Die Enkelin des Pharao am Röntgenschirm

19451960198020002020

Mumien sind stumme Zeugen der Vergangenheit. Im Naturhistorischen Museum wurden ihnen ihre Geheimnisse entlockt.

19451960198020002020

Mumien sind stumme Zeugen der Vergangenheit. Im Naturhistorischen Museum wurden ihnen ihre Geheimnisse entlockt.

Werbung
Werbung
Werbung

Voller Stolz präsentierte Pater Robert Leeb seinen Mitbrüdern die Kostbarkeit aus dem fernen Ägypten: eine angeblich antike Mumie, die der spätere Abt des Stiftes Heiligenkreuz 1720 während einer Pilgerfahrt ins Heilige Land erstanden hatte. Doch der gute Pater hatte sich eine Fälschung andrehen lassen, denn das seltsame Stück hat mit einer altägyptischen Mumie nur wenig gemein: Das Gesicht eines Totenschädels liegt frei und statt eines mumifizierten Körpers befindet sich unter den Bandagen ein Holzgestänge. Der purpurne Samtwulst mit Goldborte, der das Gesicht umrahmt, stammt eindeutig aus dem Spätbarock, ebenso die Phantasie-Zeichen, mit denen die falsche Mumie übersät ist - Zeichen "die man nicht einmal als Pseudo-Hieroglyphen bezeichnen kann", wie Elfriede Haslauer feststellt. "Allein mit Fälschungen könnte man eine eigene Ausstellung machen", lacht die Leiterin der Ägyptisch-Orientalischen Sammlung des Kunsthistorischen Museums Wien, wo die Kuriosität aus Heiligenkreuz mittlerweile gelandet ist.

Doch nicht kunsthistorisch durchaus interessanten Fälschungen, sondern echten antiken Leichnamen widmet sich das Kunsthistorische Museum derzeit: In der Ausstellung "Mumien aus dem Alten Ägypten" werden die Ergebnisse eines interdisziplinären Forschungsprojektes vorgestellt, an dem neben dem Museum das Institut für Histologie der Universität Wien und die Röntgenabteilung des Donauspitals in Wien beteiligt sind. Der gesamte Mumien-Bestand des Kunsthistorischen Museums wurde photographiert, vermessen, gewogen und radiologisch untersucht. Mit 28 Ganzkörpermumien (davon vier Fälschungen) ist dieser Bestand der größte außerhalb Ägyptens.

Die moderne Medizintechnik (Computertomographie, digitale röntgenologische Verfahren) gestattet es, die Mumien zu untersuchen, ohne ihnen Schaden zuzufügen; sie werden gleichsam elektronisch ausgewickelt. Genaue Datierung, Sterbealter, Geschlecht, Krankheiten und sogar die Auswirkungen von Medikamenten und Drogen können somit eruiert werden. Unter anderem konnten Wachstumsstillstandslinien auf den Knochen (aufgrund schlechter Ernährung), Abschliff der Zähne (das Mehl, mit dem die Alten Ägypter ihr Brot buken, war durch Abrieb der Mühlsteine mit Gesteinsmehl durchsetzt), Karies, Wirbelsäulenverkrümmung und Fehlstellung der Hüftgelenke bei den Wiener Mumien diagnostiziert werden.

Bei einem Individuum war sogar eine Schädeltrepanation vorgenommen worden; bei diesem (schon in der Steinzeit angewandten) Verfahren wurde aus therapeutischen Gründen ein münzgroßes Loch in die Schädeldecke gefräst - eine Prozedur, die manche der Behandelten sogar überlebten. Chirurgische Eingriffe waren im Alten Ägypten keine Seltenheit: Unlängst wurden die 4.500 Jahre alten Gräber von Arbeitern gefunden, die am Bau der Pyramiden von Gizeh beteiligt waren; einem der Bestatteten war 14 Jahre vor seinem Tod ein Bein amputiert worden.

Zwischen den Beinen einer der Wiener Mumien liegen die balsamierten Leichen zweier Neugeborener. Anhand einer DNS-Analyse soll nun festgestellt werden, ob es sich - wie vermutet - um eine Mutter und ihre Zwillinge handelt, die alle drei bei der Geburt der Kinder starben. Eine andere Mumie konnte namentlich identifiziert werden, weil die von einer Harz- und Ölschicht verdeckte Inschrift sichtbar gemacht werden konnte: Tamit, Tochter des Nachtefmut, eine "Sängerin des Amun". Bei der Frau, die aus einer im Amuntempel von Karnak tätigen Priesterfamile stammt, könnte es sich möglicherweise sogar um eine Enkelin von Pharao Takelot II. (22. Dynastie, 866 bis 680 v. Chr.) handeln.

In einem für eine Frau bestimmten Sarkophag wurde ein männlicher Leichnam gefunden - eine eindeutig neuzeitliche Kombination, denn die Sarg- und Mumienhändler im Ägypten des 19. Jahrhundert waren nicht zimperlich: Um die enorme Nachfrage nach Mumien (vor allem aus Europa) zu befriedigen, wurden zum Beispiel Mumien aus ptolemäischer Zeit in ältere Särge gelegt - oder überhaupt Fälschungen hergestellt: Kindersärge aus antiken Holzfragmenten oder Mumien aus losen Knochen und Mumienteilen sind keine Seltenheit.

"Mumie" leite sich übrigens von einem Wort des Persischen ab, das Pech, Asphalt und Bitumen bedeutet. Die schwarze Färbung der Mumien wurde nämlich seit der Spätantike fälschlicherweise auf die Verwendung von Pech zurückgeführt. (In Wirklichkeit ist das Schwarz auf das Nachdunkeln der zur Einbalsamierung und im Rahmen der Begräbniszeremonien verwendeten Substanzen zurückzuführen) Da diesem Pech Heilkräfte zugeschrieben wurden, war es bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts üblich, Mumien zu zerreiben und das Pulver als Arznei zu verwenden - eine Horrorvorstellung für jeden Ägyptologen. Wilfried Seipel, Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums, erinnert sich: "Ich selbst habe in der Apotheke meiner Familie noch einen Tiegel mit der Aufschrift pulvera mumiae gesehen" Bis 4. Oktober

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung