Die Lage ist ernst. Und eine Lösung nicht in Sicht

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Der "Aufruf zum Ungehorsam“ der Pfarrer-Initiative ist wahrscheinlich das bemerkenswerteste Phänomen der neueren Kirchengeschichte Österreichs. Sein Konfliktpotenzial ist enorm.

Der "Aufruf zum Ungehorsam“ der "Pfarrer-Initiative“ rund um Helmut Schüller ist ein ausgesprochen bemerkenswertes Phänomen, wahrscheinlich das bemerkenswerteste der neueren österreichischen Kirchengeschichte. Sein Eskalationspotenzial ist enorm.

Denn es treffen drei nachgerade klassische Elemente harter Kirchenkonflikte aufeinander:

• eine lange andauernde, ebenso unbestreitbare wie lange bestrittene Glaubwürdigkeitskrise,

• ein ehemals von der Hierarchie geförderter, dann degradierter, politisch souverän agierender Charismatiker

• und eine Gesamtkonstellation, in der dieser Aufstand nicht leicht befriedet werden kann, weder durch Sanktionen noch durch die Erfüllung seiner Forderungen.

Hier erinnert die späte Moderne kirchlich tatsächlich ein wenig an das späte Mittelalter. Mit einem Unterschied freilich: Die Kirche ist gesellschaftlich viel, viel unwichtiger geworden und manche Handlungsoptionen, die sie damals hatte, hat sie heute nicht mehr.

Fundamentale Probleme angesprochen

Drei fundamentale Problemkonstellationen der katholischen Kirche werden durch den Aufruf der Pfarrer-Initiative markiert:

• die Frage der wiederverheirateten Geschiedenen und damit die Plausibilitätskrise der katholischen Sexualmoral,

• die Frage der Zulassungsbedingungen zum Weihepriestertum und damit die Krise des klassischen, asymetrischen Geschlechterverhältnisses in der katholische Kirche,

• und die Frage der liturgischen Kompetenz von Laien und damit das prekär gewordene Priester-Laien-Verhältnis, das seit einiger Zeit fatalerweise wieder über klerikale Abgrenzungsmechanismen geregelt werden soll.

Das sind drei wirklich bedeutsame Fragen und die katholische Kirche wird ohne ihre kreative Lösung keine gute Zukunft haben in unseren Breiten. Sie wird auf Dauer auch nicht damit durchkommen, solche Fragen in der Praxis anders zu beantworten als in ihrer normativen Theorie und rechtlichen Normierung.

Umgang mit Glaubwürdigkeitsdefiziten

Eine gewisse Norm-Praxisdifferenz ist zwar in der Tat friedensfördernd, ab einer bestimmten Überdehnung öffnen sich aber massive Glaubwürdigkeitsdefizite. Das ist aber der Fall - und man muss der Pfarrer-Initiative dankbar sein, dass sie darauf hinweist.

Sie tut es freilich nicht direkt, sondern -es handelt sich schließlich um eine Pfarrer-Initiative - aus der Perspektive des Pfarrpriesters. Dem geht tatsächlich in letzter Zeit nicht gut, schließlich ist er Hauptleidtragender der epochalen kirchlichen Transformationskrise.

Dem Priester schlagen heute etwa ganz unterschiedliche Erwartungen entgegen:

• zum einen die noch vor- oder schon wieder postmoderne Erwartung, sakral legitimierter Heilsvermittler zu sein,

• dann die Forderungen seiner mittlerweile new public management-geübten Vorgesetzten, als erfolgreicher Vor-Ort-Manager der Religionsgemeinschaft Kirche zu agieren,

• und schließlich die Hoffnungen von Gläubigen und selbst von Nichtgläubigen auf religiös-therapeutische Lebensbegleitung.

• Vor allem aber: Auf dem Markt, und da befindet sich heute jeder religiöse "Anbieter“, gerät der Pfarrpriester unter den Zustimmungsvorbehalt der notorisch unberechenbaren Marktteilnehmer.

Zudem löst sich tatsächlich das gemeindetheologische "Normalbild“ einer um den Pfarrpriester gescharten, überschaubaren, einander verbundenen und kommunikativ verdichteten Glaubensgemeinschaft auf. Wie in dieser Lage für Priester anerkennungsdichte Orte im Volk Gottes gestaltet und entwickelt werden können, ist völlig offen.

Es wird sie jedenfalls nur geben, wenn der Priester als das erfahrbar wird, wofür es ihn seinem sakramentalen Auftrag nach gibt: ein "Zeichen und Werkzeug“ der Gnade Gottes zu sein.

Denn in einer offenen Gesellschaft kommt es nicht so sehr darauf an, wie man sich selber versteht, als darauf, wie man von anderen wahrgenommen wird. Entscheidend ist also letztlich, wie das eigene Selbstverständnis, das eigene Handeln und die Fremdwahrnehmung zusammenspielen und welche Wirkungen dieses Zusammenspiel entfaltet.

Die Rückkehr zur überschaubaren Gemeinde - Hintergrundfolie des "Aufrufs“ -ist freilich eine Utopie. Der Abschied vom klerikalen Herrschaftskonzept "Überschaubarkeit“, wie es sich im Gefolge des Konzils von Trient (1545-63) entwickelte, ist unvermeidlich. Man braucht, ja darf vielleicht gar nicht in der Position des zentralperspektivischen Allesüberblickers sein, um die Chance zu bekommen, angesprochen und gefragt zu werden.

Erkennbarkeit, Erreichbarkeit und Zugänglichkeit sind heute notwendige Kategorien einer Kirche, die, wie zu Recht gefordert, vor Ort präsent bleibt, sich aussetzt und anbietet. Pastorale Kompetenzvermutung muss kommuniziert werden, muss erkenn- und erreichbar sein, Überschaubarkeit von einem zentralen priesterlichen Ort aus braucht es dazu nicht.

Kein gutes Zeichen für die Kirche

"Es ist uns ernst“, sagte Helmut Schüller kürzlich im ORF. Man darf es ihm glauben. Die Lage ist auch ernst, ohne Zweifel, denn die aufgeworfenen Fragen sind zentral und ihre Lösung ist nicht in Sicht. Dem bisherigen Krisenmanagement Kardinal Schönborns wird man den Respekt ebenso wenig versagen können wie dem Bekennermut der Pfarrer-Initiative.

Es ist kein gutes Zeichen für unsere Kirche, dass beider Seiten großes und aufrichtiges Engagement für die Kirche unter den aktuellen Bedingungen sich fast zwangsläufig gegeneinander konstelliert.

* Der Autor ist Professor für Pastoraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz

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