Die größere ILLUSION

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25 Jahre nach seinem Tod beschäftigt Salvador Dalí noch immer Bewunderer und Kritiker. Als Meister der Mehrdeutigkeit versteckte er in seinen Bildern oftmals zahlreiche Ebenen.

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25 Jahre nach seinem Tod beschäftigt Salvador Dalí noch immer Bewunderer und Kritiker. Als Meister der Mehrdeutigkeit versteckte er in seinen Bildern oftmals zahlreiche Ebenen.

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Größenwahnsinnig, exzentrisch, geldgierig. Revolutionär, erfinderisch, genial. Markenzeichen: ein aufgezwirbelter Schnurrbart, stechende Augen, elegantes Äußeres. Der 1904 in Katalonien geborene Salvador Dalí polarisiert auch 25 Jahre nach seinem Tod wie kein zweiter Künstler des 20. Jahrhunderts. So kritisch Dalís mitunter zweifelhafte politische Haltung und seine Selbstvermarktung gesehen werden, so ungetrübt ist das Interesse an seiner wegbereitenden künstlerischen Ausdrucksweise. Seine Bilder wie "Die Beständigkeit der Erinnerung" aus dem Jahr 1931 mit den charakteristischen "weichen Uhren" sind längst in das kollektive Bildgedächtnis eingegangen, bis zum Überdruss vermarktet, in jedem Schulbuch abgedruckt. Und dennoch als Sinnbild für die Vergänglichkeit, für die Ungreifbarkeit des Phänomens Zeit, ungebrochen faszinierend.

Dass er bereits als Kind Großes anstrebte, erzählt er in seiner 1942 veröffentlichten Autobiografie "Das geheime Leben des Salvador Dalí":"Im Alter von sechs Jahren wollte ich Köchin werden. Mit sieben wollte ich Napoleon sein. Und mein Ehrgeiz ist seither stetig gewachsen." Seinen eigenen Weg verfolgte Dalí zielstrebig. Das drückte sich bereits gegen Ende des Kunststudiums aus, als der Student die Prüfungsthemen der Abschlussprüfung ablehnte. Dalí erklärte die Lehrer für unfähig und wurde schließlich von der Kunsthochschule verwiesen. Bald folgte der konsequente Aufstieg zum Star-Surrealisten, die Beziehung mit Gala Éluard, der Dreh der Avantgarde-Filme "Ein andalusischer Hund" und "Das goldene Zeitalter" mit Louis Buñuel. Einen Großteil seines Lebens verbrachte Dalí mit seiner Frau in einem aus Fischerhütten gebauten Anwesen im Südwesten Kataloniens am Meer. In den 1970er-Jahren eröffnete er sein eigenes Theater-Museum in Figueres. Hier wurde der Künstler nach seinem Tod am 23. Jänner 1989 auch beerdigt.

Kunst und Kommerz

Dalí begeistert, weil er seine Träume gelebt hat. Und weil er auf unvergleichliche Weise gezeigt hat, dass Träume und Fantasie im Leben entscheidend sind. So meinte er einmal: "Eines Tages wird man zugeben müssen, dass das, was wir Wirklichkeit getauft haben, eine noch größere Illusion ist als die Welt des Traumes."

Dalí vermag bis heute aufzuregen. Weil er in allem extrem war. Weil er die Mauer zwischen Kunst und Kommerz, zwischen Vernunft und Wahnsinn auf überlegte Weise niedergerissen hat. Er hat gewagt, was gemeinhin als verrückt gilt. Dabei ist er zum Vorbild vieler geworden. So manche Werbung oder Auslagengestaltung schöpft heute noch aus dem Erfindungsreichtum Dalís.

Besonders interessant scheint aus heutiger Sicht sein subtiles Spiel mit den unterschiedlichen Medien wie Film, Malerei, Design und Text. Als multimedialer Künstler war Dalí seiner Zeit voraus. Kaum eine Kunstsparte, in der er sich nicht versuchte. So agierte er als Maler, Bildhauer, Filmemacher, Dichter, Buchillustrator, Bühnenbildner, Designer und Performance-Künstler. Vor allem überzeugt Dalís allumfassender Gestaltungswillen. Sein nie enden wollender Erfindergeist. Bekannt wurde sein legendäres knallrotes Lippensofa; weniger bekannt sind andere Erfindungen, die meist auch nicht verwirklicht wurden. Dalí entwickelte Schuhe mit Sprungfedern, die dazu motivieren sollten, lieber zu Fuß zu gehen. Auch eine Wasserhose, in die man hineintreten sollte, um gewaschen wieder herauszukommen.

