Die irrste, wirrste Barockoper der Welt

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Francesco Provenzales "La Stellidaura vendicante“ bei den Festwochen der Alten Musik: Diesmal hat sich die Ausgrabung einer Rarität gelohnt.

Mitte August, wenn die großen, teuren Sommerfestivals schon die zentralen Premieren hinter sich haben, lädt das eher beschauliche Innsbruck zu barocken Musikfreuden ein. Neben dem traditionell üppigen Konzertprogramm gibt es heuer gleich viermal Musiktheater: Monteverdis "Poppea“ sowie zwei Raritäten von Domenico Scarlatti und Giovanni Andrea Bontempi. Zum Auftakt grub Festwochenchef Alessandro de Marchi ein völlig unbekanntes Werk von Francesco Provenzale aus: "La Stellidaura vendicante“. Interessanterweise steckt im Wort "Ausgrabung“ ja auch "Grab“ - in den letzten Jahren erwiesen sich einige der in Innsbruck aus staubigen Archiven ans Licht geholten Stücke als ziemlich verzichtbar.

Mit einiger Sorge geht man also ins Landestheater: Francesco Provenzale? Schrieb der nicht Kirchenmusik? Ja, aber auch die kennt kaum jemand. Nur zwei weltliche Opern sind überliefert, darunter eine mit absolut unmöglicher Handlung. Es geht um das hübsche Mädel Stellidaura, die in einen kecken Ritter verliebt ist. Dumm nur, dass Fürst Orismondo sie auch begehrt. Drei Akte lang fließen nun diverse Säfte, vor allem Schweiß, Tränen und Blut. Und es läuft ein verwirrendes Spiel aus Verwandlungen, Verkleidungen, Verwechslungen ab. Stellidaura mutiert von der still leidenden Mitzi zur Florett schwingenden Amazone, die Herren erleben unterschiedlichste emotionale und körperliche Zustände. Dazu sorgen zwei Pagen für Wirbel, vor allem Orismondos Diener Giampetro, der ausschließlich "alt“-kalabrisch singt.

Gigantische Briefszene

Fast der gesamte zweite Akt besteht aus einer gigantischen Briefszene, die alle Onegins und Werthers in den Schatten stellt. Fast jeder schreibt jedem, doch die Nachrichten erreichen entweder den Verkehrten, oder der Richtige bekommt sie in den falschen Hals. Am Schluss hat Stellidaura keine Lust mehr und trinkt Gift, welches sich jedoch als Schlafmittel entpuppt. In einer Mischung aus "Romeo und Julia“, "Walküre“ und "Nathan“ erkennen einander plötzlich Stellidaura und Orismondo als Geschwister, der Bruder gibt der Schwester den Segen zur Heirat mit dem Rittersmann.

Dieser Wahnsinn wurde anno 1674 als Auftragswerk eines Adligen uraufgeführt, die Titelrolle interpretierte die berüchtigte Sängerin und vermutliche Kurtisane Giulia De Caro. Andrea Perrucci schrieb den Text und Francesco Provenzale goss ihn in - grandiose - Musik. Provenzale (1624-1704) steht zwischen Monteverdi und dem goldenen Settecento Neapels, es gibt noch keine Da-Capo-Arien, aber wunderbar variierte Formen und Verzierungen. Festwochen-Chef Alessandro de Marchi lässt mit seiner Academia Montis Regalis (er wurde wissenschaftlich unterstützt von Stefano Aresi und Francesco Cotticelli) ein wahres Feuerwerk an Farben und Effekten explodieren.

Raue Klanglandschaften

Mit exquisiten Spezialinstrumenten wie einer Chitarra battente, einer Oktavmandoline oder dem ausufernden Schlagwerk entstehen eigenwillige, manchmal sehr raue Klanglandschaften. Man spürt in jedem Augenblick, wie durchdacht alles ist und wie intensiv hier gearbeitet wurde. Besonders schön sind Echoeffekte und die immer wieder gleichsam heran gezoomten tiefen, warmen Streicher.

Gut fügte sich das Sängerensemble ein, vor allem Hagen Matzeit als Diener Stellidauras und Adrian Strooper als verliebter Ritter. Carlo Allemanos Orismondo kämpfte ein wenig mit den Koloraturen. Jennifer Rivera sang die Titelpartie in der Höhe etwas zu scharf, sie überzeugte vor allem in der Mittellage. Enzo Capuano machte als Dialekt-Diener kleinere vokale Defizite durch brillantes Spiel wett.

Regisseur François De Carpentries siedelte das Treiben zwischen Barock und Gegenwart an. Es gibt bunt überdrehte Kostüme und ein Ambiente aus roten Säulen, Sternenhimmel, Weinreben. Oft gehen pralle Komödie und leichtfüßiger Tiefsinn Hand in Hand - eine geschmackvolle, präzis gearbeitete Inszenierung für eine "verlebendigte“ Ausgrabung.

Innsbrucker Festwochen der Alten Musik

bis 26. August

www.altemusik.at

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