Die Gewalt der Gegenwart

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Dirigent Teodor Currentzis und Regisseur Peter Sellars mischten bei den Salzburger Festspielen in der Felsenreitschule Mozarts "La clemenza di Tito" neu auf.

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Dirigent Teodor Currentzis und Regisseur Peter Sellars mischten bei den Salzburger Festspielen in der Felsenreitschule Mozarts "La clemenza di Tito" neu auf.

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Undenkbar eine Krönungsoper, die nicht mit einer Glorifizierung des Herrschers endet. Um ein solches Werk handelt es sich bei Mozarts "La clemenza di Tito". Entstanden ist diese zweiaktige opera seria für die Feierlichkeiten zur Krönung Leopolds II. zum König von Böhmen in Prag. Genauer: zum Finale dieser Festivitäten. Umso mehr lag es auf der Hand, dafür ein Werk in Auftrag zu geben, das den neuen Herrscher in allerbestem Licht erscheinen lässt. Selbst wenn er dafür einen Wandel vom brutalen Diktator zum höchste Milde waltenden König durchmachen muss.

Wie es nach dem Schluss der Geschichte mit Titus weitergeht, bleibt offen. Dass er, nunmehr zum Humanisten geläutert, seine Aufgaben fortführt, scheint unbestritten. Nicht bei den Salzburger Festspielen. Dort stürzt er am Ende aus dem Bett, an das er nach einem Anschlag gefesselt war; zu den Klängen von Mozarts "Maurerischer Trauermusik". Die erwartete Apotheose wird in melancholische Grabesstimmung umgedeutet.

Das bleibt nicht der einzige überraschende Moment dieser für die Felsenreitschule erdachten Inszenierung von Peter Sellars, der erstmals 1992 bei den Festspielen Regie geführt hat. Er versucht diesen späten, bis heute unterschiedlich beurteilten Mozart aus der Perspektive der jüngeren Geschichte zu interpretieren. Unterstützt von der sparsamen Bühnendekoration von George Tsypin: im Wesentlichen an Gefängnisgitter erinnernde Stelen, die hinauf-und hinunterfahren, und Lichtermeere, wie sie nach so manchem Terrorakt in guter Erinnerung sind. Sellars glaubt in diesem Libretto ein Stück der Lebensgeschichte von Nelson Mandela ebenso erkannt zu haben wie eine Vorausahnung so mancher heutiger Brutalität.

Macht in allen ihren Facetten ist das beherrschende Thema dieser Salzburger Festspiele. Dazu passt auch eine solche, bewusst die Gegenwart ansprechende Deutung eines Librettos, das immer schon als wenig bühnentauglich, vor allem veraltet empfunden wurde. Zumindest aus einer solchen Überlegung sind derartige, aus der aktuellen Erfahrung gewonnene Neuinterpretationen legitimiert, selbst wenn man dafür eine andere Finalpointe ebenso in Kauf nehmen muss wie die eine oder andere im Ansatz stecken gebliebene Personencharakteristik. In diesem Falle der Vitellia (eher farblos Golda Schultz), die, wenngleich eine wichtige Drahtzieherin des Geschehens, gegenüber den übrigen Protagonisten beinahe in ein Schattendasein gedrängt wird.

Sakraler Touch

Umso eindringlicher wendet sich Peter Sellars den übrigen Personen zu: Titus, in dem er ein Ebenbild des Staatsmannes Nelson Mandela sieht (weshalb die Rolle auch einem Farbigen anvertraut ist: dem in der Höhe unterschiedlich glanzvollen, schauspielerisch prägnanteren Russel Thomas), sowie dem Liebespaar Servilia und Annio, die mit Christina Gansch und Jeanine De Bique stimmig besetzt sind. Wobei De Bique überzeugender wirkt, wenn sie nicht als Opern-sondern als Konzertsängerin auftritt. Denn so wie es Sellars um eine radikale Aktualisierung des Stoffs geht, hat sich auch Teodor Currentzis für eine unkonventionelle Fassung dieser "La clemenza di Tito" entschieden. Weil die Rezitative nicht von Mozart, sondern vermutlich von seinem Schüler Süßmayr stammen, verzichtet Currentzis auf sie. Stattdessen kombiniert er den originalen Mozart mit Ausschnitten aus dessen unvollendet gebliebener c-Moll-Messe, dem in derselben Tonart stehenden Adagio samt Fuge und der "Maurerischen Trauermusik". Das verleiht der Oper einen sakralen Touch, ermöglicht ungewohnte berührende Situationen. Mit entsprechend differenziert gezeichneten Rezitativen hätte sich eine ähnliche Wirkung vermutlich ebenso erzielen lassen. Zumal dann, wenn sie Currentzis mit ebensolcher dramatischer Verve gestaltet hätte, wie er an diesem ungewöhnlichen Abend mit seiner perfekt musizierenden music-Aeterna und dem gleichnamigen (Flüchtlinge darstellenden) Chor für stete Hochspannung und differenzierteste dynamische Momente sorgte. Ebenso zwingend seine bis ins äußerste Extrem getriebenen aufwühlend artikulierten Akzente.

Currentzis ist der eigentliche spiritus rector dieser erwartungsgemäß unkonventionellen Produktion, mit welcher der neue Festspielintendant Markus Hinterhäuser wohl den Auftakt für einen neuen Mozart-Opern-Zyklus an der Salzach gesetzt hat. Ob man auch bei den folgenden Produktionen dem Sängerstar dieses "Titus" begegnen wird? Denn schauspielerisch packender und vokal brillanter als Marianne Crebassa kann man den Sesto nicht verkörpern. Modellhaft.

La clemenza di Tito Felsenreitschule -17., 21. August

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