Die Gene, der Zufall und der Glaube

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Wir leben doch in spannenden Zeiten: Ob man gar von einer "Wendezeit" sprechen kann, darüber werden künftige Historiker befinden. In der Wissenschaft jedenfalls ist bereits heute von einer "naturalistischen Wende" die Rede. Und die Quellen dafür sind rasch ausgemacht: Denn die übersprudelnden Daten aus Hirnforschung und Genetik fließen zunehmend in unser modernes, naturwissenschaftlich geprägtes Menschenbild ein. Mit im Bunde ist die Evolutionsbiologie, die heute auch für höhere geistige Fähigkeiten des Menschen komplexe Theorien auszuarbeiten weiß -zum Beispiel hinsichtlich des evolutionären Nutzens von Kunst und Kreativität, Moral und Gewissen, selbst von Religion und Religiosität. Dass die aktuelle Form von Darwins Theorie als grundlegender Verständniszusammenhang für biologische Erkenntnisse herangezogen wird, gilt heute als "Common sense".

Spannend wird es somit auch dort, wo das moderne biologische Menschenbild mit anderen Perspektiven in Berührung kommt, zum Beispiel im Dialog- und Spannungsfeld von Wissenschaft und Religion. Im letzten Jahrzehnt wurde etwa die Debatte um Evolutionstheorie und christlichen Schöpfungsglauben wieder besonders heftig, teils auch untergriffig geführt. Während moderne Kreationisten Darwins Lehre aus dem Unterricht verbannen wollten, behaupteten rabiate Atheisten wie Richard Dawkins, kein vernünftiger Mensch könne an Gott glauben und zugleich die Evolutionstheorie akzeptieren. Es meldeten sich aber auch Naturwissenschaftler wie Francis Collins zu Wort, die christlichen Glauben, Genetik und Evolutionstheorie keineswegs im Widerspruch sehen ("Gott und die Gene", 2007). Hinzu kamen jüngste Bestrebungen, konkrete Ansatzpunkte für eine gemeinsame Sicht zu entwickeln.

Im Spiel der Natur

Genau hier knüpft Wolfgang Schreiner an. Molekulare Vorgänge sind sein tägliches Brot: Schreiner ist Professor für Biosimulation und Bioinformatik an der Medizinischen Universität Wien und beschäftigt sich mit der Modellierung von Molekülen im Bereich der Immunforschung. Der studierte Physiker und Mathematiker nähert sich dem Thema also von Seiten der Molekularbiologie -und schlägt mit seinem Buch "Göttliches Spiel" einen großen Bogen, hin zum Versuch einer "Evolutionstheologie". Damit ist eine wissenschaftlich fundierte Neuinterpretation christlicher Inhalte gemeint, ohne den Boden der Heiligen Schrift zu verlassen, wie der praktizierende Christ bemerkt.

Das aufwändige Werk verdankt sich einem jahrelangen Diskussionsprozess mit Theologen, Genetikern und Ärzten. Es war motiviert durch "die mögliche Bestürzung darüber, dass Glaubensinhalte, die bisher für zentral gehalten wurden, nun in Frage gestellt werden", was der Autor "aus eigener Erfahrung mit vielen Christen teilt." Dazu zählen hier vor allem Erkenntnisse, wonach Veränderungen des Erbguts weitgehend zufällig erfolgen. Nur äußerst selten zeitigen genetische Mutationen positive Auswirkungen, zum Beispiel wenn es dadurch zu einer Resistenz gegen Malaria, Pocken oder HIV kommt. In den allermeisten Fällen bleiben sie wirkungslos oder sind von Nachteil für das Individuum, schlimmstenfalls aufgrund von Krebs oder anderen lebensbedrohlichen Erkrankungen. Tritt etwa im BRCA1-Gen eine Veränderung auf, wird das Risiko für Brustkrebs deutlich erhöht. Dies hat zum Beispiel die weltbekannte Schauspielerin Angelina Jolie dazu veranlasst, eine Brustamputation durchzuführen. Bei den Prozessen im Genom, so Schreiner, liegen "funktionelle Vielfalt und tödlicher Schaden oft nur eine einzige Base weit auseinander".

"Zufall als Plan"

Die genetischen "Schöpfungsmechanismen" weisen zwar insgesamt nach oben, denn sie haben Lebewesen mit erstaunlicher Komplexität hervorgebracht -sie gehen aber offensichtlich mit viel Leid einher. Die Theodizee, also die Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts seines Tuns, wird somit auf molekularer Ebene formuliert: Wie lassen sich diese biologischen Befunde mit dem Glauben an einen planenden Gott vereinbaren, der seine Geschöpfe liebt? Und gibt es im chaotischen Tanz der Gene nicht doch Hinweise auf "Intelligent Design" ?

Wer Schreiners Ausführungen folgen will, den erwartet zunächst eine "Tour de force" durch die Mechanismen der molekularen Genetik. Für die eiligen Leser gibt es Zusammenfassungen und eine spezielle Markierung der theologisch interessanten Anschlusspunkte. Der zweite Teil des Buches präsentiert dann die Schlussfolgerungen zur "Evolutionstheologie". Und hier wird unter anderem die Erklärung angeboten, dass Gott im Einzelfall nicht zielgerichtet vorgeht, sondern gerade den "Zufall als Plan" benutzt.

Evolutionäre Bewusstwerdung

Im Zeitalter der boomenden Genforschung lässt sich die Schöpfungsgeschichte neu verstehen, denn der Mensch beginnt seine biologischen Bedingungen zu durchschauen. Sein Intellekt hatte zur Frage nach der Herkunft geführt: "Kaum hatte Adam vom Baum der Erkenntnis gegessen, merkte er, dass er nackt - und damit schutzlos der Natur ausgeliefert -war", so Schreiner. Der Mensch habe das Paradies der Ahnungslosigkeit verlassen und verstehe immer besser, welche Prozesse in ihm wirksam sind. Schreiners Werk sieht gerade in der evolutionären Bewusstwerdung den Schrei nach Erlösung, die durch Jesus Christus "in stärkstmöglicher Solidarität" erfolgt sei -und zwar "durch Trost, indem Gott als Verstehender mitten unter die Seinen kommt."

Wohltuend an dieser grenzgängerischen Abhandlung ist ihr sachlicher und (selbst-)reflexiver Ton. Es werden lediglich Interpretationen vorgeschlagen, so der Autor, der generell für "intellektuelle Demut" plädiert. Im Sinne einer "probeweisen Wahrheit auf Zeit" will er die wissenschaftliche Methodik mit der Falsifizierbarkeit von Hypothesen theologisch ummünzen. Und findet dafür auch in der Bibel Rückhalt, wo es doch heißt: "Prüfet alles und das Gute behaltet."(1 Thess 5,21).

Göttliches Spiel. Evolutionstheologie Von Wolfgang Schreiner. Holzhausen Verlag 2013.373 S., kart., € 29,50

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