Dalí brauchte keine großen Materialien, um kreativ zu sein. So befasste er sich zeitlebens mit Alltäglichem. Besonders faszinierte ihn das Grundnahrungsmittel "Brot". Er verwendete es in seinem Frühwerk spielerisch-surreal. 1933 setzte er einer Schaufensterpuppe ein Baguette auf den Kopf und bastelte daraus die Skulptur "Retrospektive Frauenbüste". Auf dem Brot stehen zwei miniaturartige bäuerliche Figuren, die bei der Kartoffelernte ein Gebet sprechen. Offensichtlich hat Dalí hier ein Motiv aus Millets Angelus-Läuten zitiert. Eine Künstleranekdote stellt dieses im Grunde ernste Werk in ein humorvolles Licht: So soll der Hund Picassos bei der Präsentation der Erstfassung gleich Geschmack an dem Brot gefunden haben. Picasso wiederum soll dieser Vorfall die Bemerkung entlockt haben: "Wenigstens ist deine Kunst für irgendetwas gut."

Systematisch Verwirrung stiften

Salvador Dalí beschäftigt Scharen von Schreiberlingen bis heute, weil er ein Meister der Mehrdeutigkeit war. Er hat zahlreiche Bilder gemalt, in denen viele Einzelbilder versteckt sind. In dem Gemälde "Das endlose Rätsel" aus dem Jahr 1938 hat er mindestens sechs Bildebenen ineinander verschachtelt: Berge und am Horizont ein Himmel mit Wolkenformationen. Im Vordergrund eine Reihe von Gegenständen, die realistisch gemalt wirken. Zugleich entschwinden sie immer wieder, lassen sich nicht konkret festmachen. Je länger man das Bild betrachtet, desto mehr kann man aus den mehrdeutigen Formen herauslesen. Liegt da nicht eine männliche Figur im Sand? Und da: ein Stillleben mit einer Obstschale, Birnen und einer Mandoline auf einem Tisch. Hier: plötzlich taucht ein Windhund auf oder dort ein pferdeartiges Fabeltier.

Bereits in früheren Jahrhunderten haben Maler mit Mehrdeutigkeiten gearbeitet und Werke kreiert, die je nach Blickpunkt und Betrachtungsweise unterschiedliche Bedeutungen ergeben. Aber der Surrealist hat diese Methode vor dem Hintergrund der Psychoanalyse auf die Spitze getrieben. Dabei verwies er auf die Macht des Unbewussten im malerischen Prozess. Es leuchte ihm vollkommen ein, so Dalí, dass seine Bilder von Feinden und Freunden nicht auf Anhieb verstanden würden. "Wie sollten sie denn verstehen, wenn ich selber, der sie macht, sie auch nicht verstehe." Zugleich setzte er das Rätselhafte gezielt ein und meinte: "Man muss systematisch Verwirrung stiften, das setzt Kreativität frei."

Hinwendung zu religiösen Themen

Salvador Dalí überraschte seine Fans wie Kritiker auch durch radikale Richtungswechsel. Besonders schwer tat sich die Kunstszene mit seiner Hinwendung zu religiös-spirituellen Themen in den 1950er-Jahren. Denn der Provokateur par excellence, der in seiner Jugend Religionsbeleidigungen und Blasphemie gezielt eingesetzt hatte, bekannte sich im Zuge einer Privataudienz bei Papst Pius XII in Rom 1949 ausdrücklich zum römisch-katholischen Glauben; später heiratete er seine Frau Gala kirchlich. Dalí begeisterte sich für die spanischen Mystiker Johannes vom Kreuz und Teresa von Avila. Und begann eine Serie von Bildern zu malen, in denen religiöse Motive eine zentrale Rolle spielen: etwa "Das ökumenische Konzil","Nukleares Kreuz" oder "Die Madonna von Port Lligat", die er sogar vom Papst segnen ließ.

In diesem Madonnenbild, das in mehreren Fassungen bekannt ist, greift Dalí auf die jahrhundertealte Tradition der sakralen Kunst und ihrer Bildsymbolik zurück. Er zeigt zugleich aber eine Madonna, die die Gesichtszüge von Dalís Frau Gala trägt. Sie befindet sich unter einem Torbogen inmitten einer katalanischen Landschaft, das Jesuskind auf dem Schoß. Umgeben ist sie von christlichen Symbolen wie Fisch, Muschel, Ei.

Dalí schafft bei all den Anleihen aus der Kunstgeschichte etwas, das dennoch ganz im 20. Jahrhundert verwurzelt ist. So lässt er die Gegenstände wie auch die Figur fragmentiert im Raum schweben. Für ihn stellte das den Versuch dar, religiöses Empfinden und moderne naturwissenschaftliche Erkenntnisse aus der Atomphysik zu verbinden. Anlässlich einer Präsentation seines Madonnen-Bildes meinte er: "Während alles im Raum Schwebende auf Spiritualität hindeutet, stellt es ebenfalls unser Konzept des atomaren Systems dar - das heutige Pendant zur göttlichen Gravitation."

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