Die Kinder der Empörung

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Europas Staaten sind dabei, eine ganze Generation zu verlieren. Die Proteste von arbeitslosen Jugendlichen in Spanien und Griechenland sind nur die Spitze eines Eisbergs, der das ökonomische Gefüge der Gesellschaft zerstören könnte.

Die Jugend Spaniens, Griechenlands und Frankreichs steht dieser Tage auf. Sie manifestiert sich zu Zehntausenden gegen ihre Regierungen, gegen den Finanzkapitalismus, gegen den Sozialabbau in der Krise, für globale Gerechtigkeit. "Empört Euch!“, eine knapp 18 Seiten umfassende Schrift des französischen Intellektuellen Stéphane Hessel, ist das Manifest, das sie auf der "Puerta del Sol“ in Madrid und in den Straßen Athens hochhalten. "Demokratie“ steht auf ihren Spruchbändern - wie vor wenigen Wochen in Kairo. Das ist natürlich eine pathetische Übertreibung. Niemand würde auf die Idee kommen, in Spanien ein brutales Regime und in José Luis Zapatero einen Diktator zu vermuten. Aber diese Sublimierung persönlicher Dramen zu einem ethischen Kampf gegen das Böse in den Palästen lässt die Dramatik der Lage erkennen. Europas Politik ist dabei, eine ganze Generation zu verlieren.

Hinter der Fassade

Das Besorgniserregende dabei ist: Was da an Verzweiflung über spanische und griechische Straßen schwappt, kennt keine politische Ausrichtung mehr: Es ist gleichgültig, ob in einem Land Sozialisten oder Konservative regieren - und welche Verdienste sie sich dabei erwerben. Jede Reform verblasst vor dem Wunsch, endlich eine Perspektive für die eigene beschäftigungslose Existenz zu bekommen - egal durch wen.

Verständlich ist das: Bei 44,6 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Spanien und 39 Prozent in Griechenland greift man nach den erstbesten gesellschaftlichen Gegenentwürfen. Diese aber haben mehr mit Zorn zu tun als mit stilvoller Empörung. Um das festzustellen, braucht man gar nicht nach dem Süden zu schielen. Wer Platz 1 der FPÖ in aktuellen Umfragen deutet, landet schnell bei ziellos enttäuschten Wählern.

Die Strömung zum Zorn wird sich wohl auch in naher Zukunft nicht eindämmen lassen. Das hat politische - vor allem aber wirtschaftliche Gründe: Kaum eine europäische Nation kann ihren Jugendlichen ein Leben in gesicherter ertragreicher Arbeit und damit in sozialer Würde garantieren. Einige, wie Österreich, schaffen es nur besser, das Drama nicht in Zahlen zu gießen, das sich in der Realität abspielt. Etwa jenes der Tausenden Studienabgänger, die von einem schlecht bezahlten Volontariat zum nächsten und von da ins lebenslange Prekariat gondeln. Wen soll der arbeitende Nachwuchs bei sinkenden Reallöhnen erhalten, wenn er für sich selbst nicht genug hat?

Wenn der Vertrag zwischen Politik und Gesellschaft, zwischen Jung und Alt, Arm und Reich bricht, dann steht unversehens das große Ganze in Gefahr. Der Ökonom Friedrich von Hayek hat einmal treffend davor gewarnt, wie schnell die freie Demokratie in die Diktatur kippen kann: "Die meisten Menschen sind nur so lange bereit, das mit der Freiheit verbundene Risiko zu tragen, als das Risiko nicht zu groß wird.“

Der Drang nach Wachstum

Stéphane Hessel kennt freilich auch den tieferen Grund für die Misere: "Das allein auf die Produktion gerichtete Denken hat die Welt in eine Krise gestürzt, aus der sie sich nur befreien kann, wenn sie einen radikalen Bruch mit dem Drang nach "immer mehr“ vollzieht.“ In dieser Wahrheit liegt das Drama: Was hilft es, die Wachstums- in eine Mäßigungsdoktrin zu wandeln, wenn einzig das "Immer mehr“-Wachstum Arbeit und persönliche Perspektive gibt?

Die Finanzwirtschaft, deren Vertreter die Jugend heute beschimpft, mag ein moralisch verwahrloster Apparat sein. Aber sie hat abseits dessen mit ihren Krediten ermöglicht, dass Millionen Arbeitskräfte - etwa in der spanischen oder irischen Bauwirtschaft geschaffen wurden. Die Wachstumsgier der einen bedeutete also die Arbeitsplätze der anderen. Jahrelang wurden da im wahrsten Wortsinn Hoffnungen verbaut. Und so pervers das klingt: Der Traum Spaniens oder Griechenlands wird bleiben, dass sich bald wieder Märkte zu ihren Gunsten blähen. Wo die realwirtschaftliche Substanz fehlt, kann selbst Empörung nichts schaffen. Sie muss als Blase platzend vergehen.

* oliver.tanzer@furche.at

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