Die Gier lässt selbst tief sitzende Vorurteile vergessen

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Johann Nestroys "Der Talisman" hatte im Theater in der Josefstadt Premiere - mit Erfolg. Michael Gampes Bearbeitung und Regie rücken die gefährlichen Rückschlüsse von Physiologie auf Charakter ins Zentrum.

Mitten im Festwochen-Trubel zwischen neuen ästhetischen Formen und ungewöhnlichen Produktionen hat Johann Nestroys "Der Talisman" im Theater in der Josefstadt Premiere - und überzeugt. Regisseur Michael Gampe hat erwartungsgemäß jegliche biedermeierliche Niedlichkeit vermieden und Nestroys scharfe Kritik an Diskriminierung, Einfalt und Habgier herausgestrichen. Der von der Zensur des Metternich-Regimes drangsalierte Nestroy verfasste seinen "Talisman" im Jahr 1840 als Rundum-Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen. In der Uraufführung hat Nestroy selbst den Titus Feuerfuchs gespielt - das rote Haar als Indiz für Falschheit und "Fuchsigkeit" ist zum Bild dummer, kleingeistiger Zuschreibungen geworden.

In Gampes Bearbeitung und Regie rücken genau jene gefährlichen Rückschlüsse von Physiognomie auf Charakter in den Vordergrund. Was bei Nestroy die roten Haare bedeuten (im Originalmanuskript sind bei diesen Textstellen deutliche Spuren von Eingriffen durch die Zensur sichtbar), sind bei den Nationalsozialisten Gesichts- und Kopfform, die - pseudowissenschaftlich unterlegt - den Unterbau für Rassismus und Eugenik bilden.

Sobald allerdings Titus eine schöne Erbschaft blüht, verwandeln sich die Augen seiner Umgebung und vor allem der Damenwelt in bunte Dollarzeichen. Der Talisman Perücke hat sich in den Talisman Geld verwandelt. Denn die Gier lässt selbst tief sitzende Vorurteile vergessen - und damit hat Gampe das Stück derart in die Gegenwart geholt, dass die Nennung aktueller Bespiele von Korruption jeglichen Rahmen sprengen würde.

Parodie auf das Bürgertum

Gampe aktualisiert sehr behutsam und setzt auf die Parodie des zu Reichtum gekommenen Bürgertums mit ihren Ritualen. Seine Interpretation fokussiert jene Szenen, in welchen die Mechanismen von Karrierismus und Unterdrückung transparent werden.

Das gelingt gut in dem auf weiße Bretterwände reduzierten Raum, der sich für sämtliche Szenen eignet. Zahlreiche dezente Schiebewände öffnen Fenster und Türen. Bühnenbildner Rolf Langenfass hat diese Schiebewände als Guillotinen gebaut, die einerseits an die Brutalität des Polizeistaates erinnern, andererseits Nestroys Waffe - seine Scharfzüngigkeit - materialisieren. Die Bühnenlösung hat aber auch pragmatischen Wert: keine mühsamen Umbauten verzögern den zügigen Aufstieg des Titus.

Florian Teichtmeister spielt diesen mit enormem, jugendlichem Elan. Er betont - leider allzu pathetisch - die revolutionäre Kraft des Titus, der sich jedoch zunehmend der Etikette unterwirft. Gerti Drassl ist - man möchte sagen, wie immer - durch die Bandbreite ihrer Darstellungskunst herausragend. Ihre Salome Pockerl beinhaltet die bittere Traurigkeit ausgegrenzter Frauen, man denkt etwa an Brigitte Mira in Fassbinders "Angst essen Seele auf", die aufgrund ihrer Liebe zu einem Marokkaner systematisch diskriminiert wird.

Die Frauen um sie herum zeichnen sich durch Neid und Konkurrenzdenken aus. Vor allem die Gärtnerin Flora Baumscheer, die Elfriede Schüsseleder herrlich selbstironisch spielt (etwa als sie ihren Fehler entdeckt, einen reichen Erben ausgeschlagen zu haben), sowie die ehrgeizige Kammerfrau Constantia (Sona MacDonald) drehen die Spirale des sozialen Aufstiegs hoch. Als saturierte Frau von Cypressenburg vertritt Marianne Nentwich den Typus der gelangweilten Bourgeoisie, die sich ihre Zeit mit Lyrik vertreibt.

Aufstieg durch Verheiratung

Nutznießer der Zänke ist Knecht Plutzer(=Kürbis)kern (für den Nestroy auch den Namen Krauthappel erwogen hatte), den Otto Schenk unprätentiös und scharfzüngig wie das allgegenwärtige Fallbeil als zynischen, verschmitzten Alten gestaltet.

Gampes "Talisman" ist ein Stück über Frauen, welchen - im Gegensatz zu den Männern - sozialer Aufstieg nur durch Verheiratung gelingt. In einem der leider flauen und mühsam konstruierten Couplets besingt Drassl die immer noch geschlechterungleichen Verhältnisse. Betont wird die Frauen-Power durch das Katrin-Weber-Trio (Klavier, Saxofon, Schlagzeug), das tollen Jazz spielt.

Damit ist Gampe eine solide, kurzweilige Inszenierung gelungen, die voraussichtlich zum Renner der Josefstadt der kommenden Saison wird.

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