Die letzten Zeichen

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Die meisten niederösterreichischen Synagogen wurden erst lange nach der NS-Zeit abgerissen.

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Die meisten niederösterreichischen Synagogen wurden erst lange nach der NS-Zeit abgerissen.

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Eigentlich ist auf dem Foto nicht viel zu sehen, erzählt Hermine Grossinger. Der Schnappschuß vom November 1938 zeigt die Ansicht eines Innenraums, Details sind nicht zu erkennen. Es ist die letzte Innenaufnahme der Synagoge von Baden bei Wien. Fünf Minuten später war die große Halle verwüstet. Nach 1945 wurde das Gebäude von der Roten Armee als Militärküche verwendet. Seitdem steht es leer.

Im November 1998 wurde in Baden mit Klezmermusik und koscherem Buffet die Gründung des Vereins Amos gefeiert. Der Verein will, gemeinsam mit dem jüdischen Synagogen- und Kulturverein "Badener Schule", für eine Renovierung der Badener Synagoge Stimmung machen und Geld sammeln, um "die zerfallene Hütte Davids wieder aufzurichten" (Buch Amos). "Innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre sollte renoviert werden", meint Grossinger. Sonst könnte die Geschichte des unscheinbaren, spätklassizistischen Baus in der Grabengasse genauso enden wie die meisten Geschichten, die der Wiener Psychiater Pierre Genee für sein Buch "Synagogen in Österreich" (Löcker Verlag, 1992) zusammengetragen hat: Die Mistelbacher Synagoge wurde während des Zweiten Weltkrieges als Lebensmittellager verwendet und, l945, im Angesicht der näherrückenden Alliierten, in Brand gesteckt. Ende der siebziger Jahre wurde der Backsteinbau, inzwischen in Privatbesitz, geschleift. In Groß-Enzersdorf überdauerte die imposante, neoromanische Synagoge das Dritte Reich nur um sechs Jahre. Nur noch Ruinen des jüdischen Tempels standen nach der sogenannten ,,Reichskristallnacht" in Mödling. Weggeräumt wurden sie erst im November 1987 - einen Monat vor dem großen Gedenkjahr. Drei Jahre vorher rückten die Baumaschinen in Neunkirchen an. In der dortigen Synagoge war nach 1945 kurzzeitig eine Werkstätte für Maurerlehrlinge untergebracht.

Auch in Krems an der Donau verfiel eine stark beschädigte Synagoge im Renaissancestil bis in die siebziger Jahre vor sich hin. Als ein Baumeister, an den die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) das Gebäude verkauft hatte, 1978 beim Bundesdenkmalamt (BDA) einen Antrag auf Abriß stellte, wurden die Denkmalschützer hellhörig. Werner Kitlitschka vom BDA begann alles in die Wege zu leiten, um die Kremser Synagoge unter Denkmalschutz zu stellen. Leider suchte eine Grippewelle das Land heim. Als der Landeskonservator für Niederösterreich nach drei Wochen wieder aus dem Bett konnte, stand - beim Interview hebt er eine Hand auf Brusthöhe - "noch ein Meter der Fassade". Heute steht an Stelle der Synagoge eine Filiale der Creditanstalt, mit rückseitig angebrachter Gedenktafel.

So bleibt der Tempel in St. Pölten, ab 1942 ein Lager für russische Zwangsarbeiter, der einzige, den das "passive Denkmalschutzgesetz" (Kitlitschka) davor bewahrte, zu Bauschutt zu werden. Dem Ansinnen der IKG Wien auf Abbruch der Synagoge stand nämlich ein Gutachten des Institutes für Kunstgeschichte der Universität Wien entgegen - der bedeutendste jüdische Kultbau in Niederösterreich blieb erhalten.

Als l984 das Ende der vierjährigen Renovierungsarbeiten gefeiert wurde, hatte sich gegenüber der Eröffnung 1913 allerdings grundlegendes geändert. In St. Pölten steht heute eine Synagoge ohne Gemeinde. In das Kantorhaus war anstelle des Tempelwärters das Institut für die Erforschung der Geschichte der Juden in Österreich eingezogen. Neben der Wiederherstellung der farbenprächtigen Schablonenmalerei wurde die Synagoge mit modernster Elektrotechnik ausgestattet. Sogar für eine Fernsehübertragung ist man in St. Pölten gerüstet.

Abgesehen von der Eröffnungsausstellung über jüdisches Kulturgut haben in der zum Kulturzentrum mutierten Synagoge unter anderem Ausstellungen über Seidenmalerei, Schulwesen, Kartographie oder Veranstaltungen von Gewerbebetrieben oder der Gewerkschaften stattgefunden. Aktivitäten, so findet der Amtsdirektor der IGK Wien, Avshalom Hodik, die die Vokabel "Kultur" mehr schlecht als recht zusammenhält.

Die Synagoge in St. Pölten l984 einzuweihen, obwohl damals nur noch drei Juden in St. Pölten lebten, hält Hodik heute für einen Fehler. Er hofft, daß es vor dem Toraschrein wenigstens "nicht zu Tanzabenden kommt". Denn obwohl die rituelle Handlung des Gebetes im Judentum nicht an einen bestimmten Ort gebunden ist, sondern an die Teilnahme von mindestens zehn erwachsenen Juden, müsse die "Heiligkeit des Gebäudes" gewahrt bleiben.

Daß sich in der IKG so lange niemand um die letzten sichtbaren Zeichen jüdischer Kultur gekümmert hat, erklärt Hodik durch die Situation nach 1945. Die Kultusgemeinde fühlte sich als Nachlaßverwalter auf Zeit, denn alle dachten, "ein Leben in dieser Stadt ist nach der Shoah nicht mehr möglich", so Hodik. Außerdem stellen für die IKG Wien, Rechtsnachfolgerin der Synagogen, Friedhöfe, Zeremonienhallen und Bethäuser in Niederösterreich, die Gebäude in ihrem Besitz ein gewaltiges finanzielles Problem dar. Die Friedhöfe müssen erhalten werden, "kompromißlos, auf ewig" (Hodik). Budgetlöcher wurden durch Immobilienverkauf gestopft - Synagogen gingen an den Bestbieter, ohne Auflagen.

Im Streit um die Mahnmale in Wien und Berlin vertrauen die Verantwortlichen auf die Verschlüsselungsstrategien der Avantgarde. Daß eine Synagoge die Funktion eines Mahnmals erfüllen könnte, bezweifelt Avshalom Hodik. Das Renovieren von Mauern könnte leicht zur Ersatzhandlung für Vergangenheitsbewältigung werden. Das Bundesdenkmalamt muß bei seiner Arbeit auf jeden symbolischen Gehalt von vornherein verzichten. Was denkmalwürdig ist und was nicht, bestimmen allein kunstgeschichtliche Faktoren. Landeskonservator Kitlitschka: "Wir bewegen uns leider auf einem schmalen Gleis". Für die Synagoge in Baden kann er nichts tun. "Architektonisch völlig unbedeutend", lautet sein Urteil.

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