Die ganz tiefe Weise der Gastfreundschaft

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"Gast im Kloster" sein ist ein Angebot, das von immer mehr Menschen nachgefragt wird. Dabei geht es nicht um "spirituelle" Wellness, sondern um Mitleben und Mittun in einer Gemeinschaft, die sich anderen Werten verpflichtet weiß als die säkulare Konsumgesellschaft.

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"Gast im Kloster" sein ist ein Angebot, das von immer mehr Menschen nachgefragt wird. Dabei geht es nicht um "spirituelle" Wellness, sondern um Mitleben und Mittun in einer Gemeinschaft, die sich anderen Werten verpflichtet weiß als die säkulare Konsumgesellschaft.

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Das Mittagessen ist vorbei. Die Johannesbrüder räumen gemeinsam mit ihren Gästen die Tische ab. Im sogenannten Refektorium, dem Speisezimmer des Klosters. Geredet wird nicht viel. Schon beim Essen nicht. Nur an Sonn-und Feiertagen wird nach dem Hauptgang miteinander gesprochen. Heute liest ein Bruder während des Essens einen geistlichen Text über einen Hymnus an den Heiligen Geist. Dann wieder Stille. Geredet wird erst in der Küche.

Seit 1998 leben die Johannesbrüder in Marchegg, wo die March die Grenze zur Slowakei bildet. Sie haben keinen Geschirrspüler, sie waschen nach jeder Mahlzeit gemeinsam ab. Die Brüder krempeln die Ärmel ihres schlichten, grauen Ordensgewandes auf. Der eine nimmt die Flasche Spülmittel zur Hand und bringt die Teller mit einem Schwamm auf Hochglanz, der andere trocknet ab. Menschen, die in der Gemeinschaft zu Gast sind, helfen mit, wo sie gebraucht werden.

Florian Vorisek, der kürzlich mit seinem Theologiestudium fertig geworden ist, spürt die Gastfreundschaft der Johannesbrüder gerade in dieser alltäglichen Situation -beim Abwaschen nach dem Essen: "Da ist keiner mehr wert als der andere. Alle begegnen sich auf Augenhöhe." Der 27-Jährige verbringt oft Zeit in der Gemeinschaft und hat von den Johannesbrüdern viel im Umgang mit Menschen gelernt: "Sie strahlen eine totale Offenheit gegenüber Menschen aus. Mich erstaunt jedes Mal aufs Neue, wie sie sich konkret für jeden Menschen Zeit nehmen." Florian trägt ein Holzkreuz an einem Lederband um den Hals, lächelnd erzählt er über die Brüder: "Ich finde es faszinierend, wie harmonisch sie zusammenleben, obwohl sie teilweise charakterlich so verschieden sind. Sie nehmen jeden Menschen so an, wie er ist - ohne Vorurteile."

Die Muslimin im Kloster

Florian hat schon einige Male Ostern bei den Johannesbrüdern verbracht: "Einmal war auch ein junges Mädchen aus dem Iran da, eine Muslimin. Für sie war die Umgebung ganz neu. Sie hat sich in der Gemeinschaft und der Klosterkirche wohlgefühlt. Das Mädchen hat auch bei den Vorbereitungen mitgeholfen. Sie war ein Teil unserer Gemeinschaft. Das hat mich sehr berührt."

Vor allem junge Menschen zieht es nach Marchegg. Besonders in den Kartagen, die sie mit der Gemeinschaft mitleben. In der holzgetäfelten Klosterkirche begegnen sie Christus in der Form des Brotes in der Monstranz und beten ihn an. In Vorträgen der Brüder setzen sie sich mit den Geheimnissen des Festes auseinander und beichten bei einem der fünf Priester, die in der Gemeinschaft leben. Die Klosterkirche mit ihrem kreuzförmigen Grundriss zieht viele Menschen an. Das runde Glasfenster über dem Altar schildert in kräftigen Farben die Auferstehung Jesu und das Zusammentreffen mit Maria Magdalena. Ein Klavier und ein Metallophon ersetzen die Orgel. Während der Einkehrtage bringen sich die Gäste mit ihren Talenten in das Gemeinschaftsleben ein: Sie bereiten mit den Brüdern die Gottesdienste vor, musizieren oder gestalten die Kirche, so wie es die Kartage verlangen.

Die Rechtsanwaltsanwärterin Barbara Brückner hat auf ähnliche Weise diese Offenheit der Ordensleute für Gäste gespürt: "Die Türen zum Kloster sind für jeden offen. Die Brüder laden dich ein und interessieren sich ehrlich für den Menschen so, wie er ist." Die 27-jährige Juristin genießt es, nach stressigen Tagen in der Kanzlei Zeit bei den Johannesbrüdern zu verbringen. In ihrem Job muss sich die junge Frau mit schwarzem Kostüm und hohen Absätzen gut präsentieren; in der Gemeinschaft darf sie so sein, wie sie ist: "Die Brüder vermitteln mir das Gefühl, dass ich ein Teil einer großen Familie bin. Jeder geht auf die Gäste zu und integriert sie sofort in seinen Alltag. Was Gastfreundschaft betrifft, legen die Johannesbrüder die Latte für andere Klöster sehr hoch."

"Geöffnet für alle" ist auch das Shalom-Kloster im oberösterreichischen Pupping, wie Pater Fritz Wenigwieser, der Leiter des Klosters, sagt: "Gäste sind stets willkommen, für eine Nacht oder eine kurze Zeit, Freund wie Feind wird aufgenommen. Wir schenken den Menschen einen Vertrauensvorschuss und wollen nicht an ihrer konkreten Not vorbeigehen." Im Jänner haben die Puppinger Franziskaner Flüchtlinge - vier Syrer und sechs Iraner - aufgenommen, die seither in der Gemeinschaft mitleben, sich mit ihren Fähigkeiten integrieren und dankbar für die Aufnahme sind. "Ängste dieser Menschen müssen erst langsam abgebaut werden. Das gelingt am besten, indem wir sie in unser Leben hereinholen und sie mit ganz konkreten Aufgaben an unserem Alltag teilhaben lassen."

Und wieder ist Mittag in Marchegg. Gäste helfen beim Aufdecken. Das Refektorium des Klosters ähnelt den anderen Räumlichkeiten im Kloster: Das Zimmer ist hell und hat eine schlichte Holzverkleidung mit einem Kreuz an der Wand. Die Tische sind Uförmig aufgestellt. Das Mittag-und Abendessen nehmen die Brüder mit den Gästen gemeinsam ein. Sie sitzen nebeneinander; zwischen Gästen und Brüdern wird kein Unterschied gemacht.

Von Bregenz über Pupping bis Marchegg

Bruder Josef-Maria, ein gestandenes Mannsbild, kümmert sich um Hausarbeiten, Garten und Gäste: "Wir sind kein Herbergsbetrieb, wo man bloß günstig zu essen bekommt", erzählt er und lächelt: "Wir nehmen gerne jeden auf. Das Einzige, was wir von den Gästen erwarten, ist, dass sie offen sind." Gastfreundschaft gehört untrennbar zur Lebensweise der Johannesbrüder. Sie wollen, dass sich Gäste bei ihnen wie zu Hause fühlen. Bruder Josef-Maria hat schon viele Gäste betreut, seit er vor 16 Jahren zu den Johannesbrüdern gestoßen ist: "Vieles bewirkt Gott im Verborgenen bei den Menschen, die zu uns kommen. Manchmal merke ich in den Gesprächen, dass Menschen besondere Erfahrungen bei uns gemacht haben. Sie fühlen sich angenommen und haben sich in ihrem Fragen und Suchen weiterentwickelt."

Die Sehnsucht nach etwas Höherem und nach Sinn im Leben erlebt auch Schwester Petra Hiemetzberger im Kardinal-König-Haus bei "Stille in Wien". Die Idee des Projekts im 13. Wiener Gemeindebezirk: Menschen mitten im hektischen Leben der Stadt einen Ort der Stille und der Zurückgezogenheit bieten. "Wir wollen offen sein für Menschen und sie auf ihrem Weg individuell begleiten. Jeder kann für sich sein, für sich vor Gott", erzählt die Schwester von der "Congregatio Jesu". Eine offene Tür mit Brot und Wein - dieses Bild erscheint vor ihrem inneren Auge, wenn sie an Gastfreundschaft denkt. Bei "Stille in Wien" können Menschen genau diese Offenheit erleben. "Weg vom Wirbel der Welt" sammeln sich Menschen im von den Jesuiten und der Caritas betriebenen Kardinal-König-Haus -und orientieren sich neu in ihrem Leben.

Das geschieht mitten in der Großstadt Wien. In einer anderen Stadt, in Bregenz, können sich Gäste bei den Schwestern der Hl. Klara zurückziehen. Eingebunden in die Gemeinschaft beten sie, gehen in die Stille und arbeiten im Kloster mit.

Kräfte aus dem Wüstentag

Im Klostergarten der Johannesbrüder im Osten Österreichs, im Marchfeld, haben viele Gäste spirituelle Momente erlebt, erzählt Bruder Josef-Maria, während er in der alten Scheune neben dem Kloster Kartonschachteln zerkleinert: "Gäste helfen mir oft bei der Gartenarbeit, beim Rosen schneiden, Rasen mähen oder Unkraut jäten." Im Herbst gehen sie den Brüdern beim Holzschlichten zur Hand. Ein großer Holzofen heizt im Winter das ganze Kloster. Bruder Josef-Maria ist von der Vielfalt der Möglichkeiten für Gäste begeistert: "Menschen, die zu uns kommen, sollen geistliche Harmonie finden. Sie nehmen an den Gebetszeiten teil, helfen uns bei unseren Arbeiten und erhalten eine geistliche Lektüre von uns, die sie durch ihren Aufenthalt begleiten soll."

Damit die Brüder die Offenheit für ihre Gäste leben können, haben sie jeden Montag einen sogenannten "Wüstentag" eingeführt. An diesem Tag leben die Brüder zurückgezogen und investieren wenig Zeit in die Betreuung von Gästen. "Am Wüstentag soll noch mehr als sonst Gott im Mittelpunkt stehen. Wir brauchen die Stille, um zur Ruhe zu kommen und unseren Blick auf das Wesentliche, auf Gott zu richten", erklärt Bruder Josef-Maria.

Die Haltung, auf die sich die Brüder besonders an diesem wöchentlichen Wüstentag besinnen, versuchen sie in ihrem ganzen Leben umzusetzen - und auch ihren Gästen weiterzugeben.

Diese Seite entstand in Kooperation mit den Ordensgemeinschaften Österreich. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei Der Furche.

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