Die heiße Schlacht am kalten Lech

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"Zehn Blaue, und wir reden nicht mehr drüber." So sollte jeder Anrainer für das Kraftwerk gewonnen werden. Doch einer vermieste den Kuhhandel. Seither ist er das schwarze Schaf im Dorf.

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"Zehn Blaue, und wir reden nicht mehr drüber." So sollte jeder Anrainer für das Kraftwerk gewonnen werden. Doch einer vermieste den Kuhhandel. Seither ist er das schwarze Schaf im Dorf.

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Sogar am Heiligen Abend haben wir einen Drohanruf bekommen. Wir hätten mit Repressalien zu rechnen", berichtet Maria Scheiber aus dem Tiroler Dorf Elmen. Den Namen des Anrufers will sie nicht nennen, nur soviel: Es sei jemand aus ihrer eigenen, 400 Seelen zählenden Gemeinde gewesen. Mitten durch den Ort verläuft seit Herbst ein Graben. "Die einen gehen auf den einen Ball, die anderen auf den anderen", sagt die Bürokauffrau Scheiber, "und hinterrücks wird getuschelt".

Den Grund kennt jeder im Dorf: Johann Lechleitner, Scheibers Vater, will sein Grundstück nicht für die geplanten Lech-Kraftwerke zur Verfügung stellen, sondern den Wasserrechtsbescheid juristisch bekämpfen. Auch einen Tausch lehnte er nach Angaben der Betreiberfirma ab. Damit fällt jeder einzelne der 124 Haushalte um ein 10.000-Schilling-Körberlgeld um, das der Noch-nicht-Betreiber Elektrizitätswerke (EW) Reutte für den Anschluß an die Kläranlage springen lassen wollte.

Denn, so Punkt IX eines der Furche vorliegenden Vertrages zwischen EW Reutte und Gemeinde Elmen, "wenn von Gemeindebürgern gegen einen positiven erstinstanzlichen Bescheid ein Rechtsmittel erhoben wird", verfällt die Zahlungsverpflichtung.

Seit bekannt wurde, daß Lechleitner und die von seiner Tochter initiierte Bürgerinitiative "Ob-Acht Lechtal" den Deal blockieren, gehen die Wogen hoch im Dorf an der Streimbach-Mündung. "Das ist Psychoterror", seufzt eine genervte, aber kampfbereite Maria Scheiber.

Sympathisches Tal Tiroler Spitzenpolitiker kritisierten das "unmoralische Angebot" umgehend und heftig. "Eine Familie in einem Dorf mit verabscheuungswürdigem Stimmenkauf so unter Druck zu setzen, halte ich für eine gräßliche Entwicklung, das ist menschlich verwerflich", schäumt Tirols Umweltlandesrätin Eva Lichtenberger. In regionalen und lokalen Medien tobte daraufhin ein heftiger Schlagabtausch mit Überschriften wie "Familie Lechleitner im Würgegriff der Gemeinde".

Dahinter steht die Grundsatzfrage der wirtschaftlichen Entwicklung einer Gebirgsregion. Franz Reisecker, Direktor der EW Reutte, glaubt an Wachstum wie bisher. Ihm macht der Stromverbrauch im Bezirk Außerfern und einem Teil Südbayerns - "zwei bis drei Prozent Zuwachs jedes Jahr" - Sorgen. "Wenn ich jemanden dort nicht mehr versorgen kann, kann er mich klagen." Reisecker will aus der geplanten Speicher-Laufkraftwerks-Kombination jährlich 40 zusätzliche Millionen Kilowatt-Stunden holen. Betriebswirtschaftlich sei das rentabel, die bis zu 400 Millionen Schilling Investition in spätestens 30 Jahren hereingespielt. Daß seine rund 400 Mitarbeiter ohne Kraftwerksneubauten nicht ausgelastet seien, will er nicht gelten lassen: "Es dreht sich um langfristige Sicherung der Arbeitsplätze."

Maria Scheiber dagegen sieht die Entwicklungschancen im nachhaltigen Tourismus. "Es gibt keine Aufstiegshilfen im Lechtal, keine Hochspannungsleitungen, keine Autobahn, keine Bahn. Wir wollen uns", gerät die Elmerin ins Schwärmen, "unser eigenartig sympathisches Tälchen nicht hinmachen lassen. Wir haben ein Riesenpotential an Gästen vor der Haustür." Scheiber denkt dabei an das nahe München und Ulm.

