"Die EU-Sanktionen: ein Warnschuss vor den Bug"

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Als Autor zahlreicher Romane ist Pavel Kohout weit über die Grenzen seiner Heimat bekannt und als Dramatiker wohl der meistgespielte tschechische Autor. Anlässlich der Präsentation seines neuen Romans in Wien ein Gespräch mit dem Mitbegründer der Charta 77.

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Als Autor zahlreicher Romane ist Pavel Kohout weit über die Grenzen seiner Heimat bekannt und als Dramatiker wohl der meistgespielte tschechische Autor. Anlässlich der Präsentation seines neuen Romans in Wien ein Gespräch mit dem Mitbegründer der Charta 77.

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die furche: Ist die Charta 77 nur noch Geschichte oder wirkt sie durch die seinerzeitigen Unterzeichner noch im heutigen Tschechien im Kulturbereich oder in der Politik weiter, wenn ja, in welcher Weise?

Pavel Kohout: Die Charta 77 ist natürlich nur noch Geschichte, denn ihr Ziel - das Wiedererlangen der Menschen- und Bürgerrechte - wurde 1989 erreicht. Weiterhin kann als Beispiel dienen, was sie damals weltweit aufstrahlen ließ: Die Fähigkeit führender Geister der geknebelten Gesellschaft, sich allen Meinungsverschiedenheiten und persönlichen Ressentiments zum Trotz zum gemeinsamen Kampf für jene Rechte zu einigen.

die furche: Wie sehen Sie aus Ihrer Sicht die Reife der Tschechischen Republik als Aspirant für die Europäische Union? Glauben Sie, dass eine EU, wie sie jetzt besteht und wie sie sich im Wege der Osterweiterung abzeichnet, tatsächlich für Tschechien einen Gewinn darstellt beziehungsweise welche Gewichtung könnte die Teilnahme Tschechiens an der EU für diese bedeuten? Wie denken Ihrer Meinung nach die Tschechen über das Eingreifen der EU in innerstaatliche Belange - am Beispiel Österreich?

Kohout: Der Beitritt ist unumgänglich sowohl für die Tschechische Republik als auch für alle anderen Staaten Europas. Die EU ist doch die beste Sicherung gegen immer wiederkehrende Machtansprüche, die den Ersten und Zweiten Weltkrieg vom Zaun brachen und deren verheerende Wirkung soeben am Balkan demonstriert wurde. Die Reaktionen auf die EU-Sanktionen gegen Österreich waren verschieden. Ich kann am besten über die eigene sprechen. Ich war für einen Warnschuss vor den Bug (und werde es weiterhin sein), wenn sich in einem der Mitgliedsländer gefährliche Tendenzen abzeichnen - und das war in Österreich zweifellos der Fall. Ich war gegen eine hysterische Kanonade, die auch Unschuldige trifft, und werde es auch in Zukunft sein.

die furche: Wie sehen Sie die Entwicklung im Verhältnis der Tschechoslowakei und der Tschechischen Republik zu Österreich ab der Zeit des Kommunismus bis heute? Hat die Haltung des offiziellen Österreichs und seiner Medien in Bezug auf das AKW Temelin an der bisherigen Entwicklung etwas geändert?

Kohout: Ich fand die Entwicklung äußerst positiv, vor allem auf der Ebene vielschichtiger menschlicher Beziehungen. Die Blockaden hatten leider eine ähnliche falsche Wirkung wie die Sanktionen. Die meisten Tschechen sind für die Kernkraft, weil sie sie für umweltfreundlicher halten als die Energie aus der Kohle, durch die weite Teile des Landes stark betroffen wurden. Auch ich bin mir sicher, dass Temelin nur ans Netz gehen wird wenn es kein Risiko für die - wenn sie gestatten vor allem tschechische - Bevölkerung darstellt.

die furche: In Ihrem neuesten Roman "Die lange Welle hinterm Kiel" geht es um ein brisantes Thema. Kennen Sie diese Problematik als Jahrgang 1928 aus eigenem Erleben? Findet hinsichtlich dieses Themas im tschechischen Volk ein Umdenkprozess statt, insbesondere in der Jugend? Wie sehen Sie persönlich die Problematik der Benes-Dekrete? Und ist überhaupt - folgt man den Intentionen der Vertriebenenverbände - außer einem "humanistischen" Ausgleich eine andere Lösung, ich denke dabei in erster Linie an eine finanzielle, denkbar?

