Die Erben der Moderne

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Reger geistig-kultureller Austausch herrschte einst zwischen Zagreb und Wien. Eine architektonische Spurensuche.

Nachtruhe herrscht in Zagreb um drei Uhr früh noch nicht. In einem kollektiven Aufbäumen unbändiger Lebenslust vergessen hier junge Menschen Kriegswirren aus der Nachbarschaft und die wirtschaftliche Notlage des Landes an der Kippe. Eine Gründungswelle des Kapitalismus beherrscht Zagreb, Fußgängerzone und die malerischen Gassen des historischen Zentrums sind übersät von kleinen Lokalen. Ein Bier westlicher Provenienz wollen sich alle jungen, gutgekleideten Nachtmenschen leisten. Stella Artois, Amstel, Segafredo, das omnipräsente Coca-Cola, Hollywoodfilme, Benetton-Läden, Plakate mit Diesel-Jeans, Filialen der Raiffeisen-Bank oder der Steiermärkischen: Investoren fassen Fuß in der Stadt.

Gesellschaftliche Systeme aller Epochen haben sich in Zagreb schon immer in Bausubstanz manifestiert.

Im Jahr 1094 erstmals als Bistumsgründung des Ungarnkönigs Ladislaus urkundlich erwähnt, scheint später für kurze Zeit Augustinus' Zweistaatenmodell Gestalt angenommen zu haben: Auf dem Kapitol entstand die Bischofsstadt, die von Klerus, kirchlichen Würdenträgern und Klöstern besiedelt war; gegenüber bekam 1242 die Festung das Privileg der Freien Königlichen Stadt mit Gerichtsbarkeit und freiem Handel. Dynastische Konflikte beendeten die klare Trennung zwischen Kirche und Welt.

Bis 1918 gehörte Zagreb zur Habsburgermonarchie, was sich im Stadtbild deutlich zeigt. Die Gründerzeit zog einen hufeisenförmigen Parkring durchs Zentrum. Nationale Monumentalbauten schmücken diese Promenade. Den krönenden Kulturbau dazu planten - wie in anderen Zentren der ehemaligen Monarchie - die Theaterspezialisten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer. Nationalbibliothek, Museum, Akademie der Wissenschaften und andere repräsentative Bauten zieren das grüne Hufeisen. Wiens Einfluss auf Zagreb ist unübersehbar - der Rathaus-Erbauer Friedrich von Schmidt zeichnete die Pläne für die Zagreber Kathedrale, von ihm ist auch die Akademie der Wissenschaften.

Ende des Historismus

Die Zagreber Architekten begannen, dem stadtbeherrschenden Historismusstil ein Ende zu setzen. Viktor Kovacic war einer von ihnen. Er war in Otto Wagners Meisterklasse und kannte Adolf Loos. Dessen Bauten und Schriften zogen um die Jahrhundertwende weite Kreise. Loos befreite die Architektur vom reproduzierenden Ballast der Jahrhunderte, predigte die Vereinfachung und sprengte in seinem Raumplan die Grenzen durchgehend gleicher Geschoßhöhen. Viktor Kovacic' Haus Frank oder die Hl.-Blasius-Kirche konnten die Loos'sche Radikalität nicht umsetzen, trotzdem wurde Kovacic zum Wegbereiter der Zagreber Moderne. Als Lehrer prägte er Generationen von Architekten, die Otto Wagners Entwurfsprinzipien bis in die sechziger Jahre weitertrugen.

Am deutlichsten ist Wagners Einfluss an Vjekoslavs Bastls Haus Kallina ablesbar. 1903 für den Fliesenfabrikanten Kallina gebaut, muss das Zagreber Majolikahaus den Vergleich mit Wagners Bauten an der Linken Wienzeile nicht scheuen. Abblätternder Putz auf der Fassade dieses Jugendstiljuwels zeigt die wirtschaftliche Notlage, in der sich die kulturell reiche Stadt heute befindet. Wie Kovacic war auch Bastl in Wagners Meisterklasse. Eine städtebauliche Planung von ihm ist der Markt Dolac. Treppen führen vom Hauptplatz auf dieses wohlproportionierte Plateau unter dem Kapitol. Hier bietet eine bunte Händlerschar unter reizvollen roten Schirmen Frischobst, Gemüse und Blumen an.

Nicht nur bei Wagner, auch bei Frank Hoffmann, Hans Poelzig, Adolf Loos oder Le Corbusier gingen Zagrebs Architekten in die Schule. Zur Jahrhundertwende war Wien ein Zentrum der Avantgarde, Zlatko Neumann reiste 1918 hin, um dort Architektur zu studieren. Eines Tages fiel ihm im Volksgarten das Schuhwerk eines Spaziergängers auf. Es war Peter Altenberg, der in damals ungewöhnlichen Sandalen vorbeipromenierte. Neumann sprach ihn an, Altenberg empfahl den 18-Jährigen an seinen Freund Loos weiter. 1920 bis 1922 besuchte Neumann die Adolf-Loos-Bauschule, wurde Loos' Assistent, ab 1923 Leiter seiner Baukanzlei. 1926/27 plante er in Paris an der Villa Zara mit. Zurück in Zagreb, realisierte Neumann den Loos'schen Raumplan im Eingangsfoyer des Mietshauses Deutsch.

