Die Erinnerung an die Urkatastrophe

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Den Ersten Weltkrieg sollte man als den Großen österreichischen Krieg bezeichnen. Eine ehrliche Aufarbeitung der Ereignisse samt ihrer Vorgeschichte ist längst fällig.

Das kommende Jahr wird im Zeichen einer Jahrhundert-Erinnerung stehen - des Ersten Weltkrieges. Und das ist gut so: Denn eine ehrliche Aufarbeitung der "Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts ist längst fällig - war doch Österreich-Ungarn in besonderem Maße involviert, ja, trug eine Art Grundschuld an den Geschehnissen, die am 28. Juni 1914 in Sarajevo ihren Höhepunkt erreichten.

Wie immer gibt es natürlich eine Vorgeschichte. So ist heute unbestritten, dass 1914 Regierungsmitglieder und Diplomaten des Königreichs Serbien vom Attentat eines Terroristenkommandos auf prominente Österreicher gewusst hatten, wenn auch nur vage. Dem Führer der Komitatschi-Einheiten - einer bewaffneten national-serbischen politischen Bewegung - fielen gerade rechtzeitig Jugendliche auf, die in Belgrader Cafés herumlungerten und nichts zu verlieren hatten: ohne Schulabschluss, ohne konkrete Beschäftigung - aber angesteckt von altslawischen Träumen, religiösen Heldenmythen und orthodoxem Hass gegen den lateinischen Katholizismus. Und sie waren Österreicher, seit die Donaumonarchie 1908 die einstmals türkischen Provinzen Bosnien und Herzegowina annektiert hatte.

Arrogante Österreicher

Begonnen hatte alles mit der brutalen Eroberung des Balkans durch die islamischen Osmanen und der gnadenlosen Massakrierung der Balkanchristen in der Schlacht auf dem Amselfeld, "Kosovo polje“, einem Talkessel südöstlich von Sarajevo, am 28. Juni 1389. Der "Westen“ hatte für die tapferen - aber orthodoxen - Serben keinen Finger gerührt und in der Zuschauerloge Platz genommen. Danach haben die "Lateiner“ oft lieber mit den Türken paktiert als den Freiheitskampf der aufmüpfig-unruhigen, aber christlichen Serben gefördert. An die Stelle der hässlichen Türken traten später die eleganten Österreicher, arrogant und geschäftstüchtig. Sie spielten die drei heimischen Volksgruppen geschickt gegeneinander aus und ließen das südlichste Kronland durch das Finanzministerium in Wien und Budapest rigoros verwalten.

Die ganze Welt sollte zur Kenntnis nehmen, dass sich das Heldenvolk zu wehren wisse. Und wenn auch nicht Regierungsmitglieder in Belgrad so dachten, so lagen doch Scharfmacher und dubiose Geheimdienstler längst auf der Lauer. Die Zeit war nach ihrer Auffassung reif zum Tyrannenmord. Hatte Franz Joseph alle Anschläge überlebt, war es einem Anarchisten in Genf gelungen, Kaiserin Elisabeth zu ermorden. Wen aber jetzt für einen neuen Show-Mord aussuchen? Die Wahl fiel auf den Thronfolger Österreichs, auf Erzherzog Franz Ferdinand - der 1914 die k. u. k. Manöver im neuen Kronland visitieren und mit seiner tschechischen Ehefrau Sarajevo besuchen sollte.

Bei den für den Mord ausgesuchten jungen Männern handelte es sich, wie später bekannt wurde, um Österreicher - oder genauer: um Bürger der jüngsten habsburgischen Unruheprovinz, Bosnien. Die eigentliche Terrorgruppe bestand aus dem Gymnasiasten Gavrilo Princip, einem Journalisten, einem Lehrer sowie einem Typographen. Helfer war der Hauptmann der serbischen Grenzwache namens Prvanovi´c, der die Waffen illegal von der "Schwarzen Hand“ aus Belgrad nach Bosnien einschleuste.

Kollektiver Mythos Amselfeld

Kurz später, am 28. Juni, trafen sich die Attentäter mit einem Verbindungsoffizier namens Ciganovic in einem Wald in der Nähe der k. u. k. Militärschießstätte "Topcider“. Man ballerte eifrig, Princip schoss am besten. Jeder der künftigen Attentäter erhielt sechs Bomben, deren Größe jeweils einem Stück Seife entsprach. Und jeder erhielt ein Glasrohr mit Zyankali, dessen Inhalt er nach vollbrachter Tat schlucken sollte. Freilich: Der Mord an Erzherzog Franz Ferdinand sowie dessen Gattin Sophie gelang, der Selbstmord nicht. Experten nahmen später an, dass sich das Zyankali infolge Alters zersetzt haben dürfte. Erst dadurch war später freilich eine gerichtliche Untersuchung unter Lebenden durch die österreichische Justiz - und nach österreichischem Recht - möglich.

Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist der Umstand, dass man in Wien den Zeitpunkt des Besuches von Franz Ferdinand in Sarajevo für den 28. Juni 1914 festgelegt hatte, und dieser Tag im Heiligenkalender der Orthodoxie als Vidovdan (Sankt-Veits-Tag) zu finden ist.

War das in Wien unbekannt? Und warum recherchierte man im Innenministerium oder in der Armeeführung nicht darüber? Im protokollverliebten Wien diskutierte man ja auch sonst jedes zeremonielle Detail ausgiebig. Eine Verschiebung des Manöverbesuches wäre also durchaus plausibel gewesen.

Waren freilich die Umstände mit dem Feiertag allgemein bekannt und wurden sie bewusst unterdrückt, dann handelte es sich wohl angesichts der vielen Slawen im öffentlichen Leben Österreichs um eine Verschwörung. Mag auch sein, dass man in Wien generell zu phantasielos war, um die Gefahr eines Amselfeld-Gedenkens in seiner religiös-nationalen Tragweite überhaupt zu begreifen. Tatsächlich wird ja von den Slawen nicht nur der Tag der Schlacht als Katastrophe empfunden, sondern das gesamte Nachher bis in die Gegenwart.

Hunderttausende flohen nach 1389, Plünderungen, Massenhinrichtungen, Kinderraubzüge fanden statt. Und so wurde Serbien auch durch die Leidensmystik zu einem Golgotha, der Veitstag zum slawischen Erlösungsfest. Vor allem die Tschechen machten mit dem Bau des Veitsdoms in Prag ihre besondere Christlichkeit und Solidarität mit den Südslawen deutlich.

Zur religiösen Dimension kam mit dem Panslawismus die politische. Und mit der Aufklärung beginnend verbanden sich religiöse und politische Gefühlslagen direkt. Statt Aussöhnung über die religiöse "Schiene“ mit den Monarchie-Slawen zu bewirken, zwang Wien mehrmals die orthodoxen Slawen zu üblen Demütigungen und behandelte sie vor allem nach 1848 als Untertanen zweiter Klasse. Was naiv bis verrückt war.

Schicksalstag 28. Juni

Einer serbischen Offiziersverschwörung fiel dann an einem Junitag 1903 der gemäßigte König Aleksandar (Obrenovi´c) zum Opfer. Bis schließlich am 525. Jahrestag der Trauer über die slawischen Opfer die Schüsse von Sarajevo an der Lateinerbrücke ihr Ziel gar nicht verfehlen konnten. Der Große Krieg war danach unvermeidbar geworden.

Auch nach dem Ersten Weltkrieg ging das Veitstag-Gedenken weiter: Am 28. Juni 1948 vollzog der Staatspräsident und kommunistische Partisanenheld Josip Broz Tito den Bruch mit Moskau. Man hatte Belgrads Unterordnung verlangt, aber Tito widersetzte sich. Und am 28. Juni 1989, einige Jahre nach Titos Tod, hielt der serbische Parteichef Slobodan Miloˇsevi´c am 600. Jahrestag der Schlacht mitten auf dem Amselfeld eine zutiefst aufputschende Rede, die zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit katholischen Kroaten und Slowenen, moslemischen Bosniern und Kosovo-Albanern führte. Miloˇsevi´c damals: "Der Kosovo-Heroismus hat uns stolz gemacht, auch in der Niederlage unbesiegbar zu sein.“

Just drei Tage vor dem Amselfeld-Gedenken am 28. Juni 1991 erklärten Slowenien und Kroatien die Unabhängigkeit vom übrigen Jugoslawien. Und am 28. Juni 2001 wurde Präsident Miloˇsevi´c an das Haager Kriegsverbrechertribunal ausgeliefert. Die Regierung in Belgrad war zurückgetreten.

Der Autor war u. a. Chefredakteur der FURCHE (1975/76) sowie Pressesprecher von Bundespräsident Klestil (1994-2004). In diesen Tagen erscheint sein Buch "Der Große Krieg“ (s. o.) - diesen Beitrag verfasste der Autor eigens für die FURCHE.

Der Große Krieg. Österreich im Ersten Weltkrieg 1914-1918

Von Hans Magenschab Tyrolia 2013.

288 Seiten, geb., € 39,95

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