Die Empörung der Herzen geweckt

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Von der Gouvernante für hohe Töchter über die Feuilletonistin, die um jedes Zeilenhonorar froh ist, bis zur Bestsellerautorin und Frauenrechtlerin.

Ihre Karriere als Bestseller autorin, Friedenskämpferin und Frauenrechtlerin war der 1843 in Prag geborenen Bertha Sophia Felicita Gräfin Kinsky nicht in die Wiege gelegt. Kurz vor ihrer Geburt war der 75-jährige Vater gestorben und hinterließ die beinahe fünfzig Jahre jüngere Witwe Sophie, die mit achtzehn Jahren eine so genannte "gute Partie" gemacht hatte.

Wie die meisten jungen Frauen erhielt Bertha keine ausreichende Bildung und war auf die eigene Lektüre angewiesen. Als sie mit 21 Jahren noch immer keinen Mann gefunden hatte, beschloss sie, Gesangsunterricht zu nehmen, um eine Karriere als Sängerin - die ihrer Mutter versagt geblieben war - anzusteuern, musste aber nach einigen Jahren erkennen, dass ihre Begabung nur durchschnittlich war. Mit ihrer Mutter verbrachte Bertha einige Zeit in Berlin, Wiesbaden, Paris und Italien, wo sie Gesangsstunden nahm. Als ihr Erbe aufgebraucht war, musste sie als 30-Jährige daran denken, sich ihren Lebensunterhalt zu sichern. In ihrer Situation war dies nur als Gouvernante vorstellbar.

Flucht in den Kaukasus

1873 trat sie ihre Stellung als Gesellschafterin von vier Töchtern im Haus des Barons Carl von Suttner an, der noch weitere drei Söhne hatte. Bertha fühlte sich in ihrer Stellung wohl und verliebte sich in den um sieben Jahre jüngeren Sohn Arthur Gundaccar. Drei Jahre dauerte die heimliche Liaison, bis sie von der Baronin Suttner entdeckt wurde. Nach einem kurzen Pariser Zwischenspiel, bei dem Bertha als Sekretärin bei Adolf Nobel arbeitete, heiratete das Paar heimlich und beschloss eine Flucht in den Kaukasus. Exotisch, malerisch, orientalisch war das Leben in Georgien, wo sie zunächst bei einigen adeligen Familien Musik- und Französischunterricht gab, bevor das Ehepaar publizistisch zu arbeiten begann und sich für politische Fragen engagierte. Das vor allem, nachdem der Kaukasus im russisch-türkischen Krieg zum Kriegsschauplatz geworden war. Als sie ihre Artikel und Geschichten in verschiedenen deutschen Blättern unterbringen konnten, schien das finanzielle Überleben gesichert. Nach einigen Feuilletons wagte sie sich an Erzählungen, und schließlich wurde ihre Novelle "Ketten und Verkettungen" in der deutschen Kulturzeitschrift Gartenlaube abgedruckt.

Als der Ausbruch des österreichisch-russischen Krieges drohte, kehrten Bertha und Arthur Suttner 1885 nach einer Versöhnung mit den Eltern auf das Gut Harmannsdorf zurück. Doch das Leben in der ländlichen Abgeschiedenheit und inmitten eines konservativen Umkreises gestaltete sich für das antiklerikale und politisch liberale Ehepaar keineswegs problemlos.

Bertha von Suttners literarisches Schaffen war weniger dem künstlerischen als dem wirtschaftlichen Erfolg verpflichtet. 1889 publizierte sie unter dem Titel "Das Maschinenalter" ihre "Zukunftsvorstellungen über unsere Zeit" zu Fragen der Nation, der Erziehung, der Frauenfrage und der Friedensbewegung unter dem Pseudonym "Jemand". Befriedigt stellte sie in ihren Memoiren fest, "daß unter den sehr zahlreichen Kritikern, die ihm spaltenweise Besprechungen widmeten, nicht ein einziger nur auf die Idee kam, daß Jemand' dem schwachsinnigen Geschlechte' angehören könnte." An den vielen ablehnenden Rezensionen ihres im selben Jahr erschienenen Romans "Die Waffen nieder!" musste Suttner erkennen, dass ihre Ängste bezüglich der Vorurteile gegenüber Frauen nicht unbegründet waren. So sehr sie sich um eine Darlegung von rationalen und ökonomischen Argumenten gegen den Krieg bemühte, so wichtig fand sie die emotionale Auseinandersetzung: "Desto besser, wenn sich der Verstand auch gegen den Krieg auflehnt, aber unterdrücken wir darum nicht die Empörung unserer Herzen."

