Die fetten Jahre sind vorbei

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In der niederösterreichischen Gemeinde Loosdorf kämpft man erfolgreich gegen Speckgürtel und Ortskern-Schmelze - und freut sich über zunehmende rechtliche Rückendeckung durch das Land.

Am Vorplatz herrscht Gemächlichkeit: Mütter mit Kindern ketten ihre Einkaufswägen mit Euro-Münzen von der Schlange los und verschwinden im Supermarkt; andere Kunden treten vollbepackt auf den sonnigen Platz heraus und klinken ihren Wagen wieder ein. Es ist Mittag in Loosdorf. Nur wenige haben ihre Spätsommer- Siesta durchbrochen, um hier vorbeizuschauen. Auch beim Friseur ist wenig los, im Sonnenstudio sowieso. Allein im Café herrscht Hochbetrieb - und ein rechtes Hallo, als zwei Loosdorfer erscheinen: Es ist Josef Jahrmann, Bürgermeister der 3.600-Einwohner-Gemeinde nahe Melk, und mit ihm Herbert Schedlmayer, Ortsplaner und Gestalter des Komplexes, der - abgesehen von der Mittagszeit - "sehr gut läuft".

Druck der Betriebe

Seit das "Innerörtliche Einkaufszentrum Loosdorf" im November 2002 eröffnet wurde, gilt es in ganz Niederösterreich als Vorzeigebeispiel für eine Stärkung des Ortskerns - und den Kampf gegen die wuchernden Shopping-Center auf der grünen Wiese. Seit Jahren versucht der Bürgermeister, dem Druck expansionswilliger Betriebe nach einer Baugenehmigung in der Nähe der neuen Autobahn-Abfahrt zu trotzen - auch wenn ihm damit vermeintlich Steuereinnahmen entgehen. Umso mehr bemüht er sich, Betriebe ins Ortszentrum zu locken, um die "Kernschmelze" zu verhindern.

Ein mühsames Ringen, erinnert sich der pensionierte Lehrer und Bezirksschulinspektor Jahrmann, der der Gemeinde seit 1986 vorsteht und für die spö auch im niederösterreichischen Landtag sitzt: "Wir haben einmal ziemlich lange mit einem Eisenwarengroßhändler verhandelt", erinnert er sich. "Aber dann haben wir ihn doch abgelehnt: Wenn der am Ortsrand gebaut hätte, dann hätte der Fachbetrieb im Ort sicher zusperren müssen." Ein schlechter Deal, ist der Bürgermeister nachträglich überzeugt - und bekommt von Ortsplaner Schedlmayer Unterstützung: "Ein Arbeitsplatz auf der grünen Wiese vernichtet drei Arbeitsplätze im Zentrum: Regalschlichter kommen, Facharbeiter gehen", rechnet er vor - und kann sich dabei auf jede Menge Erfahrung berufen. 95 Gemeinden in ganz Niederösterreich werden von Schedlmayers Raumplanungsinstitut beraten und betreut.

Für Loosdorf hat sich der Planer etwas Besonderes einfallen lassen: Um innerhalb des Zentrums eine größere Verkaufsfläche zu erhalten, schlug er vor, ein schlecht genutzte Areal im Zentrum - eine Gärtnerei, ein Transportunternehmen und ein aufgelassenes Gasthaus - abzureißen und stattdessen ein Einkaufszentrum samt Wohnungen im Obergeschoß, Marktplatz und Parkplätzen für die angrenzenden Betriebe zu errichten. Nach mühsamen Verhandlungen mit den Eigentümern wurde das Projekt schließlich umgesetzt. "Das war auch insofern interessant, als es in Loosdorf keinen richtigen Hauptplatz gegeben hat", erklärt Schedlmayer. "Mittlerweile wird dieser Platz recht gut von den Leuten angenommen." Erst vor kurzem habe er mit seiner Jazzformation dort aufgespielt.

"Das große Glück war aber, dass wir ins Loosdorf früher keinen Lebensmittelmarkt an den Rand gebaut haben", betont der Planer. Dass dies zu einer Kettenreaktion führt, weiß auch einer, der punkto Raumplanung "auf der anderen Seite" steht. "Lebensmittelmärkte bringen die höchste Kundenfrequenz - und wenn die weggehen, geht sie den anderen Geschäften verloren", erklärt Wolfgang Richter, der seit 20 Jahren mit seiner Firma "RegioPlan Consulting" Unternehmen hinsichtlich des optimalen Standorts berät. Und dieser Standort liege heute eben bei Autobahnzufahrten, Umfahrungsstraßen oder Kreisverkehren. "Seit tausenden Jahren sucht der Handel immer die hochrangigen Verkehrsverbindungen." Daran habe sich bis heute nichts geändert - nur dass die Routen nicht mehr über den Hauptplatz führten, sondern entlang der Peripherie.

Entscheidend sei optimale Erreichbarkeit - mit dem privaten pkw. Folglich siedeln sich Betriebe dort an, wo genügend Raum für Parkplatz- und Verkaufsflächen zur Verfügung steht. "Rein betriebswirtschaftlich kann man in Österreich ein Lebensmittelgeschäft unter 400 Quadratmetern gar nicht mehr führen", ist Richter überzeugt. Dazu käme ein Kundenstellplatz pro 15 Quadratmetern Verkaufsfläche. Gemessen am Raum, der auf der grünen Wiese zur Verfügung steht, hätten die Innenstädte mit kleinen Flächen, Zufahrtsbeschränkungen und Parkraumbewirtschaftung "fürchterlich schlechte Karten".

Dass sich viele Kaufleute noch immer gegenseitig bekämpfen - statt gemeinsam die Kunden ins Zentrum zu locken -, käme erschwerend hinzu. Auch vielen Bürgermeistern fehle das Verständnis für die neuen Herausforderungen: "Die jammern immer: Unsere Städte sind so tot. Aber wenn es für die einzelne Gemeinde darum geht, einen großen Markt anzusiedeln und Steuereinnahmen zu lukrieren, dann ist es mit den guten Vorsätzen vorbei." Den Loosdorfern bescheinigt er zumindest, mit dem innerstädtischen Einkaufszentrum in die richtige Richtung zu marschieren. "Aber das ist eine kleine Ortschaft. Der Stein der Weisen ist das nicht."

Hoffnung auf Novelle

Indes hofft man, dass die im März in Kraft getretene Novelle des niederösterreichischen Raumordnungsgesetzes eine Trendwende herbeiführen kann. Es ermächtigt die Gemeinden, dichter bebaute Zentrumszonen mit 1.800 Einwohnern zu definieren, außerhalb derer sich nur Handelsbetriebe mit weniger als tausend Quadratmetern ansiedeln dürfen. "So etwas wie das riesige Outlet-Center in Parndorf sollte dann nicht mehr passieren", meint Ilse Wollansky, Leiterin der Abteilung Raumordnung und Regionalpolitik der nieder- österreichischen Landesregierung.

Auch Herbert Schedlmayer, der wesentlich zur Entwicklung der neuen Zentrumszonen-Regelung beigetragen hat, hofft auf ein Ende des Wildwuchses durch die neue Novelle: "Sie kommt sicher spät - aber nicht zu spät."

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