Die Grenzen der Grenzüberschreitung

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Das Europäische Forum Alpbach auf der Suche nach Europa in den Medien.

Lässt man die Themen des Forums Alpbach seit 1945 Revue passieren, so fällt auf, dass Wissenschaft, Information und Bildung besonders häufig wiederkehren. Darüber wurde immer politisch diskutiert und immer in europäischer Perspektive. Verändert haben sich die Transportwege, nicht nur ins ehedem schwer zugängliche Bergdorf. Politik wird heute sehr wesentlich auf der Plattform der Medien gemacht, und Information ist ohne elektronische Kanäle beinahe undenkbar geworden. Unterdessen hat sich auch Europa verändert. Was vor einem halben Jahrhundert erst angedacht wurde, hat einen erstaunlichen Realitätsgrad erreicht. Das Thema der Mediengespräche 2004 (2.-4. September) drängt sich daher geradezu auf. Vier Monate nach der größten Erweiterung der EU wird in Alpbach nach der grenzüberschreitenden Rolle der Medien gefragt.

Machtverschiebung

Die Medien sind aus dem Schatten eines nützlichen Hilfsmittels in eine Machtposition gewechselt und daher zum Diskussionsstoff geworden. Gewiss, das ist nicht neu, wenigstens zwei Jahrhunderte dauert der Prozess schon; Medien waren daher in Alpbach schon immer zur Sprche gekommen. Aber mit Fernsehen und Internet ist eine kritische Schwelle überschritten worden. Nicht umsonst drehte sich das erste offizielle Alpbacher Mediengespräch 1999 um das Verhältnis von Demokratie und Medienmacht.

Diese Großwetterlage hatte Folgen für das lokale Klima. Schon Anfang der neunziger Jahre gab es einen ersten Anlauf. Herbert Binder, Chef des Niederösterreichischen Pressehauses und damals Präsident des Verbandes österreichischer Zeitungen (VÖZ), pilgerte zum Forum-Alpbach-Gründer Otto Molden und wollte die Medien zum Thema machen. Aber erst angesichts der Jahrtausendwende war es so weit.

Der ORF und der VÖZ hatten gerade einmal ein partnerschaftliches Auskommen und starteten die Mediengespräche in Alpbach gemeinsam. "Die jeweils liebsten Feinde" hätten sich da zusammengeschlossen, meinte Binder in seiner Eröffnungsrede 1999, und das sei keine Selbstverständlichkeit. Einige der Initiatoren im Hintergrund hatten übrigens mit der Furche zu tun. Walter Schaffelhofer, damals wie heute VÖZGeneralsekretär, hatte eineinhalb Jahrzehnte die Furche wirtschaftlich gemanagt; und ihr langjähriger Chefredakteur Hannes Schopf ist seit dem ersten Tag Mitglied im Vorbereitungsteam der Mediengespräche. In diesem denkwürdigen ersten Jahr der Mediengespräche formulierte Albrecht Müller, Willy Brandts ehemaliger Wahlkampfleiter, was anders geworden war: Er konstatierte eine "Machtverschiebung von den Parteien zu den Medien". War die Parteilinie früher von den Parteimitgliedern bestimmt worden, so hatten diese nun "im Vergleich zu den Medien nicht mehr viel zu sagen. Die deutschen Parteien sind im Kern zu machtlosen Wahlvereinen geworden". Das bedeutet, dass die öffentliche Meinung, die von den Medien gemacht und transportiert wird, die Politik in einem bisher nie dagewesenen Ausmaß steuert. Daher drängt sich für eine europäische Veranstaltung die Frage auf, die drei Jahre später eines der Themen der Alpbacher Mediengespräche war: Gibt es eine europäische öffentliche Meinung?

Harte Sprachgrenzen

Es gibt sie nicht. Viele Europapolitiker agieren in einem Vakuum, die Wahrnehmung ihrer Arbeit ist von nationalen Interessen bestimmt. Man spricht von Globalisierung, aber "in vielen Blättern und Sendungen hat das Internationale immer weniger Anteil und das Regionale und Nationale ist den meisten Medien viel wichtiger geworden", sagte schon 2001 Roger de Weck, ehemaliger Zeit-Chefredakteur.

Ein Hauptproblem ist die Sprache. Öffentliche Meinung kann kaum über die Grenzen eines Sprachraums hinweg entstehen, und diese Grenzen zu überschreiten, braucht es einen wirtschaftlichen Aufwand, der sich im medialen Konkurrenzkampf nicht rechnet: Übersetzer, sprachkundige Journalisten und ein dichtes Netz an Auslandskorrespondenten. Man kennt die Übersetzungsprobleme der EU - Brüssel kämpft mit einem Stau von Dokumenten, und es findet sich beispielsweise niemand, der das Maltesische ins Finnische übersetzen könnte.