Le Corbusier grüßt

Eine andere Schlüsselfigur der Zagreber Moderne war Drago Ibler. Er hatte bei Hans Poelzig gearbeitet. In Zagreb gründete er eine Architekturschule an der Akademie der Bildenden Künste. In dieser Kaderschmiede der modernen Denkungsart legte Ibler großen Wert auf Funktion, Ästhetik, das soziale und psychologische Element der Architektur. Das Haus Wellisch verwirklicht mit horizontalen Fensterbändern, Dachterrasse, freiem Erdgeschoß und Skelettkonstruktion 1931 als eines der ersten in Zagreb Le Corbusiers plan libre. Mit dem Rundbau des Hygiene-Instituts beweist Ibler, dass er als Stadtplaner auf eine Straßenkreuzung mit einem Bauwerk jenseits des rechten Winkels sensibel reagieren kann. Ein Alterswerk ist sein Holzhochhaus im Stadtzentrum.

Stjepan Planic war ein Schüler Iblers, 1936 wurde sein Geschäftshaus Napredak gebaut. Hellblau gestrichen, prägt es mit seiner einprägsamen Rundung den Beginn der Bogoviceva, einer lebendigen Fußgängerzone voller Geschäfte. Die elliptische Form, gleichförmig schmucklose Fenster, der klar strukturierte Baukörper, die Glasfront mit Geschäften in der Sockelzone und der klare Grundriss setzen noch immer einen klaren Akzent der Moderne im Zentrum, obwohl es leider nicht mehr im Originalzustand erhalten ist.

Eine Besonderheit im Stadtbild ist das erzbischöfliche Priesterseminar. Geplant hat es Juraj Neidhart, der bei Peter Behrens in die Lehre ging und bei Le Corbusier arbeitete. Der einzige Bau, den er in Zagreb verwirklichte, bleibt dank des einprägsamen Sternwarteturms im Gedächtnis. Erich Mendelsohns Einsteinturm dürfte Neidhart sehr beeindruckt haben. Mit runden, darüber quadratisch schräg aufsteigenden Fenstern, einem wunderbaren Turmraum, dessen Kuppel man sogar öffnen kann, um das Teleskop ungehindert gegen den Sternenhimmel zu richten, und einem großzügigen Stiegenhaus wird das Ersteigen dieses Turms zum sinnlichen Erlebnis.

In den zwanziger und dreißiger Jahren wurde Zagreb von einem wahren Bauboom erfaßt. Diese Welle dauerte bis 1938. In der Stadtvillensiedlung Novakova entstanden auf einem grünen Hügel eine Reihe qualitativ hochwertiger Bauten. Die Zagreber Antwort auf Werkbund- und Weißenhofsiedlung war weder umstrittenes Experiment, noch gebautes Manifest einer Avantgarde. Sie resultierte aus demWunsch einer aufgeschlossenen Bauherrenschaft nach einer ökonomischen Bauweise. Die etwa zwanzig Häuser bestechen durch ein einheitliches Gesamtbild. Besonders schön ist die elegant über einer massiven steinernen Gartenmauer und Efeu heraus ragende Villa Deutsch von Frane Cota mit ihrer skulpturalen Ausprägung der vorspringenden Rundung in der verglasten Veranda der Sockelzone. Bogdan Petrovic' Novakova 28 mit ihrer markanten Ecklösung und die Novakova 32 in ihrem eleganten Schwung und der klaren horizontalen Fassadengliederung bleiben im Gedächtnis.

Cash-Cow Restaurant

Nach dem Zweiten Weltkrieg furchte die Realutopie des Sozialismus breite, weitläufige Boulevards ins Stadtbild. Die Saat der Moderne wirkte aber in Zagreb bis in die fünfziger und sechziger Jahre. 1958 baute Ivo Vitic ein Wohnhaus von ungewöhnlicher Schönheit. Verschiebbare Holzblenden geben der horizontal gegliederten Fassade zeitlose Lebendigkeit, das große Talent des Architekten im Umgang mit der Farbe gibt diesem Bau einen mediterranen Touch. Nach dem Prinzip Le Corbusiers schwebt der Bau auf Piloten über dem Boden, Laubengänge im Inneren und hochökonomisch-wohlproportionierte Wohnungen schaffen Raumqualität zum Bestpreis. Heute ist der Beton korrodiert, Bewährungseisen blitzen aus der Fassade, das Holz ist teilweise von der Witterung der Jahre in starke Mitleidenschaft gezogen. Trotzdem wohnen Menschen noch immer gerne hier, die starke Ausstrahlung des Hauses ist auch von Bauschäden nicht unterzukriegen.

An der wirtschaftlichen Notlage leiden neben den Wohnblocks, welche die sozialistische Prachtstraße Avenija Vukovar zieren, auch das Rathaus und die Konzerthalle. Geplant von Kazimir Ostrogovic, symbolisiert das 1956 erbaute Rathaus Offenheit und Bürgernähe. Eine lichtdurchflutete Halle zieht sich über alle Geschosse. Der sachte Schwung der Bürogänge gibt viel Flair. Der Bürgermeister blickt aus dem Büro über das neue Stadtviertel, an der Wand hängen Pläne vom Zagreb der Zukunft. Einen Steinwurf entfernt steht der Konzertsaal Lisinski. Marijan Haberle plante dieses Haus. Es beherbergt die größte Orgel Europas, die kleine Halle hat 300 Sitzplätze, die große 1.851. Ein einziger der markanten Luster aus der Slowakei besteht aus 9.200 Kristallen - um sie zu reparieren, fehlt das Geld. Etwa eine halbe Million Besucher zählt die Halle im Jahr, Gewinn bringen tut allerdings nur eines: das Restaurant im Erdgeschoß. Es gilt als einer der mondänsten Luxuslokale Zagrebs.

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