Die Grundtugend hieße Barmherzigkeit

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Eberhard Schockenhoff, katholischer Moraltheologe in Freiburg, plädiert in seinem neuen Buch für eine Änderung des Umgangs mit Geschiedenen.

Es ist einer der Punkte im "Aufruf zum Ungehorsam“ der Pfarrer-Initiative. Aber der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen ist schon lange ein erkaltetes heißes Eisen der katholischen Kirchenreform-Diskussion: Hier die unbeugsame Haltung Roms in Sachen Unauflöslichkeit der Ehe. Dort die Realität einer Gesellschaft, für die Scheidung und Wiederverheiratung längst nicht mehr die Ausnahme ist.

Jedes kirchenreformatorische Lüfterl, ob der "Dialog für Österreich“ Ende der 90er-Jahre oder anderes Begehren der Basis, zeigt: Das Verständnis dafür, dass die katholische Kirche an der Sakramentenverweigerung für wiederverheiratete Geschiedene eisern festhält, scheint auch hierzulande immer weniger verbreitet. Jedenfalls dürfte in dieser Frage der faktische, oft unausgesprochene "Ungehorsam“ weiter gediehen sein, als auch Rom lieb sein kann.

Auf jeden Fall ist für den oft beschworenen Sensus fidelium - den Glaubensinn der Menschen - die Diskrepanz zwischen einigen Grundprinzipien der Kirche - hier die Unauflöslichkeit der Ehe, dort Gottes Barmherzigkeit, welche die Kirche zu verkünden hat, - mit den Händen zu greifen.

Ein Widerspruch, der jedenfalls nicht aufzulösen ist: Bleibt die Kirchenleitung beim Verbot der Wiederheirat Geschiedener ohne Wenn und Aber, empfinden das viele - zu Recht - als Verrat an der Barmherzigkeit.

Widersprechende Prinzipien

Auch der in Freiburg lehrende katholische Moraltheologe Eberhard Schockenhoff weist auf diesen unauflöslichen Widerspruch hin: Schockenhoff stellt in einem neuen Buch einmal mehr den versuch an, für eine Änderung der katholischen Praxis gegenüber den Geschiedenen zu argumentieren - theologisch, aus der Tradition heraus und durchaus mit Möglichkeiten, die das Lehramt wahrnehmen könnte, ohne die "Unauflöslichkeit der Ehe“ mehr zu verdunkeln, als dies ohnedies der Fall ist. Denn auch die Beibehaltung des Status quo, so der Moraltheologe, beschädigt das Prinzip, das die Kirchenleitung so hochhalten will.

Die Argumente, die Schockehoff zusammengetragen hat, sind längst bekannt. Doch bislang hat sich Rom nicht aufraffen können, auch plausiblen Einwürfen zuzustimmen sowie ein Überdenken der eigenen Position zuzulassen und anzugehen.

Vielleicht seufzt der gelernte Katholik ob der Zusammenstellung der Argumente im Buch einmal mehr, es werde nichts nutzen. Dennoch ist die Not der Menschen in dieser Frage da.

Und wenn sich die Kirchenleitung hier weiter so wenig bewegt, so wird das im Ergebnis wohl eine weitere Entfremdung vieler Menschen von der Kirche zur Folge haben.

Von daher kann das Buch "Chancen zur Versöhnung Die Kirche und die wiederverheirateten Geschiedenen“ einmal mehr als Argumentationshilfe und Denkanstoß für Kirchenobere gelesen werden. Für die Basis scheint die Frage zumindest hierzulande längst klar zu sein.

Argumente gegen den Status quo

Interessant sind Schockenhoffs Zugänge aber auch deshalb, weil er nicht nur das kirchliche Für und Wider einer Lockerung der strengen Praxis abwägt, sondern auch klar Argumente gegen den derzeitigen Zustand anführt. So zeigt der Theologe auf, dass der Kirchenlehrer Augustinus, auf den die Rigoristen in dieser Frage sich gern berufen, durchaus auch Zweifel an einer völlig starren Auslegung des Unauflöslichkeitsgebots der Ehe angemeldet hat.

Umgekehrt versucht der Autor in seinen Ausführungen aufzuzeigen, dass die orthodoxe Praxis der Oikonomia auch nicht ohne Wenn und Aber zu unterstützen ist: Denn auch die "pastorale“ Nachsicht gegenüber den sündigen Menschen, aufgrund derer die Ostkirchen eine Zweit- bzw. Drittehe zulassen, hat ihre argumentativen Pferdefüße.

Alles in allem gelingt es Schockenhoff aber, nachzuweisen, dass es das in sich völlig widerspruchsfreie und vollkommen konsistente System in Bezug auf die Zulassung oder das Verbot des Sakramentenempfangs für wiederverheiratete Geschiedene schlichtweg nicht gibt. Schon ein Anerkennen dieser systemimmanenten Widersprüchlichkeit durch Rom wäre ein gewaltiger Fortschritt.

Wenn ein so bedächtig (und bisweilen auch sperrig) argumentierender Theologe wie Eberhard Schockenhoff zur Ansicht gelangt, es gibt jede Menge Gründe, an der derzeitigen Regelung der katholischen Kirche im Umgang von geschiedenen Wiederverheirateten zu rütteln, so fragt man sich, wieso angesichts von Gläubigenschwund und anderer innerkirchlicher Probleme hier nicht Bewegung in die Sache kommt.

Dass einige Pfarrer da offen "ungehorsam“ sind und viele andere versteckt, und sich viele Gläubige sowieso schon mehr auf das eigene Gewissen als auf das Wort von Rom verlassen, tut der Autorität der Kirchenleitung alles andere als gut.

Barmherzigkeit wäre ja eine schöne Grundtugend auch für die katholische Kirche. Leider sieht es nicht immer so aus, dass dies auch von der Kirchenleitung so gesehen wird.

Chancen zur Versöhnung?

Die Kirche und die wiederverheirateten Geschiedenen.

Von Eberhard Schockenhoff, Herder 2011

199 Seiten, kartoniert, e 19,50

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