Gegen den Zeitgeist

Zunächst musste die Schriftstellerin feststellen, dass "Die Waffen nieder!" tatsächlich entschieden gegen den Geist der Zeit geschrieben war, denn große Zeitungen lehnten eine Veröffentlichung mit Begründungen wie "große Kreise unserer Leser würden sich durch den Inhalt verletzt fühlen" ab. Bertha von Suttners Buch ist bewusst als Tendenzroman verfasst, und um möglichst wirklichkeitsgetreu die Gräuel des Krieges schildern zu können, machte sie historische Studien, sammelte Material und Dokumente, ließ sich von Soldaten ihre Kampferlebnisse erzählen und las Berichte von Militärärzten und Kriegskorrespondenten. Zur großen Verbreitung des Buches trug bei, dass "Die Waffen nieder!" im Vorwärts, dem Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei, abgedruckt wurde. 1896 publizierte der Verlag Pierson eine Volksausgabe des Buches zum halben Preis. Das Buch wurde in zwanzig Sprachen übersetzt und machte seine Verfasserin weltberühmt.

Bertha von Suttner überschritt mit der Publikation ihres Romans endgültig weibliche Bewegungsräume und wurde zur politisch aktiven Protagonistin der Friedensbewegung. 1891 gründete sie die Österreichische Friedensgesellschaft, deren Präsidentin sie bis zu ihrem Tod war, und nahm in der Folge an fast allen Weltfriedenskonferenzen teil. 1899 war sie Rednerin auf der wichtigen Haager Friedenskonferenz; 1905 fand ihr Engagement in der Verleihung des Friedensnobelpreises öffentliche Anerkennung.

"Fortschrittliche Frauen"

Zudem war Bertha von Suttner eine Mitstreiterin der Frauenbewegung. Kurz vor ihrem Tod und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der von einer Kriegsbegeisterung ungeahnten Ausmaßes begleitet war, schrieb Bertha von Suttner in einem Brief an den "Frauenbund der deutschen Friedensgesellschaft": "Es ist durchaus nicht richtig, wie manche behaupten, die in der Friedensbewegung nur eine unmännliche Sentimentalität sehen, daß alle Frauen von Natur aus dem Krieg abhold sind. - Nein, nur die fortschrittlich gesinnten Frauen, nur solche, die sich zu sozialem Denken erzogen haben, sind es, die die Kraft haben, sich von dem Banne tausendjähriger Institutionen zu befreien, und zugleich die Kraft aufbringen, dieselben zu bekämpfen."

In ihren Schriften wies sie immer wieder darauf hin, dass es "Frauengruppen sind, die Sammlungen für Torpedoboote einleiten" und "Mütter die besten Kunden der Bleisoldatenfabriken" sind. Suttner plädierte für die Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit von Frauen und Männern. Dennoch musste sie erleben, dass sie selbst als "Friedensbertha" und die Friedensbewegung immer wieder als "weibisch" diffamiert wurden. Die ablehnende Haltung kam aus ideologisch durchaus entgegengesetzten Lagern und reichte von Felix Dahn über Rainer Maria Rilke bis zu Karl Kraus und Carl von Ossietzky.

Bertha von Suttner starb am 20. Juni 1914, sieben Tage, bevor in Sarajewo die Schüsse fielen, die den Ersten Weltkrieg einleiteten.

Die Autorin ist Literaturwissenschafterin.

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