Die Frau im Badewasser

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Der Saisonauftakt im Akademietheater fällt dieses Jahr buchstäblich ins Wasser. Es plätschert, sprudelt und gurgelt ordentlich in Anna Bergmanns Inszenierung des Henrik-Ibsen-Klassikers "Die Frau vom Meer“. Mit dem symbolbeladenen Stück hat Bergmann insgesamt aber so ihre liebe Not.

Es ist eines von Ibsens letzten Dramen, entstanden 1888 in München, vollgepackt mit Naturbildern, kriminalistischen Finessen und psychologischen Zustandsbeschreibungen einer im engen Korsett ihrer eigenen Wertvorstellungen gefangenen bürgerlichen Gesellschaft. Und auch diesmal sind es wieder die Frauen, die versuchen daraus auszubrechen. Sie träumen von einem selbstbestimmten Leben, die Männer hingegen von einer braven Hausfrau, die ihnen den Rücken stärkt und den nötigen Freiraum zur beruflichen Entfaltung schafft. Ibsen ist ein genauer Beobachter seiner Zeit, übt mit seinen Stücken Sozialkritik und unterstützt (beabsichtigt oder nicht) die Rechte der Frauen. Nora aus "Ein Puppenheim“ kann sich ein freies Leben tatsächlich erkämpfen, zahlt dafür aber einen hohen Preis. "Die Frau vom Meer“, Ellida, zerbricht an ihrer inneren Zerrissenheit und den äußeren Moralvorstellungen. Das Meer als Sehnsuchtsort steht als Metapher für ihren verzweifelten Freiheitsdrang.

"What a wonderful world“

Bedrohlich ist das Rauschen des Meeres im ganzen Theatersaal zu hören, dabei steht zunächst nur ein kleines Aquarium auf der Bühne. Im Haus der Familie Wangel, am Ufer eines kleinen Fjords gelegen, bereitet man sich auf die Ankunft des ehemaligen Oberlehrers Arnholm (Tilo Nest mit gewohnt hervorragenden Entertainmentqualitäten) vor, schwenkt norwegische Fähnchen und arrangiert Blumenbouquets. Das trügerische Familienglück wird aus dem Off vom Louis-Armstrong-Hit "What a wonderful world“ und von einigen tänzelnden Schritten noch unterstrichen. Doch glücklich wird hier niemand. Die beiden Töchter sehnen sich vergeblich nach Abenteuern, die Stiefmutter Ellida (Christiane von Poelnitz) nach einem geheimnisvollen Seemann.

Der Vater (Falk Rockstroh) sorgt sich um seine labile Ehefrau, die nach dem Tod des gemeinsamen Sohnes alle Lebensfreude verloren hat. Arnholm, der Freund aus alten Tagen, soll sie auf andere Gedanken bringen. Der hat aber nur Augen für die älteste Tochter Bolette (Alexandra Henkel), die wiederum am liebsten mit dem sensiblen Neokünstler Lyngstrand (Christoph Luser) durchbrennen will, welcher - um den Liebesreigen zu schließen - von der Jüngsten, Hilde (Jasna Fritzi Bauer), einer rotzfrechen Göre im Teenageralter, in Beschlag genommen wird. Dazwischen schwänzelt das Multitalent Ballested (Franz J. Csencsits), eine geisterhafte Erscheinung, die einem Pedro-Almodóvar-Film entsprungen scheint, zwischen den Protagonisten herum, gibt einmal den Tanzlehrer, dann wieder den Fotografen und den Hausgehilfen.

Die düsteren Erinnerungen an den Tod des Kindes, die manisch-depressiven Gemütszustände Ellidas ebenso wie ihre sehnsüchtigsten Wünsche werden ausschnitthaft an die Bühnenwand projiziert. Die Musikvideoästhetik dieser kurzen Filmsequenzen schafft atmosphärische Bilder, ebenso wie der vielfältige Einsatz von Wasser in unterschiedlichster Form. Ob vom Schnürboden herab, aus der Blumenvase oder einem versteckten Wasserbecken unter den Dielenbrettern - von überall dringt es ins Haus der Wangels ein.

Amüsant sind diese Wasserspiele allemal, ob jede der vorgeführten Rutschpartien beabsichtigt ist, bleibt offen, die Schauspieler planschen jedenfalls mit großer Hingabe durchs Badewasser. Hohen Unterhaltungswert haben auch Nests Schwimmversuche im Aquarium, wendig wie ein Fisch macht er darin die tollsten Kunststücke. Nest und von Poelnitz bekommen für ihre Performance mit Sicherheit das Freischwimmerabzeichen, ansonsten fehlt es aber an schauspielerischen Höhepunkten.

Zu viele Handlungsfäden

Bergmann setzt auf eine stark gekürzte Fassung des Stücks, die einige inhaltliche Veränderungen mit sich bringt. So verzichtet sie auf die Figur des Seemanns und bringt ihn nur als Hirngespinst Ellidas zur Sprache. Der Tod des Kindes bleibt im Unklaren, vielleicht war es die Mutter selbst, die ihren Sohn getötet hat. Ist sie Ehebrecherin oder Vergewaltigungsopfer? Realität und Wahn sind kaum zu unterscheiden. Das macht die Figur der Ellida vielschichtiger und wirft neue Fragen auf. Ihre inneren Konflikte driften immer mehr vom Psychologischen ins Pathologische ab. Von Poelnitz spielt sie genau so, als eine Badenixe mit ausgeprägter Persönlichkeitsstörung mitten im Nervenzusammenbruch; mit zunehmend zerzauster roter Mähne, mit am klatschnassen Körper klebenden Kleidern.

Zu Recht entlarvt Bergmann den Schluss als trügerisches Happy End. Wangel gibt seine Frau frei, doch Ellida bleibt nicht, wie im Original vorgesehen, bei ihrem Mann, stattdessen wählt sie den Freitod. Die Vielzahl an Interpretationsspielräumen verlangsamt das Bühnengeschehen. Bergmann zieht wahllos an Handlungsfäden, lässt diese jedoch viel zu rasch wieder fallen. Es fehlt an Konsistenz und Tempo, über weite Strecken plätschert die Inszenierung recht eintönig vor sich hin, da können auch die gelungenen Musikeinlagen Bauers und Nests nichts daran ändern. Im wilden Wassertreiben geht die Kraft des Stücks verloren.

Die Frau vom Meer

Akademietheater

14. September, 2., 10., 11., 18. Oktober

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