Ein Nationalpark, wie vom Landeshauptmann-Stellvertreter Ferdinand Eberle in die Diskussion gebracht, käme als Lokomotive für sanften Tourismus gerade recht. "Das kann nur ein Ausgangspunkt sein", kommentiert Grün-Landesrätin Lichtenberger den derzeitigen Plan skeptisch.

Die Uferzonen samt ein paar Mündungen seien um wichtige Zuflüsse wie Umsinner- und Gröbertalbach zu erweitern. Umweltschützer wie Karlheinz Baumgartner, Pfarrer der Lechtaler Gemeinde Steeg und in der Arge Schöpfungsverantwortung gegen das Bauvorhaben aktiv (siehe Furche 16/1996), sprechen von der "letzten natürlichen Flußlandschaft der Nördlichen Kalkalpen".

Das Land ist gespalten Ein zusammenhängendes "Ökosystem, wie wir es in Mitteleuropa kaum mehr finden", nennt es der Direktor des Alpenzoos Innsbruck, Michael Martys. Einige der Lebensräume entlang des Lech führt auch die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU als vorrangig schützenswert an. Dabei geht es um Nischen für Tierarten, die sonst kaum mehr anzutreffen sind, oft unspektakuläre Kleinlebewesen wie Steinkrebse oder seltene Heuschrecken. Naturschützer wollen auch vom Vorkommen des gefährdeten Fischotters wissen. Wo sich dieses Säugetier häuslich niederläßt, gilt die Wassergüte als ausgezeichnet. Allein: Eine eigens eingeleitete Untersuchung des Landes "hat keine Fischotter gefunden", berichtet Lichtenberger. Nachsatz: "aus welchen Gründen auch immer".

Die Lech-Diskussion spaltet das Land am Inn nicht nur puncto Regionalentwicklung, sondern auch in Sachen Energiepolitik. EW-Reutte-Boß Reisecker glaubt an die Wirtschaftlichkeit weiterer Wasserkraftwerke. Daß im liberalisierten Strom-Markt der EU vor allem Großabnehmer elektrische Energie woanders beziehen könnten, rühre ihn wegen der ohnedies uninteressant niedrigen Preise wenig, gibt sich Reisecker kämpferisch. Auch mit den großen Konkurrenten in der EU will er wettstreiten.

"Der Gipfel", fürchtet Lichtenberger mögliche Auswüchse der Liberalisierung, "wären Preissenkungen für die mobileren Großkunden zu Lasten der Privathaushalte." Ihre Gegenposition daher: "Die EW Reutte sollen ihre finanziellen Mittel lieber in den Ausbau alternativer Energiequellen und energiesparender Maßnahmen stecken. Ein Kraftwerk", so Lichtenberger weiter, "bindet Finanzmittel und blockiert diese Entwicklung." Reisecker dagegen will zunächst den Verbrauchszuwachs mit den neuen Talsperren im Lech-Gebiet abdecken, dann könne man über Einsparungen reden. Alternativenergien hält der E-Werkschef für unrealistisch in dieser Gebirgsregion. Jene Formen, die einsetzbar wären, seien unwirtschaftlich: "Biomasse", so Reiseckers Überzeugung, "ist wegen der hohen Bringungskosten vollkommen unrentabel. -Das sind Träumereien!"

Inzwischen hat das Projekt den Weg durch die Bewilligungsmaschine des Landes angetreten. Neben dem Wasserrechts-Bescheid - hier sind die Betreiber optimistisch, in zweiter Instanz Recht zu bekommen - steht noch das naturschutzrechtliche Okay für das Projekt aus. "Wir untersuchen noch", erklärt Gerhard Liebl von der Tiroler Umweltschutz-Abteilung die Güterabwägung, "ob tatsächlich öffentliche Interessen zur Realisierung eines solchen Vorhabens vorliegen." Eine politische Entscheidung, wie Liebl andeutet: "Das Amt ist der Hilfsapparat des zuständigen Regierungsmitglieds."

Spätestens im März geht die vorerst unblutige Schlacht um den Lech in die nächste Runde. Dann sollten die Bescheide vorliegen.

Der Autor ist freier Journalist.

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