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Raubkunst - was ist das eigentlich? Der Begriff hat in den letzten Jahren Konjunktur und geistert gerade jetzt wieder durch die Medien - da die Öffentlichkeit von der Existenz mehr als 1400 verschollen geglaubter Bilder in der Münchner Wohnung des Cornelius Gurlitt erfährt und Österreich mit der Forderung nach der Rückgabe des Beethovenfrieses und dem ebenfalls im Zusammenhang mit dem Thema stehenden überraschenden Rücktritt Tobias Natters konfrontiert ist.

Zunächst meint Raubkunst jene Kunstwerke aus ehemals jüdischem Eigentum, die zwischen 1933 und 1945 arisiert wurden. Doch spätestens der Fall Gurlitt hat auch für die breitere Öffentlichkeit eine neue Facette ins Spiel gebracht: Sogenannte "entartete“ Kunst ist ebenfalls Raubkunst, ist ebenfalls entzogen worden. Sie kann, muss aber nicht in jüdischem Besitz gewesen sein. In den meisten Fällen stammen Kunstwerke, die im NS-Regime solcherart diffamiert wurden, aus diversen Museen. Sie wurden dort konfisziert, 1937 erstmals in einer Großausstellung in München, später auch in anderen Städten gezeigt, devisenbringend verkauft, vernichtet oder einfach irgendwo gelagert. An den unterschiedlichsten Orten tauchen diese Kunstwerke immer wieder auf. Erst 2010 wurden beim U-Bahn-Bau in Berlin elf Skulpturen aus der Ausstellung "Entartete Kunst“ entdeckt. Das sind spektakuläre Fälle, doch zumeist waren diese Werke schon vor ihrem Entzug in öffentlicher Hand, und es haftet ihnen nicht jenes Odium der aus Privateigentum geraubten Stücke an, das dem sensationsheischenden Begriff Raubkunst zu seiner inflationären Verwendung verhalf.

Juristischer Umgang

Wie aber soll man mit den eigentlichen Arisierungen im Kunstbereich juristisch umgehen? Diese Frage ist nicht losgelöst von all den anderen Vermögensverschiebungen, die Krieg und NS-Herrschaft mit sich brachten und die in ihrer Gesamtheit natürlich nie rückgängig gemacht werden können. Trotzdem erfahren Kunstwerke eine besondere Aufmerksamkeit: Die Beschlagnahme von Egon Schieles "Bildnis Wally“ 1998 hat eine bis heute andauernde Dynamik in Gang gesetzt, die Rückgabe von Gustav Klimts "Goldener Adele“ im Jahr 2006 ein eigentümliches nationales Pseudotrauma ausgelöst. Kunstwerke, die nicht zuletzt ihres enormen Wertes wegen den Kunstmarkt umtreiben, trüben vielleicht den Blick auf Entzugsgeschichten zum Teil viel kleinerer Natur. Am Kunstwerk bleibt das Attribut Raubkunst, also der eine unrechtmäßige Transfer, der Kunstraub, gleichsam haften, als hätte er das Stück zu etwas anderem gemacht. Nie würde man von einem Raubtisch oder einer Raubkommode sprechen.

Eine befriedigende Rückabwicklung wird Illusion bleiben - doch muss man sehr genau unterscheiden, was mangelndem Willen zuzuschreiben ist und was schlicht der Unmöglichkeit, all das geschehene Unrecht rückgängig zu machen. Die äußeren Fakten sind schnell aufgezählt: Über das Nichtigkeitsgesetz von 1946, das Rechtsgeschäfte der NS-Zeit für gegenstandslos erklärt, wenn sie Entzugshandlungen betrafen, über die Rückstellungsgesetze der späten 1940er-Jahre und zwei sogenannte Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetze (1969, 1986), die sich auf die in der Kartause Mauerbach lagernden - also konkret bekannten und vorhandenen - Kunstgegenstände bezogen, führt der Weg zum Kunstrückgabegesetz des Jahres 1998. Anders als Deutschland, das zwar die Washingtoner Erklärung vom Dezember 1998 mitunterzeichnet hat, aber keine rechtlich bindende Regelung schuf, erließ Österreich damit ein eigenes Regelwerk, das eine Rückgabe von Kunstwerken aus Bundesmuseen und -sammlungen (bzw. ihre Verwertung zugunsten von Opfern des NS-Regimes über den 1995 eingerichteten Nationalfonds) vorsieht. Provenienzforschung an den Bundesmuseen, die Einrichtung einer Kommission für Provenienzforschung beim BMUKK und mittlerweile zahlreiche Rückgaben sind die Folge.

Österreichs Verantwortung

Der österreichische Staat übernimmt Verantwortung also nur für Raubkunst, die heute im Eigentum des Bundes steht. Und das geht auch gar nicht anders, wollte man nicht jedes Rechtsgeschäft nach 1945 rückabwickeln. Bilder, die Gurlitt von seinem in der NS-Zeit als Kunsthändler tätigen Vater erbte, und die dieser möglicherweise aus Arisierungen erworben hatte, wären daher in Österreich (und sind übrigens auch in Deutschland) keine Restitutionsfälle. Auch das "Bildnis Wally“ aus der als Privatstiftung organisierten Sammlung Leopold ist kein Fall für das Kunstrückgabegesetz. Umgekehrt ist es bedeutungslos, ob das Bundesmuseum, das heute ein Raubkunstwerk beherbergt, schon in der NS-Zeit in den Besitz dieses Stückes gelangt ist, oder etwa erst lange danach, ob also der Erwerb durch das Museum der Entziehungsakt war oder ob das Museum der vierte oder fünfte Eigentümer ist: Zurückgegeben wird in jedem Fall. Hier kommt eine moralische Komponente ins Spiel. Und es geht noch weiter: Zur Raubkunst können sogar Kunstwerke zählen, die schon einmal Gegenstand eines Restitutionsverfahrens gewesen sind - und zwar dann, wenn sie damals aufgrund eines Ausfuhrverbotes von den im Ausland lebenden Anspruchsberechtigten nicht außer Landes gebracht werden durften. Mit der Novellierung des Kunstrückgabegesetzes im Jahr 2009 wurde sein Anwendungsbereich außerdem wesentlich erweitert: Seither unterliegt auch bewegliches Kulturgut aus österreichischen Bundesmuseen und Sammlungen diesem Gesetz. Entzogene Bücher, aber auch Gebrauchsgegenstände, die nicht a priori, sondern erst durch ihre Inventarisierung in einem Museum Kulturgut sind, werden auf diese Weise zu Restitutionsfällen.

Den Begriff Raubkunst in Effekte heischender Absicht als ein marktschreierisches oder — moralisierend — als ein das Kunstwerk gleichsam beschmutzendes und nur durch die Rückgabe reinzuwaschendes Attribut zu verwenden, dieser Zugang lässt den notwendigen sachlichen und differenzierten Blick vermissen. Und dabei könnte gerade die Beschäftigung mit Raubkunst die Möglichkeit bieten, ein Bewusstsein für die vielfältigen und bis heute nachwirkenden Implikationen des NS-Unrechts zu schaffen.

* Die Autorin ist Historikerin in Wien ( www.forschungsbuero.at)

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