Die stille Revolution, die wir auch Europäische Union nennen, hat uns unglaublich reich gemacht. Wir leben in einer Welt, die sogar die romantischsten Phantasien übertrifft, die wir Europäer je zu träumen gewagt haben. Am Beispiel Europas sieht man, dass Revolutionen nicht immer blutig oder dramatisch sein müssen. Dass sie friedlich und still vor sich gehen können. Man könnte an die 68er-Revolution denken "make love, not war“ und sie auf die EU ummünzen: "make trade, not war“. Dieses Experiment ist gelungen. Statt eines Austauschs von blutigen Schlachten und Kriegen zwischen den Nationen erleben wir einen Austausch von Gütern, Kultur und Dienstleistungen. Wenn irgendetwas Sinn macht, dann die Fortsetzung der europäischen Intergration. Allerdings nicht unter dem bloß ökonomischen Aspekt. Das führt uns aber zur Kernfrage der Zukunft. Jener des Wachstums. Zunächst sollten wir uns einmal darüber wundern, dass die wichtigsten Erfolgskriterien des europäischen Wirtschaftssystems nicht darin bestehen, ob wir ökonomisch reich und gesund sind sondern darin, ob wir wachsen oder nicht. Die Frage, welche sich daraus ergibt, ist nun folgende: Entstehen nicht aus der Vernachlässigung der Folgen unseres Wachstums-Fetisches, der Begrenztheit der natürlichen und menschlichen Ressourcen und der Begrenztheit von Zeit und Raum, erst jene Phänomene, die wir Euro-Krise nennen? Und führt nicht das Paradigma der wirtschaftlichen Expansion erst dazu, über den Zerfall der Union nachzudenken? Man wird schnell jemanden als "naiv“ bezeichnen, der heute sagt, wir können und müssen dieses Paradigma ändern und anders wachsen als bloß wirtschaftlich. Aber auch jene, die vor zwei Generationen behaupteten, dass es ein Europa ohne Krieg und territoriale Expansionsgelüste geben könne, wurden als "naiv“ abgestempelt.
Der Autor ist Professor für Ökonomie an der Karlsuniversität Prag
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!