Also schien es nahe liegend, das große Thema zu redimensionieren: Im Mittelpunkt der Mediengespräche 2004 steht die Verantwortung der Medien für den Dialog über die Grenzen zur Nachbarschaft. Diese Grenzen sind in eineinhalb Jahrzehnten vom Eisernen Vorhang zur offenen Grenze mutiert und sind doch in den Medien nicht viel durchlässiger geworden.

Diese Tatsache beschäftigte in letzter Zeit verschiedene internationale Journalistenvereinigungen. Für Alpbach kam der Anstoß zunächst aus einer anderen Ecke. Das "Forum Kunst-Wissenschaft-Medien" der Katholischen Aktion war der Meinung, dass die Verhandlungen mit den Beitrittsländern von ökonomischen und juridischen Fragen dominiert waren, aber der kulturelle Dialog vernachlässigt wurde. Die Idee, dagegen etwas zu unternehmen, stieß beim Forum-Alpbach-Präsidenten Erhard Busek auf großes Interesse. Seit Buseks Präsidentschaft sind die Kontakte mit den österreichischen Nachbarländern im Norden, Osten und Südosten stark ausgebaut worden, und das schlägt sich auch in diesem Jahr in der Einladungsliste nieder: Ungarn, Polen, Tschechien, die Slowakei, Slowenien und Mazedonien sind vertreten, die Perspektive aus Brüssel wird ebenso eingebracht wie die Sicht der OSZE, die in Wien der Ungar Miklós Haraszti als neuer Repräsentant für die Medienfreiheit vertritt.

Nachbarschaft stiften

Nach dem verheißungsvollen Start 1999 haben sich ORF und VÖZ als Veranstalter aus den Mediengesprächen zurückgezogen. Heuer tritt der ORF zum ersten Mal wieder in voller Besetzung in Alpbach auf. Generaldirektorin Monika Lindner wird ein Eröffnungsreferat halten, und eine Reihe von ORF-Auslandskorrespondenten werden ihre Erfahrungen einbringen. Sie sind es ja, die tagtäglich an die Grenzen der Grenzüberschreitung stoßen: Was interessiert das Publikum zu Hause, wenn aus dem Ausland berichtet wird? Drücken Nachrichten aus den Nachbarländern die Quoten und Auflagenziffern, wenn es sich nicht um Katastrophen oder spektakuläre Skandale handelt? Europa-Bewusstsein und regionale Identität, zentralistische Tendenzen und das Wiederaufleben alter Nationalismen stehen in wachsendem Kontrast zueinander. Daher die Frage: Wie können Presse und Rundfunkanstalten beides gegeneinander abwägen und im Gleichgewicht halten? Wie kann diese Aufgabe ohne Provinzialismus und mit europäischer Offenheit erfüllt werden?

Virtuelle Nachbarschaft?

Die Utopien der Medientheoretiker, wonach uns die Elektronik eine herrschaftsfreie Kommunikation aller mit allen auf der Welt bescheren werde, sozusagen eine Heimkehr ins kommunikative Paradies, zerschellen schon, wenn ich wissen will, was in Prag oder Budapest, in Warschau oder Ljubljana wirklich vorgeht. Daten und Fakten sind leicht eruierbar, aber die Fülle der Informationen verdrängt zunehmend das Wissen. Manfred Jochum, der andere Eröffnungsredner 1999 und damaliger Hörfunkintendant, spricht in seinem Buch "Bis uns Hören und Sehen vergeht" von einem "Kult der Oberfläche". Und er fragt, ob die Rede von den "virtuellen Nachbarschaften" im globalen Dorf nicht nach einiger Zeit als eine der dümmsten modischen Redewendungen gelten wird.

Somit bleibt die Frage offen, was Medien überhaupt zustande bringen. Vielleicht kommt das quotendrückende Desinteresse der Leser, Hörer und Seher gerade davon, dass ihnen die Nachbarschaft, die die Medien stiften können, zu virtuell ist. Dagegen gibt es Mittel: Schriftsteller und Filmemacher führen vor, wie Virtualität berühren kann und fremde Schicksale und Lebensweisen zu beinahe selbst erlebten gestaltet werden können. Das können Journalisten nicht, wenn sie unter dem Druck der hohen Quote, des schrumpfenden Budgets und des Mangels an Zeit stehen. Dort .liegen heute die Grenzen einer nachbarschaftlichen Grenzüberschreitung. Auch darüber wird in Alpbach zu reden sein.

Der Autor ist freier Publizist und war an der Vorbereitung der diesjährigen Alpbacher Mediengespräche beteiligt.

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