Die Kunst ist Fleisch geworden

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Das Wiener Dommuseum zeigt die religiöse Dimension im Werk von Alfred Hrdlicka. Eine Abendmahlsdarstellung wurde wegen ihrer sexuellen Dimension entfernt.

Die christliche Religion bekennt in einer ihrer zentralsten Aussagen, dass das Wort Fleisch geworden ist und somit ausschließlich in einer konkreten Erscheinungsform Bedeutung gewinnen kann. Die Kunst von Alfred Hrdlicka baut auf der von ihm formulierten Basis auf, dass alle Kunst vom Fleisch ausgeht. Ist es daher verwunderlich, wenn sich die beiden, die Religion und die Kunst, treffen und gemeinsame Sache machen wie derzeit im Wiener Dommuseum?

Es ist durchaus verwunderlich. Denn Alfred Hrdlicka ist weit davon entfernt, eine überholte Existenz als "christlicher Künstler" zu führen. Im Gegenteil, er selbst bezeichnet sich als überzeugten Atheisten, und die großen Erzählungen der biblischen Schriften über ein gelungenes Menschsein finden für Hrdlicka in den Analysen von Karl Marx würdigere Nachfolger als in den päpstlichen Enzykliken. Wahrscheinlich kennt Hrdlicka Marxens Überlegungen besser als die vatikanischen Rundschreiben, insofern rufen derartige Präferenzen nicht wirklich großes Staunen hervor. Reizvoll sind sie dennoch, wenn gerade ein Diözesanmuseum die bisher größte Schau von Hrdlickas Arbeiten zeigt, die sich mit religiösen Themen befassen - und dies mit gutem Recht. Wenngleich es schade ist, dass die Abendmahlsdarstellung, die das Außersichsein der Jünger ob des Geschehens in sexueller Metaphorik darstellt, aufgrund geharnischter Interventionen vonseiten selbsternannter Kunstapostel aus der Ausstellung genommen wurde.

Alfred Hrdlicka, zu dessen 80. Geburtstag die Schau im Diözesanmuseum stattfindet, begann seine künstlerische Karriere zunächst als Maler, seine wahre Meisterschaft erreichte er aber in der Druckgrafik und in der Bildhauerei. Bereits während seiner Zahntechnikerlehre stand das unmittelbare Modellieren mit dem Material in dreidimensionalen Formen im Zentrum. In seinen Skulpturen führt Hrdlicka dies in jene Dimension weiter, die nicht mehr die Lücken in Zähnen füllen, sondern die Lücken unserer Weltinterpretation schließen soll. Und zwar passgenau - zumindest suggeriert dies seine "realistische" Arbeitsweise. Hrdlicka verweigert sich jener Kunststrategie, die bloß die unsichtbaren Baugesetze der Wirklichkeit in die Sichtbarkeit zerren will und damit in mehr oder minder mathematisierenden Formen endet. Dass die Kunst vom Fleisch ausgeht, bedeutet auch, dass die konkreten Formen des Fleisches - menschliche Leiber - zum zentralen Gestaltungsmittel in seinen Arbeiten werden.

Einmal mehr werfen die Blätter von Hrdlicka, die unter dem Brückenschlag zwischen Kunst und Religion für diese Präsentation zusammengestellt wurden, die Frage nach den prinzipiellen Möglichkeiten eines derartigen Unterfangens auf. Kann man von einer "christlichen Kunst" sprechen, wenn ein atheistischer Künstler Radierungen aus dem Leben Jesu gestaltet und mit entsprechenden Titeln versieht? Wohl kaum, denn seit geraumer Zeit lässt sich beobachten, dass sich das Christliche ins allgemein Religiöse auflöst. So lässt sich bei Hrdlicka nicht immer mit aller Klarheit sagen, ob ihm die Figur Jesus von Nazareth wichtiger ist als die ebenso mit Leiden verbundene Gestalt des gehäuteten Marsyas aus der griechischen Mythologie.

Andererseits überbietet der Umstand, dass letztlich immer erst die Rezipienten ein Kunstwerk fertigstellen, indem sie es mit der gleichen Sorgfältigkeit betrachten, mit der es die Künstler zuvor geschaffen haben, jedes Festhalten an einer reinen Formanalyse. Kunst als ein Kommunikationsprozess kann dann eine Madonna mit dem kleinen Jesus aus dem 14. Jahrhundert genauso bloß als eine Darstellung "Frau mit Kind" ansehen, wie sie Hrdlickas Figur von Pasolini als eine Aktualisierung der biblischen Geschichte interpretieren kann. Der Verlust der Apostrophierung als "christliche Kunst" anhand von kanonisierten Gestalten kann sich so zu einem neuen Universalismus des Christlichen entfalten.

Alfred Hrdlicka

Religion, Fleisch und Macht

Das Religiöse im Werk

von Alfred Hrdlicka

Dommuseum

Stephansplatz 6, 1010 Wien

Bis 10. 5. Di-Sa 10-17 Uhr (feiertags geschlossen)

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