"Die Leute suchen das Ehrliche“

Werbung
Werbung
Werbung

Der Wiener Küche hat Adi Bittermann ein opulentes Kochbuch gewidmet. Aber gibt es diese überhaupt noch? Der Haubenkoch über Röstzwiebel, ein "leichtes“ Beuschel und das Aussterben der Rindsrouladen.

Für die Wiener Küche gilt: Je einfacher ein Gericht, desto aufwändiger die Vorbereitungen. Sagt einer, der es wissen muss - der Patron des "Vinarium“ in Göttlesbrunn, Adi Bittermann, vormals Wirt von "Vikerl’s Lokal“ in Wien. Und: die Wiener Küche war natürlich immer schon eine Fusionsküche.

DIE FURCHE: Wieso schreibt man gerade jetzt ein Buch über die Wiener Küche?

Adi Bittermann: Wien ist ja die einzige Stadt, nach der eine natio- nale Küche benannt wurde. Die Idee, das ausführlich darzustellen, ist schon vor einiger Zeit mit dem verstorbenen Christoph Wagner entstanden. Wir haben schon die ersten Rezepte rausgesucht gehabt. Als ich dann von "Vikerl’s Lokal“ in Wien nach Göttlesbrunn gegangen bin, haben wir gesagt, machen wir zuerst ein Kochbuch über die Kronländer.

DIE FURCHE: Machen die nicht ohnehin einen Großteil der Wiener Küche aus?

Bittermann: Sicher, wenn man etwa an das Gulasch denkt, das ja eher dem ungarischen Pörkölt entspricht. Wir hatten in Wien immer schon eine echte Fusions- küche. Allerdings sehr typisch für die Stadt sind etwa die Innereien wie das Rahmherz. Die erleben ja auch gerade eine Renaissance, wenn ich an Kutteln oder das Beuschel denke.

DIE FURCHE: Jetzt sind aber gerade so typische Gerichte ja alles andere als leicht - wie verträgt sich das mit dem Trend zur gesunden Ernährung?

Bittermann: Hier hat sich schon einiges verändert, das versuche ich auch im Buch zu zeigen. Das Beuscherl in der Kräuterfrittate wäre so etwas. Man nimmt ganz wenig Beuscherl, füllt damit eine Palatschinke, dämpft diese und brät sie noch einmal heraus. Das ergibt eine herrliche Suppen-Einlage. Oder auch die braune Roux (Einbrenn; Anm.). Das war zum Beispiel früher ein "Must-have“ in allen Küchen. Man hat halt alles "gestaubt“ oder Einbrenn verwendet, wenn man Saucen binden wollte. Das macht man heute viel leichter. Ich kann ja zum Beispiel auch mit Zwiebeln Flüssigkeiten binden. Nur braucht man dann drei Stunden dafür.

DIE FURCHE: Drei Stunden für ein gutes "Safterl“ - tut sich das in Zeiten der Packerlgerichte überhaupt noch jemand an?

Bittermann: Schmoren, dünsten, ansetzen - all die Techniken sind Tätigkeiten, die Zeit brauchen. Klar kürzt mancher dann ab, nimmt Fertigprodukte oder kocht nur das Einfache: Die haben halt dann ein Filet rosa abgebraten, exotisches Gemüse dazu und schon bist Weltmeister. Für die Wiener Küche gilt aber: Je einfacher ein Gericht ist, desto aufwändiger wird die Vorbereitung. An sechzig Rindsrouladen können zwei Leute schon zwei Stunden arbeiten. Das war früher auch normal. Ich bin Jahrgang 1965 und in meiner Lehrzeit im Wiener Rathauskeller gab es dort allein 60 Lehrlinge.

DIE FURCHE: Das führt uns zu den Köchen, die ja speziell in Ostösterreich kaum mehr aus dem Inland stammen. Gehen uns die Leute aus?

Bittermann: Man kann nicht immer jammern, es gibt keine Leute, man muss auch Lehrlinge bewusst ausbilden. Wir machen das im "Vinarium“ (Bittermanns Restaurant in Göttlesbrunn; Anm.), mir ist vor allem wichtig, dass die auch überall hin können und echt etwas lernen. Im zweiten Lehrjahr sollten die theoretisch ihren Posten - egal ob Gemüse oder Patisserie - schon selbstständig führen können. Ich rede auch immer Klartext mit den Eltern: Wenn der Sohn am Samstag fortgehen darf, dann kann er wohl auch bis zehn am Abend arbeiten.