Kohout: Ich bin sehr zufrieden, dass die tschechischen Nachkriegsexzesse gegen unschuldige Sudetendeutsche von den tschechischen Medien in den letzten Jahren schonungs- und lückenlos aufgedeckt werden. Es ist vielmehr die sudetendeutsche Presse, für die oft die Geschichte erst im Jahre 1945 anfängt. Finanzielle Lösungen wie die ehemaligen Landsleute sie sich vorstellen, halte ich für unrealistisch, sie selbst waren es doch, die Mehrheit von ihnen, die sich mit Hitler ihr eigenes Los wählten. Darin sind sich alle demokratischen Parteien in Tschechien einig - die Regierung wie die Opposition - und das im Einklang mit dem Gros der Bevölkerung. Umso wichtiger scheint es mir, dass die tschechische politische Repräsentation den richtigen Ton findet, wenn sie mit den Nachbarn über die gemeinsame Zukunft in der EU spricht. Die Benes-Dekrete sind zweifellos längst erloschen, jetzt sollte es jedoch auch juristisch unzweifelhaft belegt werden - und diese Arbeit muss die tschechische Regierung machen.

die furche: Wie sehen Sie die Lage der Literaten, Schriftsteller, Intendanten, Regisseure usw. in Tschechien heute im Vergleich zu Österreich? Hat in unserem Nachbarland die "Moderne" Vorrang, das heißt werden auch in Tschechien Theaterstücke etc. "aktualisiert" und Risken von der öffentlichen Hand getragen? Daraus ergibt sich die nächste Frage: Wie sichert sich Tschechiens Theaterkultur Publikumserfolge?

Kohout: Eigentlich geht es um sehr ähnliche Probleme, nur sind die Tschechen natürlich viel unerfahrener als meine österreichischen Kollegen. Das Neueste dort wie hier ist der fortschreitende und Besorgnis erregende Rückzug der öffentlichen Hand ohne dass private Sponsoren wirksam gefördert würden. Und was die Erfolge betrifft - hie und da gibt es auch das gleiche und einzige Rezept: Hohe Qualität, die noch dazu nicht langweilt.

die furche: Sie zählen heute zu den wenigen Autoren unserer Zeit, die die gesamte Entwicklung in der tschechischen Literatur nach dem 2. Weltkrieg künstlerisch mitgestaltet haben. Viele von Ihren Altersgenossen haben bereits aufgehört zu schreiben, andere kamen aus den verschiedensten Gründen erst später zum Schreiben. Wie sehen heute ihre Pläne als Schriftsteller, als Dramaturg und als Regisseur aus?

Kohout: Nach zehn Jahren, in denen ich vorwiegend Romane schrieb, kehre ich wieder zum Theater zurück, im Moment schreibe ich meine allererste Crazy-Comedy "Zwei Gorillas und ein Orang-Utan". Die Regiearbeit kostet viel Zeit; die, die mir übrig bleibt, möchte ich sinnvoller ausnützen.

die furche: Was würden Sie selbst für sich als Herausforderung empfinden?

Kohout: Auf Grund meiner Biographie halte ich mein ganzes Leben für eine einzige Herausforderung, und so wird es wohl auch bleiben - da capo al fine. Konkret spüre ich sie heuer zum sechs ten Mal bei der Vorbereitung und Durchführung des "Prager Theaterfestivals deutscher Sprache", bei der immer im November die besten deutschsprachigen Bühnen und Solisten in meiner Geburtsstadt auftreten, wo man einst genauso gut deutsch wie tschechisch Theater spielte. Das Festival avancierte zum wichtigsten Ereignis des Prager Kulturherbstes. Schade nur, dass es bisher nur einen einzigen großen Sponsor aus Österreich gab, nämlich die Erste Bank, dank der wir im vorigen Jahr zum ersten Mal in Prag "Professor Bernardi" zeigen konnten, in der großartigen Burgtheater- Aufführung. Die Sponsoren aus Deutschland haben die Wichtigkeit dieser Präsentation schnell begriffen, das deutsche Theater war deswegen viel stärker vertreten, zuletzt sogar mit dem Großereignis namens "Schlachten!", dem zwölfstündigen Shakespeare-Projekt.

Das Gespräch führte Peter Soukup.

Zur Person: Mitbegründer der Charta 77 Geboren am 20. Juli 1928 in Prag, studierte Pavel Kohout dort Philosophie. Von 1949 bis 1950 war er Assistent des Kulturattaches in Moskau und bis 1952 Chefredakteur der satirischen Zeitschrift "Dikobraz" (Stachelschwein). Als einer der Wortführer des "Prager Frühlings" wurde er 1969 aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen und die nächsten 20 Jahre totgeschwiegen. 1977 verfasste er zusammen mit Vaclav Havel das Gründungsdokument der Bürgerinitiative "Charta 77". Im selben Jahr erhielt er den "Großen Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur". Ende 1979 wurde er bei der Heimreise in die Tschechoslowakei am Betreten des heimatlichen Territoriums gehindert und nach Österreich abgeschoben. Nach 1989 werden seine Werke in seiner Heimat wieder gespielt und gelesen. Einige Romane und dramatische Werke: "So eine Liebe" (1957), "August, August, August" (1967), "Krieg im 3. Stock" (1970) , "Pech unterm Dach" (1974), "Die Henkerin" (1978), "Die Einfälle der heiligen Klara" (1980), "Wo der Hund begraben liegt" (1987). "Ich schneie" (1992), "Die lange Welle hinterm Kiel" (2000).

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