Die großen Fragen wachhalten

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In welcher Beziehung zur Gesellschaft die Theologie stehen soll und wie sie sich weiterentwickeln muss, um nicht zur universitären Randerscheinung zu verkommen, sind Zukunftsfragen, die sich die Disziplin stellen muss. Das tat sie im Rahmen der „ZukunftsBilder“. Das Gespräch führte Astrid Mattes

Religionspädagoge Martin Jäggle spricht über zukünftige Herausforderungen für die Theologie. Als Nachfolger Paul Zulehners im Amt des Dekans der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien war er am Symposium „ZukunftsBilder“ mitverantwortlich für den Arbeitskreis zu Theologie und Gesellschaft.

Die Furche: Welche Rolle soll Theologie in der Gesellschaft spielen?

Martin Jäggle: Wir brauchen eine zeitsensible Theologie, die auch um ihre gesellschaftliche Verantwortung weiß.

Die Furche: Inwiefern soll sich Theologie in den gesellschaftlichen Diskurs einmischen?

Jäggle: Zeitsensibel bedeutet zuallererst gar nicht einmischen, sondern bedeutet hören, wahrnehmen, sich mit der Zeit auseinandersetzen. Denn wenn die Theologie nicht auf die Zeit hört, hat sie der Zeit auch nichts zu sagen. Sie wird sich nur dann bedeutsam zu Wort melden können, wenn sie auch versucht zu verstehen. Verstehen heißt ja nicht billigen. Verstehen ist aber ein mühsames Geschäft, das Verständigung voraussetzt.

Die Furche: Wo liegen die Herausforderungen für die Theologie?

Jäggle: Sie ist in dieser Zeit in zweierlei Hinsicht gefordert. Einerseits in der Frage nach Gerechtigkeit, die sich immer neu und auch in ganz neuen Bereichen stellt. Dazu kann die Theologie Wesentliches beitragen. Zweitens entscheiden sich in der gegenwärtigen Situation der Pluralität viele Menschen dafür, sich nicht zu entscheiden. Es macht sich eine Haltung der Beliebigkeit breit. Hier kann Theologie ermutigen, sich an einem Gesamthorizont zu orientieren.

Die Furche: Heißt das, die Theologie soll Werte definieren und ethische Fragen beantworten?

Jäggle: Die Theologie beteiligt sich am gemeinsamen Projekt der Wissenschaften. Sie ist nicht diejenige, die es grundsätzlich besser weiß, sondern eine Stimme, die sich in das Konzert der Wissenschaften einbringt. Das gemeinsame Stück heißt: Rettung des Humanen.

Die Furche: Wozu braucht die Gesellschaft Theologie?

Jäggle: Gesellschaft braucht Theologie als Beitrag zur Aufklärung, zur kritischen Erinnerung und um die großen Fragen des Menschseins wach zu halten, damit der Horizont der Gesellschaft nicht auf Funktionalität und Event schrumpft. Die Furche: Kann Theologie der Kirche den Weg in die Moderne ebenen und vordenken?

Jäggle: Ob sie es kann, hängt von ihrer eigenen Qualität und von ihrer Bereitschaft, sich auf Diskurse einzulassen, ab. Dass es ihre Aufgabe ist, steht für mich außer Streit. Wenn es in der Theologie aber an Qualität, Innovation, Kreativität und Zeitsensibilität mangelt, wird sie das nicht schaffen können.

Die Furche: Herrscht Einigkeit darüber, dass sich Theologie in eine solche praktisch orientierte Richtung entwickeln soll?

Jäggle: Nein, die Situation des theologischen Diskurses ist genauso plural wie die der Kirche. Es gibt genauso die Sehnsucht, sich selbst zu genügen und auf die Zeichen der Zeit nicht zu hören. Theologie ist ja ein Teil der Kirche, also müssen sich die Spannungen der Kirche auch in ihr widerspiegeln.

Die Furche: Soll die Theologie unabhängiger von der Kirche sein?

Jäggle: Als Theologie kann sie nicht unabhängig sein. Sie ist eine Wissenschaft im Raum der Kirche. Sie ist auch auf die Kirche angewiesen, weil sie ja auch auf Kirche bezogen ist. Außerdem braucht sie die Kirche, weil die ihr die notwendige Freiheit sichern muss.

Die Furche: Kann die Kirche diese Freiheit immer garantieren?

Jäggle: Die Versuchung der Kirche zu reglementieren ist eine, der sie immer wieder erliegt. Konkret an der Wiener Fakultät mangelt es uns aber nicht an Freiheit.

Die Furche: Wie sieht ihre Vision in Bezug auf die gesellschaftliche Relevanz der Theologie im Jahr 2030 aus?

Jäggle: Entweder es gibt eine zeitsensible Theologie oder es gibt sie nur mehr als universitäres Faktotum am Rande des Konzertes der Wissenschaften. Die Weichen werden tatsächlich jetzt gestellt. Die anderen Wissenschaften benötigen eine zeitsensible Theologie, im Konzert würde diese Stimme fehlen. Und auch die Kirche braucht sie. Wir versuchen an der Fakultät alles, um das zu sichern. Wir sind da auf einem guten Weg. Ob wir Erfolg haben werden, sehen wir dann im Jahr 2030.

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