Die Kraft der Gewaltfreiheit

Werbung
Werbung
Werbung

Können aus Feinden Freunde werden? Von Hildegard Goss-Mayr die furche 29. 2. 1996

War alles umsonst? Diese Frage, die Jean, meinen 1991 am Ostermittwoch 79jährig verstorbenen Mann, bei Ausbruch des Golfkrieges im Jänner 1991 in eine tiefe Depression stürzte, stellt sich auch mir und vielen, die sich seit Jahren für den Frieden einsetzen, ernüchternd, fordernd. Wächst nicht Gewalt ringsum, in uns selbst, in Ehe und Partnerschaft, bei Kindern und Jugendlichen, in unserer Gesellschaft, die egoistisch, individualistisch, hart geworden ist? Ethnische und nationale Spannungen führen vor allem seit dem Zusammenbruch des Kommunismus zu neuen Kriegen, die in erster Linie die Zivilbevölkerung treffen.

Doch unser Blick muß sich weiten. Seit der "Wende" in Osteuropa hat das liberalkapitalistische Wirtschaftssystem die Herrschaft über die Welt angetreten. Seine Zielsetzung ist Profit und Macht. Der Mensch hat ihm zu dienen. Im brutalen Wettbewerb bleiben die Kleinen auf der Strecke: Unternehmer wie Angestellte, Arbeiter und Bauern. Die Schwachen und wenig Qualifizierten werden ausgebeutet oder an den Rand gedrängt, ausgestoßen. Arbeitslos, wohnungslos, hungrig, krank, weggeworfen, befinden sich Millionen und Abermillionen in unmenschlichem Elend.

Dieses vorherrschende Wirtschaftssystem ist nur ein Kennzeichen der neuen Epoche, in die wir eingetreten sind: Die Epoche der globalisierten Gesellschaft, in der die Menschheit eine Einheit bildet. Darin liegt sowohl die einmalige Chance wie die erschreckende Versuchung des Totalitarismus: geschwisterliche, demokratische Weltgemeinschaft oder Diktat zentralisierter wirtschaftlicher, politischer und militärischer Macht, gesteuert durch manipulierte Medien. Weder das eine noch das andere wird sich in seiner Gesamtheit durchsetzen.

Doch die Herausforderung nimmt, gemessen an der geballten Macht antihumaner Kräfte, neue Dimensionen an und verlangt von jenen, die sich für Gerechtigkeit, Frieden und Leben in Würde einsetzen, gleichfalls ein effizientes, global koordiniertes Engagement. Der aus der Kraft der Liebe getragene Kampf wird noch beharrlicher, hartnäckiger, opferbereiter geführt werden müssen. Auf diesem Hintergrund möchte ich nur einige Perspektiven anführen, die mir als richtungsweisend für künftiges Friedenswirken erscheinen:

* Einheit der Menschheit - eine positive Herausforderung: In vielen bricht, bewußt oder unbewußt, Angst auf, die eigene Identität, die eigene Seinsweise, Kultur oder Religion zu verlieren. Hierin liegt eine wichtige Ursache der neuen Nationalismen wie des religiösen Fundamentalismus. Vertrauen in sich selbst und in den "anderen" in vielfältiger Weise auf allen Ebenen des Lebens aufzubauen, erhebt sich so als grundlegende Forderung.

* Begegnung der Religionen und ihr Friedensauftrag: (Daraus) müßte ein gemeinsames Bekenntnis der Glaubenden und gemeinsamer Einsatz für die absolute Achtung des Menschen, auch des Gegners, hervorgehen, ein entschiedenes Eintreten für Gewaltfreiheit, für die Wahrung der Grundrechte und das soziale Wohl aller, besonders der Armen und der Minderheiten. Ganz besonders sind wir Christen gefordert, hierfür Wegbereiter zu sein. Wenn wir nicht zur Bergpredigt zurückkehren, uns entschieden und mit Konsequenz an die Seite der Armen und Ausgegrenzten stellen und deren Rechte in Politik und Wirtschaft einfordern, wenn wir nicht Pioniere, Träger gewaltfreier Haltungen und Konfliktlösungen werden, wenn wir nicht Vertrauen, Vergebung, Versöhnung und Frieden fördern, hier und dort, werden wir zur Bedeutungslosigkeit absinken. Schlimmer noch: Wir verraten den klaren Auftrag Gottes, Zeugen seiner revolutionären Liebe zu sein. [...]

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung