Die große Einsamkeit des Dichters

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Wie das Volkstheater Elfriede Jelineks Robert-Walser-Hommage mit (fast) allen Mitteln zum abendfüllenden Stück macht.

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Wie das Volkstheater Elfriede Jelineks Robert-Walser-Hommage mit (fast) allen Mitteln zum abendfüllenden Stück macht.

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Auf dem Programm steht "er nicht als er (zu, mit Robert Walser" von Elfriede Jelinek. Er nicht als er - das heißt bei dieser jüngsten Premiere des Wiener Volkstheaters in der Reihe "frontal" auch: der Zuschauerraum nicht als Zuschauerraum, der Bühnenraum nicht als Bühnenraum. Das Publikum sitzt auf der Bühne und genießt - oder auch nicht - das Geschehen einmal aus anderer Perspektive. Die sechs Darstellerinnen und Darsteller agieren vorwiegend im Zuschauerraum oder an der Bühnenrampe.

Geschehen? Agieren? Im Grunde treffen diese Ausdrücke nur bedingt zu, denn ein Drama hat Elfriede Jelinek wieder nicht geschrieben. Es gibt keine durchgehende Handlung, keine Rollen. Es gibt lediglich einen Text von zwölf Manuskriptseiten, aus dem Regie und Mitwirkende mit allen Mitteln der Kunst ein abendfüllendes Programm zu machen versuchen. Pardon, nicht mit allen Mitteln, jedenfalls nicht mit den heute so beliebten primitiven Regietheaters: Wer Nacktheit und Sex, Gewalt und Blut sehen will, ist bei dieser Vorstellung auf dem falschen Dampfer.

Aber zum Kunstgriff der mehrmaligen Wiederholung von Textpassagen, zum Abspielen einer langen Mozart-Arie muß schon gegriffen werden, um ohne Pause 80 Minuten Spielzeit zu erzielen, 80 Minuten, die bei aller Anerkennung für die sprachliche Qualität dieses Jelinek-Textes, zumindest großer Teile davon, zeitweise recht lange erscheinen können.

Daß es um das Seelenleben eines in seine eigene Welt versponnenen künstlerischen Menschen geht, wird von der ersten Szene an, zuerst durch Pantomime und Tanz, deutlich. Daß es um den - unter anderen von Franz Kafka hochgeschätzten - Schweizer Dichter Robert Walser (1878-1956) geht, muß man freilich wissen oder im Programmheft nachlesen. Walsers freiwilliger Rückzug in eine Nervenklinik, wo er seine letzten Lebensjahrzehnte verbrachte, inspirierte Elfriede Jelinek zu einem Werk, das allgemein die Not eines Dichters oder einer Dichterin (offenkundig hat die Jelinek hier auch ihre eigene Situation vor Augen) behandelt: das eigene "Ableben", während man andere belebt, das Fahren in einem Kreisverkehr, wobei man stets die richtige Ausfahrt verpaßt. Regisseur und Choreograph Bernd R. Bienert läßt dies sehr geschickt das Publikum spüren: Die Drehbühne, auf der ja die Zuschauer sitzen, vollzieht zweimal eine komplette Runde.

Ein Theaterstück kann Bienert aus dem Text auch nicht machen, aber immerhin ein künstlerisches Erlebnis schaffen, das die Lektüre des Textes allein nicht bieten kann. Entscheidend trägt dazu der glänzende Nicolas Musin als Pantomime und Tänzer bei, während Babett Arens und Anna Franziska Srna sowie Wolf Dähne, Erwin Ebenbauer und Roger Murbach sprachlich brillieren können.

Sicher spricht der Abend nur eine Minderheit wirklich an. Diese war bei der Premiere, dem lebhaften Beifall nach zu schließen, reichlich vertreten.

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