Der Schein trügt", das seine Uraufführung vor fast auf den Tag genau 25 Jahren in Bochum, in der Regie von Claus Peymann hatte, gedenkt nun das Burgtheater des einstigen agent provocateur. Mit der Inszenierung wurde Nicolas Brieger betraut, der beinahe ehrfurchtsvoll kaum einen Strich wagte und brav vom Blatt inszenierte - und dabei der Kunst seiner beiden Schauspieler vertraute.

Einsamkeit und Langeweile

Wie bei den meisten Theatertexten Bernhards lässt sich sein Inhalt auch hier in wenigen Sätzen zusammenfassen: Das Stück handelt von einem alten Brüderpaar - dem ehemaligen Artisten Karl (dargestellt von Martin Schwab), und Robert (Michael König), einem einst mäßig erfolgreichen Schauspieler - das sich durch den Verlust einer offenbar von beiden geliebten Frau erst einmal wieder im Leben einrichten muss. Um dem Leben eine gewisse Ordnung zu geben und um der drohenden Einsamkeit und Langeweile zu entgehen, sehen die Brüder einander zweimal die Woche, dienstags bei Karl, donnerstags bei Robert, obwohl sie einander kaum etwas zu sagen haben und sich eigentlich nicht gut verstehen. Denn die verstorbene Mathilde, obgleich die Lebensgefährtin von Karl, hat ihr Wochenendhäuschen Robert vermacht, worüber ersterer weniger neidisch, wie er mehrmals versichert, als vielmehr "irritiert" ist. Die Handlungsarmut des Stückes kompensiert Bernhard durch eine umso wortreichere Reflexion, die Entfaltung der seelischen Lage der Figuren in der Rede. Diese bildet das eigentliche Zentrum des Stückes, das als Drama der Existenzbewältigung kunstvoll zwei Selbstgespräche ineinander schachtelt.

"Am Lebensende / noch eine Panne" sagt Karl verbittert zum einäugigen Kanarienvogel "Maggi", als er, auf allen Vieren und in langen Unterhosen den Bruder erwartend, seinem verlaufenen Leben und der erlittenen Irritation durch Mathilde nachhängt. Martin Schwabs Karl ist mürrisch, manchmal unwirsch, wie er sich gegen das Altern, das körperliche und geistige Auseinanderfallen stemmt, aber zu aufgesetzt kauzig und fast zu liebenswürdig, als dass man ihm seine grimmige Pedanterie, seinen Hang zur Perfektion abkaufte oder ihm gar den despotischen Akt der rücksichtslosen Selbstdurchsetzung, mit dem er Mathilde vormals gnadenlos seinen Lebensbedürfnissen anpasste, übel nähme. Groß wird Schwabs Darstellung erst beim Besuch des Bruders, wie er ihn, den Beliebteren, als "größenwahnsinnigen Antischauspieler" mit Sprachfehler verhöhnt oder ihn neidisch belauert, um möglicherweise die Ursache der fortwährenden Irritation durch die "Lebensmittelhändlertochter" zu ergründen. Michael König spielt den ehemaligen Mimen Robert mit jener gestelzten Herablassung, die den Provinzschauspieler erkennen lässt. Sichtlich genervt von den Tiraden über die Zufälligkeit und Zwangsläufigkeit des Lebens, wendet er sich ab und an vom Halbbruder ab, liest lieber in einem Buch oder schwelgt seinerseits eitel in der Erinnerung an vergangene Größe, etwa in der Rolle des Tasso, oder hadert mit der Krankheit, die ihn hinderte den Lear zu geben, das Versäumnis seines Lebens. So verschieden sie auch sind, beide können nicht vom wiederkehrenden Ritual von Besuch und Gegenbesuch ablassen, denn beide brauchen einander gegen das einsame Leben im Alter.

Zwei "Selbstgesprächskünstler"

Nicolas Briegers Bühnenbildner Mathias Fischer-Dieskau übersetzt die Situation kongenial in den Raum. Auf der Vorbühne befindet sich die ganz in geschwärzten Bordeauxtönen gehaltene Wohnung Karls. Die mit militärischer Präzision ausgerichteten fünfzig Paar Schuhe zeugen ebenso von Karls Perfektionswahn wie die verzerrten Möbel die Schieflage seiner existenziellen Situation anzeigen. In der Mitte befindet sich ein riesiger Rahmen, der in seinem scheinbaren Spiegelbild lauter Erinnerungsbilder zu erkennen gibt. Im zweiten Akt, beim Donnerstag-Besuch, ist dort Roberts Wohnung. Noch die Wohnung ist ihm eine Bühne, samt Vorhängen. Aber als Spiegel ist es ein Verweis darauf, dass die Brüder, obwohl "Selbstgesprächskünstler", einander brauchen. So bemerkt Karl einmal: "Wir brauchen Menschen Maggi / wir gehen ein wenn wir lang allein sind / wir bilden uns ein allein sein zu können / Irrtum / wir scheitern."

Denn beide Brüder befinden sich in einer anthropologischen Grundsituation: als Wartende auf die letzten Dinge. Die Gegenwart fliehen sie, weil sie schmerzt, die Zukunft ist ihnen verwehrt. Und wer keine Zukunft mehr hat, dem zeigt sich die Übermacht des Vergangenen, das jedoch nicht so ist, wie es scheint. Denn der Schein trügt.

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