Die jüdische Liebe zum Edelweiß

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„Ich habe zu meinen zahlreichen unglücklichen Lieben noch eine neue hinzubekommen“, schreibt Peter Altenberg. Die Berge haben es ihm und anderen Juden seiner Zeit angetan – wie unglücklich diese Liebe endet, zeigt die Ausstellung „Hast du meine Alpen gesehen?“

Die Ausstellung fragt im Titel: „Hast du meine Alpen gesehen?“ Um mit dem Sehen anfangen zu können, muss der Besucher aber erst in den Keller des Jüdischen Museums in Hohenems gehen; und dann sucht man nach den Alpen – und steht vor einem Fahrrad! „Opel Victoria Blitz“ heißt die Halbrennmaschine, gehört hat sie Theodor Herzl, gefahren ist er damit in Altaussee und das mit einer Begeisterung, erklärt der Begleittext, die er sonst nur seiner Idee vom Judenstaat entgegengebracht hat. Auffallend, besonders bei einem für Auf- und Ab-Fahrten gedachten Gefährt: Der „Blitz“ hat keine Bremsen (ob der Rücktritt funktioniert, lässt sich in einem Museum schwer ausprobieren). Zu Herzl passt ein ungebremstes Velo aber in jedem Fall besser, hielt er Radfahrer doch für Boten einer neuen Zeit. „Das klingt heute wohl noch überschwänglich“, schreibt er 1896 in der Neuen Freien Presse, „aber man darf es schon sagen, ohne für mehr als ein bisschen exzentrisch gehalten zu werden.“

Boten einer neuen Zeit und ein bisschen exzentrisch waren sie um die vorletzte Jahrhundertwende herum wohl alle, die ihre stickigen Städte zur Sommerfrische verließen und in den Bergen Landleben spielten. Der verreisende Adel hatte in den Jahrzehnten zuvor aus Provinznestern schmucke Ferienorte werden lassen, in denen sich nun das aufstrebende Bürgertum ansiedelte – das nichtjüdische und das jüdische. Doch diese Unterscheidung scheint trotz des allerorten grassierenden Antisemitismus in den Sommerfrischen lange keine so große Rolle zu spielen. Noch im Bad Ischl der 1930er Jahre konnten sich jüdische Kurgäste und Sommerfrischler „durch und durch österreichisch“ fühlen. Dazu beigetragen hat, dass sich die Fremden wie die Einheimischen anzogen: mit Lederhose, Dirndl, Trachtenrock.

Trachtenverbot für die Minderheit

In einer Vitrine, nicht weit von Herzls Fahrrad, steht eine Holzfigur: grüne Stutzen, Lederhose bis zum Knie, brauner Trachtenrock und auf dem Hut eine Hahnenfeder. In der Hand hält die Figur eine Rolle mit der Aufschrift „Konrad Mautner Preis 2008“. Der Preisträger, Miguel Herz-Kestranek, hat sie der Ausstellung geliehen. Neben der Auszeichnung ist ein anonymer Brief ausgestellt; der Adressat ist Herz-Kestranek, bekannt für seine jüdische Herkunft und seine Liebe zur Tracht; und der Inhalt des Briefes ist die Kopie einer Karikatur aus der SS-Zeitung Schwarzes Korps (siehe Abbildung oben), wo unter der Überschrift „Trachtenverbot für Juden“ die Hetze steht: „Die einzige Tracht, die man solchen Typen zugestehen soll, ist eine Tracht Prügel!“ Das Schreiben zeigt, dass es heute noch Geister gibt, die nicht erlauben wollen, was 1938 verboten wurde: Juden in Tracht. Dahinter steht aber heute wie damals die Ablehnung, Juden als selbstverständlichen Teil der Gesellschaft anzusehen, der Minderheit das Recht und in diesem Fall die Kleidung der Mehrheit zuzugestehen. Im Buch zur Ausstellung ist die Dankesrede Herz-Kestraneks für den Preis abgedruckt: „Wenn wir uns also nicht zu Werten bekennen, wie sie Tradition oder Volkskultur darstellen“, heißt es darin, „Werte, die schon lange vor ihrem Missbrauch bestanden haben, wenn wir Begriffen wie etwa Heimat, Ehre, Treue ihrer Besudelung nicht entreißen, dann geben wir nachträglich denen Recht, die sie missbraucht haben, und denen, die es heute unter ähnlichen Vorzeichen wieder oder noch immer tun.“ Konrad Mautner, der dem Trachten-Preis den Namen gegeben hat, war jüdischer Sommerfrischler in Gössl bei Altaussee und darüber hinaus Trachtensammler und Erforscher von Volksmusik und Mundart. „In Gössl – und nur dort – war er wirklich zu Hause“, attestierte Mautner ein Volkskundler-Freund.

„Wenn ich vor Gott stehe, wird er fragen …“

Dieses Heimatgefühl haben viele jüdische Urlauber mit ihrer Sommerfrische verbunden – und nach ihrer Vertreibung blieb die Erinnerung und der Schmerz: „Wenn ich in Amerika Heimweh habe, ist es niemals nach Wien“, schreibt Gina Kaus 1979 in Hollywood, „sondern immer Heimweh nach Aussee, einem bestimmten Waldweg, einer bestimmten Aussicht, nach dem Geruch.“

Genommen hat man den jüdischen Berglern schon vor und besonders nach 1938 alles: zuerst ihren Alpenverein und schließlich die Alpen. Was umso schwerer wiegt, sagt doch der Rabbiner Samson Raphael Hirsch: „Wenn ich vor Gott stehen werde, wird der Ewige mich fragen: ‚Hast du meine Alpen gesehen?‘“ Gestohlen wurde den jüdischen Bergliebhabern aber auch ihr Edelweiß. Das seine Popularität dem jüdischen Schriftsteller Berthold Auerbach und seiner 1861 verfassten Erzählung „Edelweiß“ verdankt. Eine Schweizer Zeitung hat sich über den dadurch ausgelösten Edelweiß-Kult empört. Genützt hat es nichts. Die Kuratoren der Hohenemser Ausstellung haben sogar einen Toramantel mit aufgesticktem Korbblütler gefunden. Und vieles mehr, all die Grate und Wände und Schneefelder bis zum Himmel hoch. Denn für „Hast du meine Alpen gesehen?“ stimmt auf keinen Fall, was Gustav Mahler seinem Freund beim Anblick des Höllengebirges am Attersee gesagt hat: „Sie brauchen gar nicht mehr hinzusehen – das habe ich schon alles wegkomponiert!“

„Hast du meine Alpen gesehen?“ Eine jüdische Beziehungsgeschichte

Jüdisches Museum Hohenems: verlängert bis 15. November 2009; Jüdisches Museum Wien: 15. Dezember 2009 bis 14. März 2010; Alpines Museum München: Frühjahr bis Herbst 2010

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