"Die Integration muss weitergehen"

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Was bedeutet der Brexit für die Europäische Union? Wie fatal könnten die Auswirkungen werden? Der einstige EU-Kommissar Franz Fischler im FURCHE-Interview. | Das Gespräch führte Lukas Zimmermann

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Was bedeutet der Brexit für die Europäische Union? Wie fatal könnten die Auswirkungen werden? Der einstige EU-Kommissar Franz Fischler im FURCHE-Interview. | Das Gespräch führte Lukas Zimmermann

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Die Brexit-Verhandler stehen vor vielen Herausforderungen. Der ehemalige österreichische EU-Kommissar Franz Fischler nimmt im FURCHE-Interview Stellung.

DIE FURCHE: Die Brexit-Verhandlungen haben trotz Wahldesasters von Theresa May am 19. Juni begonnen. Worin liegt die Krux?

Franz Fischler: Die Krux liegt darin, dass Theresa May mit einem Ablaufdatum versehen ist. Man muss davon ausgehen, dass sie nicht bis zum Ende der Brexit-Verhandlungen Premierministerin sein wird. Es könnte auch sein, dass es Verschiebungen im Kabinett geben wird. Das heißt, bei den Verhandlungen hat man kein fixes Gegenüber. Das ist eines der großen Probleme, welches neu entstanden ist. Die zweite Krux ist, dass das UK aufgrund des Wahlergebnisses jetzt mit sich selber nicht mehr im Reinen ist, welche Exit-Strategie es eigentlich anstreben soll. Vorher war es völlig klar und solange May Premierministerin sein wird, wird es auch dabei bleiben, dass man eine volle Trennung anstrebt. Das heißt, dass dann das UK im Verhältnis zur EU ein Drittstaat würde.

DIE FURCHE: Wie werden die Verhandlungen laufen?

Fischler: Das ist sehr schwierig zu prognostizieren. Es gilt als ausgemacht, dass sich die Verhandlungsteams einmal im Monat treffen werden. Die Verhandlungen werden schwierig sein, weil man auch nicht weiß, was am Ende eigentlich verhandelt werden soll. Wenn man nach den europäischen Verträgen geht, müssen die Austrittsbedingungen verhandelt werden. Aber das ist nicht näher spezifiziert und muss erst klar gestellt werden. Zunächst geht es nur um das Loslösen und Auseinanderdividieren dessen, was im Laufe der Jahre enorm verschränkt worden ist. Aber damit ist noch nicht ausgemacht, welche Form in den verschiedenen Bereichen eine neue Zusammenarbeit haben soll.

DIE FURCHE: Welche Bedeutung hat der Brexit für Österreich?

Fischler: Für Österreich ist die Bedeutung nicht sehr groß. Durch das Nachgeben des Pfunds wird der Urlaub in Österreich teurer. Die Briten sind ein wichtiger Tourismusfaktor. Und es gibt doch einige Österreicher, die im UK arbeiten und für die könnte es auch Probleme geben. Aber für den Staat Österreich wird sich nicht so viel ändern. Ein Punkt, den man im Moment nicht abschätzen kann, ist die Frage nach der zukünftigen Finanzierung der EU. Nachdem Österreich zu den Nettozahlern gehört, wird der Nettoanteil von Österreich größer werden. Am Ende gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder es kommen Österreich und Deutschland wieder stärker in die Nettozahler- Position, oder man muss auf gewisse Leistungen verzichten. Das betrifft dann aber primär die südlichen Mitgliedsstaaten.

DIE FURCHE: Jean-Claude Juncker sieht im Brexit auch eine Chance. Sind Sie auch optimistisch oder sehen Sie einen Domino-Effekt?

Fischler: Den Domino-Effekt sehe ich nicht. Aber die Chance kann ich auch nicht erkennen. Man muss da vorsichtig sein. Die wahren ökonomischen Effekte kommen nicht über Nacht. Das ist eine schleichende Entwicklung, und man wird die wahren Auswirkungen erst in fünf Jahren beurteilen können.

DIE FURCHE: Wieviel kann Emanuel Macron als Pro-Europäer europapolitisch bewirken?

Fischler: Ich erwarte nach den deutschen Bundestagswahlen im Herbst, dass es eine deutsch-französische Initiative zur Weiterentwicklung der EU geben wird. Im Vorfeld hat die Kommission neben dem Weißbuch mittlerweile vier Strategiepapiere publiziert. Ich glaube, dass aus dem politischen Impuls der deutsch-französischen Achse heraus auch konkrete Aktionen entstehen werden.

DIE FURCHE: Sollte das Ziel weiter eine immer engere Union sein?

Fischler: Ich glaube nicht, dass es funktionieren wird, sich nur auf ein einziges Ziel hin zu entwickeln. Bei einer solchen Fragestellung muss man ein Zielbündel im Auge haben. Ein Ziel ist sicher, dass die Integration weitergehen muss. Die schon oft geäußerte Position, dass sich die Kommission und die Europäischen Institutionen insgesamt weniger um Mikromanagement der Union kümmern sollten, sondern das Subsidiaritätsprinzips stärker zur Anwendung gelangen sollte, darüber gibt es ebenfalls über weite Strecken Klarheit.

DIE FURCHE: Halten Sie es für möglich, dass es letztlich doch zu keinem Brexit kommt?

Fischler: Das halte ich unter den gegebenen Umständen nicht für möglich. Erstens würde es voraussetzen, dass die Labour Party wieder zur größten Partei des Vereinigten Königreichs werden müsste. Zweitens glaube ich, dass es leider noch viel zu viele Leute gibt, die die Nachteile des Brexit - eben weil sie noch nicht eingetreten sind - negieren oder noch nicht wahrnehmen. Wohl kann ich mir vorstellen, dass es in 15 Jahren wieder Beitrittsverhandlungen geben könnte.

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