Die Idee des „Unartikulierten, Fatalen, Bestimmenden“

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Mit bezaubernden, selbstgebauten Puppen liefert das Kabinetttheater das seit vielen Jahren ungewöhnlichste Weihnachtsspiel in Wien: „Krippenspiel – Concert bruitiste“. Julia Reichert, die die Möglichkeiten des Figurenspiels in all ihren Facetten zu nutzen weiß, bringt Hugo Balls Vorlage von 1916 auf ein herrlich groteskes Niveau.

„Mir tut der Unsinn leid, dass er bislang so selten künstlerisch geformt wurde“, sagte einst der dadaistische Künstler Kurt Schwitters. Kabinetttheater-Prinzipalin Julia Reichert entkräftet Schwitters’ Diktum mit ihren Realisierungen grotesker Texte, und auch heuer wieder ist mit Hugo Balls 1916 entstandenem „Krippenspiel – Concert bruitiste, den Evangelientext begleitend“ ein erfolgreicher Fixstarter im Programm.

Mit den bezaubernden, selbstgebauten Puppen liefert das Kabinetttheater damit seit vielen Jahren das ungewöhnlichste Weihnachtsspiel in Wien: Der „Vater“ des Lautgedichts und Mystiker Hugo Ball konzentriert das Evangelium auf sieben Bilder, die am 3. Juni 1916 (man beachte die Jahreszeit !) in Zürich im Cabaret Voltaire uraufgeführt wurden und quasi als Wiege des Dadaismus gelten.

Julia Reichert, die die Möglichkeiten des Figurenspiels in all ihren Facetten zu nutzen weiß, bringt die Vorlage auf ein herrlich groteskes Niveau. Die Puppen erlauben bildhafte Verzerrungen und Proportionssprünge, die zu Hugo Balls rätselhaftem Krippenspiel perfekt passen. Immerhin zielt das Dadaistische auf die Verbindung von Laut und Aussage, um die Phantasie des Zusehers anzufachen.

Lebendige, unproportionierte Protagonisten

Christopher Widauer gestaltet die Geräusche – dezent im Hintergrund, aber sichtbar als Zeremonienmeister. Ein dumpfes Klatschen in die hohlen Handflächen seinerseits markiert etwa die Blähungen des Kamels, stilles Gebrabbel („ramba ramba“) schafft eine intime Atmosphäre zwischen dem holzschnitzenden Josef und der strickenden Maria. Deren Gebete unterstützen die Hände der Puppenspieler, die die beiden zu lebendigen, wenn auch völlig unproportionierten Protagonisten machen. Der Stern taucht unvermutet mit einem profanen „Zack“ auf, der Engel naht als Schattenfigur, der sich mittels Propellerantrieb in die Lüfte erhebt. Wenn die Bilder wechseln, dann bleiben die stillen Pausen, nur zarte Lämpchen leuchten die Rampe der Puppenbühne feierlich aus, um dann wieder mit treffsicherer Ironie grimmig lautmalerische „rrrrrrrs“ zu setzen. Auch gespenstische Klaviertöne oder dumpfes Blasen in leere Flaschen verdeutlichen Hugo Balls Idee des „Unartikulierten, Fatalen, Bestimmenden“. Nicht zuletzt stand für den später zum Katholizismus übergetretenen Ball die Frage nach dem Lebenssinn im Jahr 1916 verschärft im Vordergrund, als er, der Kriegsuntaugliche, mit seinem Cabaret durch die neutrale Schweiz tingelte, während ringsum die Katastrophen des Ersten Weltkriegs immer deutlicher wurden. Dementsprechend endet das einstündige Spiel auch mit der Prophezeiung, man sieht die Hüte der Pharisäer, deren harte Laute „rabata rabata“ die Kreuzigung ankündigen.

Hier wird Sinn neu geschaffen, der aus der scheinbaren Unmöglichkeit, Ironie und ernst gemeinten Pathos zugleich einzusetzen, entsteht.

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