Die Landschaft bedienen

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Wieder startet der Niederösterreichische Theatersommer: ein ambitioniertes Ensemble von Spielstätten mit höchst unterschiedlichem Anspruch.

Wenn in Wien jene "grässliche Hitze herrscht, über die sich selbst Leute aus Ägypten schon beklagt haben", wie Heimito von Doderer in den Merowingern schreibt, dann flüchten alljährlich die Städter in die Sommerfrische. Und damit stehen auch die niederösterreichischen Freilicht-Bühnen bereits in den Startlöchern. Mittlerweile wird an mehr als 17 Orten rund um Wien Theater gespielt.

Heimische Theatermacher machen sich seit etwa 15 Jahren traditionsreiche Orte zunutze und vermarkten heute vom Piestingtal bis nach Laxenburg höchst erfolgreich Altösterreich-Nostalgie. Peter Loidolt, Intendant der Festspiele Reichenau und Vorsitzender der Interessensgemeinschaft Niederösterreichischer Theatersommer, bespielt selbst die Top-Orte mit passendem Spielplan. Das im Stil der Jahrhundertwende renovierte Südbahnhotel am Semmering ist heuer Schauplatz für Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus, im Theater Reichenau wird die Dramatisierung von Stefan Zweigs Rausch der Verwandlung zu sehen sein, ebenso wie Tschechows Onkel Wanja und Frank Wedekinds Lulu. Die ca. 75-minütige Fahrt nach Reichenau lohnt sich allemal. Die idyllische Landschaft mit Blick auf die Rax lässt an Schnitzlers Das weite Land denken, das im nahen Kreuzberg gelegene Looshaus, in dem heute ein Hotel und ein ausgezeichnetes Restaurant untergebracht sind, versetzt den Besucher in die Aufbruchstimmung des beginnenden 20. Jahrhunderts. Das Intendantenpaar Loidolt bleibt auch bei der Auswahl der Stücke in dieser Epoche, was bedeutet, dass nun zahlreiche Dramatisierungen von Stefan Zweig-oder Joseph Roth-Romanen in Auftrag gegeben werden, die sich besonders für Zeitreisen in ein vergangenes Österreich eignen. Das Publikum wird gebeten, sich diesem Flair anzupassen: Die Website nennt den Dresscode "legere Eleganz".

Altösterreich-Nostalgie

Neben der ästhetischen Nutzung des Raums ist es Loidolt gelungen, aus den Festspielen Reichenau mehr als nur den vergnüglich-kulturellen Ausklang eines hochsommerlichen Ausflugs zu machen. Nur hier sind die ersten Ensembles der Residenz durchmischt zu sehen, so spielt etwa Burgschauspielerin Regina Fritsch zusammen mit Toni Böhm vom Volkstheater und Michael Dangl vom Theater in der Josefstadt. Publikumslieblinge wie Maria Happel machen in Reichenau mit ersten Regieversuchen neugierig, renommierte Spielleiter garantieren für künstlerisch wertvolle Produktionen.

Das ist nicht überall so: Die Raimundspiele in Gutenstein, ebenfalls an einem traditionellen Sommerfrische-Ort, machen sich den Genius loci zunutze, um das Piestingtal touristisch aufzuwerten. Rund um das Theaterzelt, in dem heuer Die gefesselte Phantasie gespielt wird, haben sich in den letzten Jahren die kulinarischen Angebote in astronomische Zahlen erhöht, mehrgängige Menüs lassen sich zusammen mit exotisch klingenden Getränken auf Heurigenbänken oder edlen Bar-Tischen verzehren. Raimund ist jedoch mittlerweile mehr Etikette als Inhalt.

Und auch bei den Nestroyspielen in Maria Enzersdorf ist der bissige Satiriker nichts mehr als der Aufhänger für ein buntes Volksfest zur Präsentation der regionalen Gastronomie.

Die theatrale Belebung bedeutender historischer Orte hat in den letzten Jahren zahlreiche Besucher in Stifte, Schlösser und Burgen geführt. Melk setzt auf sein spezielles Flair und reüssiert seit Jahren mit der Aufführung von Versepen. Heuer werden vor der pompösen Stiftkulisse die Nibelungen gezeigt, während Fackelumzügen und Donaufahrten (soll doch Rüdiger von Bechelaren im Nibelungengau seinen Sitz als Markgraf der Hunnen gehabt haben) sind die Zuseher ins Geschehen miteinbezogen.

Weltliteratur vermarktet

Die Burg Perchtoldsdorf nutzt das mittelalterliche Ambiente, um Don Quichote von Cervantes zu spielen. Diese Form der Vermarktung bedeutender Texte der Weltliteratur dient zwar vordergründig zur Vermittlung mit Breitenwirkung, ist aber bei genauer Betrachtung eher schädlich als nützlich. Gerade auf Grund ihrer Komplexität werden außerordentliche Texte als verknappte Surrogate trivialisiert und unter der Imagination einer verbesserten Kulturförderung nivelliert. Das Resultat sind dann oftmals unsinnige Romandramatisierungen, nur um den vorhandenen Landschaftsraum optimal zu bedienen. Die Bilder im Programmheft machen diesen Schwerpunkt deutlich: Der erste Blick fällt auf die Abbildung des jeweils schmucken Gebäudes, erst beim zweiten Hinsehen wird man mit der jeweiligen Produktion konfrontiert.

Außerhalb der Plattform "Theaterfest NÖ" wächst so etwas wie eine interessante Off-Szene. Empfehlenswert ist das Wald4tler Hoftheater in Pürbach, das auch anspruchsvolle Stücke zeigt. So etwa Eric-Emmanuel Schmitts Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran, der von einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem jüdischen Jungen und einem Araber erzählt, oder Zebra, einem Stück für Kinder und Erwachsene, das Märchen aus Afrika in Szene setzt.

Freilich wird im Sommer auch in anderen Bundesländern eifrig Theater gespielt. An Aktivität und Organisation ist Niederösterreich freilich nicht zu übertreffen.

Nö. Theatersommer

Info: www.theaterfest-noe.at

E-mail: theaterfest@utanet.at

Tel: 01/5332953 oder 53402-29

Wald4tler Hoftheater

Info: www.w4hoftheater.co.at

E-mail: wki@w4hoftheater.co.at

Tel. 02853/78469

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