Die große Unbekannte

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Elfriede Jelinek: eine Autorin, von der man alles zu wissen glaubt, jedoch nichts wirklich kennt.

Elfriede Jelinek * 1946

Nobelpreisträgerin

Seither ist sie sozusagen im Geschäft'. Was sie freilich ein wenig irritiert." Das berichtete die Furche 1970 im Vorspann zu einem Interview mit Elfriede Jelinek aus Anlass des Erscheinens des Romans "wir sind lockvögel baby!".

Fünfunddreißig Jahre ist Jelinek seither "im Geschäft", und die Irritation, die sie dabei 1970 empfand, wandelte sich in einen spielerischen Umgang, mit dem sie selbst die Öffentlichkeit immer aufs Neue irritierte. Die Autorin nutzte die Medien nicht nur für ihre politischen Essays und Stellungnahmen, sondern auch für Inszenierungen und Maskierungen ihrer eigenen Person. Von keiner anderen Schriftstellerin gibt es so viele Fotos, mit keiner anderen so viele Interviews, und all sie offenbaren und verbergen Jelinek zugleich. Jelineks mediale Auftritte sind durchgestylt, und sie präsentieren die unterschiedlichsten Identitäten einer Autorin, von der man alles zu wissen glaubt, jedoch nichts wirklich kennt. Und wenn Jelinek ihr Intimstes preisgibt, wie zum Beispiel im Interview mit André Müller 1990 und in dessen Remake 2004 aus Anlass des Literaturnobelpreises, produziert sie Bilder von sich, die in ihrer schockierenden Wahrhaftigkeit für den Leser nur als ironische Selbstinszenierungen ertragbar sind.

Das Spielen mit dem Präsentwerden und der Verschleierung der eigenen Person ist bei Jelinek auch ein literarisches Verfahren. In ihren Texten tritt sie selbst als Autorin auf - um die eigene Autorschaft und Autorität zu relativieren. Das Eingreifen ist an eine Rücknahme gebunden, die sich einmischende Autorin wird dadurch zu einer der Stimmen, die in den Texten zu Wort kommen und einander permanent widersprechen.

Eingreifen und Rückzug sind auch die beiden Pole, zwischen denen sich Jelineks öffentliches Agieren ereignet. Wie kaum jemand anderer hat sich Jelinek in den letzten Jahrzehnten zu Wort gemeldet, um sich öffentlich zu positionieren. Zugleich hat sie mehrfach ihren endgültigen Rückzug aus der Öffentlichkeit publik gemacht. 1996 verkündete sie, unter dem Eindruck einer fpö-Plakataktion und der Reaktionen auf die Uraufführung ihres Theatertextes "Raststätte", einen österreichweiten Aufführungsboykott ihrer Stücke und gab in einem Interview bekannt, keine Interviews mehr in ihrer Heimat zu geben. Nur ein Jahr später wurden ihre Theatertexte wieder in Österreich gespielt, und 1998 war Jelinek hier präsenter denn je, am Wiener Burgtheater und bei den Salzburger Festspielen. Im Jahr 2000 verhängte sie erneut ein österreichweites Aufführungsverbot für ihre Stücke, und zwar für die Zeit der Regierungsbeteiligung der fpö - und schrieb in dieser Zeit ihre größten Essays über Österreich und einen Theatertext über Jörg Haider, der im selben Jahr im Rahmen einer Wiener Donnerstagsdemonstration uraufgeführt wurde.

Im Abseits

Die Ambivalenz von öffentlicher Abwesenheit und Anwesenheit kulminierte anlässlich der Ereignisse rund um den Literaturnobelpreis 2004 in einer Gleichzeitigkeit von Fehlen und Vorhandensein: die persönliche Abwesenheit war nun die Bedingung der medialen Überpräsenz. Denn Jelinek blieb zwar selbst den Nobelpreisfeierlichkeiten in Stockholm fern, ihre Rede wurde hier jedoch, wie danach auch bei vielen anderen Veranstaltungen zu ihren Ehren, per Video eingespielt. Die Präsenz Jelineks durch diese Einspielung der Rede, die bezeichnenderweise den Titel "Im Abseits" trägt, war eine durch das Medium Video simulierte und zugleich vergrößerte und vervielfältigte. Auch durch eine Vielzahl von Interviews war die Autorin in dieser Zeit allgegenwärtig - und trat zugleich nirgendwo persönlich in Erscheinung. Der Wunsch nach Teilhabe an ihrer Person, der durch all diese medialen Ereignisse geweckt wurde, blieb somit unerfüllt.

Seither scheint Jelinek aus der Öffentlichkeit verschwunden - und greift doch weiterhin mit Texten in die öffentlichen Debatten ein. Diese Texte werden jedoch größtenteils nicht mehr in Printmedien publiziert, sondern nur noch auf ihrer Homepage. Jelineks Auftritte verlagern sich immer mehr in den virtuellen Raum, zu dem alle Zutritt haben - in dem sie aber selbst nicht vorhanden ist.

Die Autorin ist Leiterin des Elfriede Jelinek-Forschungszentrums.

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