DIE FURCHE: Ein anderes Problemfeld stellen vermutlich die Kunden von morgen dar: Wie kann ich die Fast-Food-Generation für "klassisches“, gehobenes Essen gewinnen?

Bittermann: Die Jugend nimmt das eigentlich schon an, man muss aber aktiv etwas tun. Wir haben etwa einmal im Monat ein Vier-Gang-Menü zum guten Preis für alle zwischen 16 und 22 Jahren. Da kosten die dann ein Hendlhaxerl-Ragout und erfahren erst hinterher, was es war. "Das hätte ich mir nie bestellt, hat aber gut geschmeckt“, hör ich da öfters. Oder auch die vom Kindergarten, die sind einmal im Monat zum Kochen da. Letztens haben sie gelernt, wie man paniert, was gute Brösel ausmacht. Damit sie nicht automatisch ein Leben lang zu McNuggets greifen.

DIE FURCHE: Kulturpessimismus und die Klage, dass früher alles besser war, kommt ja gerade rund ums Essen gerne auf. Wie sieht das ein professioneller Koch?

Bittermann: Klar sind viele Sachen abgekommen. Früher war gerade in Wien die Kombination aus Schlachthof, Branntweiner und Wirtshaus üblich. Spelunken teilweise, aber es ist super gekocht worden. Das gibt es heute spätestens seit dem Ende vom Schlachthof St. Marx nimmer. Wenn ich heute ein Beuschel will, muss ich es beim Fleischhauer vorbestellen. Vor zwanzig Jahren bin ich hin und es hat immer eins gegeben. Auch Rindsrouladen kommen eher ab, früher hatte das fast jedes Wirtshaus auf der Karte. Das findet sich heute kaum mehr.

DIE FURCHE: Wo gibt es Positives bei der Weiterentwicklung der heimischen Küche?

Bittermann: Es gibt seit rund fünf Jahren eine echte Trendwende in Sachen heimischer Fisch. Der Konsument verlangt danach und ist auch bereit, Geld dafür auszugeben. Außerdem hat sich wieder das Bewusstsein durchgesetzt, nicht alles das ganze Jahr essen zu müssen. Früher bin ich im Winter oft gefragt worden, warum wir keine Beeren servieren, wo sie doch gerade im Supermarkt stehen. Heute akzeptiert man wieder saisonale Produkte und freut sich darauf. Dazu kommt die gute Arbeit, die Initiativen wie die "Genussregionen“ geleistet haben. Solche gute Produkte kommen dann auch ohne Effekthascherei aus. Die Leute suchen ja nicht die Sensation, sie suchen das Ehrliche.

Grießnockerl à la Secession

Man braucht keine Statistik der 300 Rezepte zu führen, um festzustellen, dass Gemüse in der Wiener Küche kaum als Hauptdarsteller fungiert. Umso hingebungsvoller werden die Innereien gewürdigt, die Süßspeisen machen ohnehin ein gutes Drittel des Buches aus. Vor allem hier merkt der Leser, wie viele seiner kulinarischen Kindheitserinnerungen kaum mehr auf die Speisepläne finden - jetzt kann man den "Scheiterhaufen“ wenigstens selbst nachkochen. Die Rezeptfülle wird immer wieder von Renate Wagner- Wittulas kulturhistorischen Einschüben aufgelockert; sie schildern die Geschichten hinter den Gerichten. So erfährt man etwa, wie die Gründung der Secession auch in mit Spinat und Paradeisern gefärbten Grießnockerln ihren Niederschlag fand. Das Glossar, das den Rundgang durch Wiens Küche abschließt, erteilt zusätzlich Nachhilfe in Sachen Fleckerlspeis, Dalken und Kruspelspitz. Auffällig zeitlos sind die Fotos von Kurt-Michael Westermann; aber Teller-Klassiker haben auch vor 20 Jahren schon so ausgesehen. (rog)

* Das Gespräch führte Roland Graf |

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung