Die Isländische Version des Romans

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"Der spanische Realismus des Schelmenromans leidet an einem Predigertonfall und einer gewissen Prüderie beim Sexuellen, wenngleich nicht bei Kot; der französische Realismus schwankt zwischen erotischer Stimulierung und dem, was Paul Groussac 'Müll-Photographie' nannte; der Realismus der Vereinigten Staaten geht von der Sentimentalität zur Grausamkeit; der der Sagas ist unparteiische Beobachtung", schwärmte Jorge Luis Borges 1953 in einem Essay über die isländischen Sagas, jene Prosaerzählungen in altisländischer Sprache, die im 13. und 14. Jahrhundert entstanden. 1896 meinte William Paton Ker, dass diese isländische Erzähltradition ohne Nachfolger blieb, "bis all ihre Methoden unabhängig von ihr durch die großen Romanciers neu erfunden wurden, nach Jahrhunderten des Tastens und der Ungewißheit".

Ein eigenartiges Phänomen, in Borges Worten: "Für mich genügen diese Tatsachen, um das seltsame und vergebliche Geschick der Skandinavier zu definieren. In der Weltgeschichte sind die Kriege und Bücher Skandinaviens, als hätten sie nie existiert; alles bleibt isoliert und spurlos, als sei es in einem Traum geschehen oder in den Kristallkugeln, in die Hellseher starren. Im 12. Jahrhundert entdeckten die Isländer den Roman, die Kunst des Normannen Flaubert, und für die Ökonomie der Welt ist diese Entdeckung ebenso geheim und fruchtlos wie ihre Entdeckung Amerikas."

Nationale Bedeutung

Island selbst hat die Bedeutung seiner Sagas freilich nicht vergessen. Das Parlament publizierte 1944, im Gründungsjahr der isländischen Republik, eine offizielle Textausgabe. Der Staat hatte sich das Urheberrecht auf alle vor 1400 geschriebenen isländischen Texte gesichert. Vor allem im 19. Jahrhundert blühten die patriotischen Deutungen. "Schön ist dieser Hang, aber so schön habe ich ihn noch nie gesehen, helle Felder und gemähte Wiesen. Ich werde nach Hause zurückreiten und nirgends hinfahren." Sätze wie diese aus der Brennu-Njáls saga dienten dann als Inbegriff patriotischer Heimatliebe, erläutert Julia Zernack. Sie hat gemeinsam mit Klaus Böldl und Andreas Vollmer die vierbändige Neuübersetzung der Isländersagas herausgegeben, die anlässlich der Frankfurter Buchmesse (12. bis 16. Oktober) erscheint.

Unter dem Titel "Sagenhaftes Island" präsentiert sich das Gastland als Literaturland; und Literatur meint mehr als die Sagas, das zeigen die vielen zeitgenössischen Neuerscheinungen. Die Buchliebe der Isländer soll auch dieses nette Projekt demonstrieren: Isländische Leserinnen und Leser stellen Fotos ihrer privaten Bücherwände ins Netz: www.facebook.com/sogueyjan.island.

Das nächste BOOKLET erscheint am 3. November 2011 als Beilage in der FURCHE Nr. 44/11

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